19.01.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 79 / Tagesordnungspunkt 7

Kaweh MansooriSPD - Verwaltungsgerichtsverfahren im Infrastrukturbereich

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter den Voraussetzungen eines demokratischen Rechtsstaats schnell planen, entscheiden, Rechtsklarheit bekommen und umsetzen – Herr Bundesminister Buschmann, Sie haben dafür den nächsten Mosaikstein vorgelegt. Die Deutschlandgeschwindigkeit, von der der Bundeskanzler spricht, ist kein Selbstzweck, sie ist der Schlüssel für eine moderne Infrastruktur, für neue Technologien, für leistungsfähige Netze, für unseren Wohlstand. Und deswegen hat sie in dieser Koalition auch Priorität.

Mit den vorgelegten Änderungen an der Verwaltungsgerichtsordnung und am Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz gehen wir neue Wege. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage: Der Entwurf ist streitbar. Aber jede Innovation beginnt mit der Bereitschaft, vieles richtig, aber auch etwas falsch zu machen. Das ist mir auch als Rechtspolitiker wichtig: Nicht Angst, sondern Mut ist die Mutter des Fortschritts, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir wollen einen neuen Pragmatismus im Umgang mit Planung und Genehmigung, der unser Land zukunftsfähig macht. Das stärkt auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie; denn Bürgerinnen und Bürger sehen am Ende vor allem die Ergebnisse. Es gibt keine unabhängige und saubere Energieversorgung ohne Windräder, keine Digitalisierung ohne Netze, keine Verkehrswende ohne Schienen, auf deren Bau die Menschen bis zu 40 Jahre warten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kein Industrieland der Welt kann sich das Warten leisten. Deswegen drehen wir jeden Stein um.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Dazu gehört auch, Verwaltungsgerichten mehr Möglichkeiten zu geben, zügig gute Entscheidungen zu treffen. Nein, nicht alle Probleme lassen sich mit der Beschleunigung von Gerichtsverfahren lösen. Leicht handhabbare Gesetze, Entschlackung von Verwaltungsverfahren, mehr Personal für Verwaltungen und für Gerichte braucht es. Letzteres erwartet auch die Justiz von uns. Damit keine Missverständnisse entstehen: Die Gerichte leisten hervorragende Arbeit. Das Bundesverwaltungsgericht braucht im Schnitt gerade einmal 18 Monate für eine Entscheidung, und das in hochkomplexen Verfahren. Und trotzdem wären mehr wissenschaftliche Mitarbeiter am Bundesverwaltungsgericht ein sehr konkreter Beitrag, um wichtige Fallakten endlich abzuarbeiten. Daran werden wir bei den nächsten Haushaltsberatungen sicher erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir die Arbeit der Gerichte flexibler und einfacher machen. Dazu gehören unter anderem folgende Maßnahmen:

Erstens. Wir schaffen neue Möglichkeiten im vorläufigen Rechtsschutz. Heilbare Fehler, die tatsächlich in absehbarer Zeit geheilt werden können, sollen die Gerichte künftig außer Acht lassen dürfen. Damit geben wir den Gerichten zumindest die Möglichkeit, abzuwägen zwischen einerseits dem Interesse, mit dem Infrastrukturvorhaben zu beginnen, und andererseits dem Interesse, das Hauptsacheurteil abzuwarten.

Welche Bedeutung diese Vorschrift bekommen wird, das wird sich in der Praxis zeigen. Das wird auch davon abhängen, welche Möglichkeiten diese Koalition schaffen wird, Fehler in einem sehr späten Stadium heilen zu können. Aber wir öffnen jetzt die Tür. Niemand muss Angst haben, dass das Fällen der Eiche vor einem Urteil damit zum Regelfall wird; denn die Gerichte werden die Vollzugsfolgen in ihren Entscheidungen sehr wohl berücksichtigen. Aber diese Möglichkeit zu haben, wappnet uns mit Blick auf das Gemeinwohl vor Überraschungen – und das ist erst einmal eine gute Nachricht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Zweitens. Wir regeln ausdrücklich gesetzlich, dass derjenige, der von einer solchen Entscheidung begünstigt wird, auch mit einer Sicherheitsleistung belegt werden kann. Das schafft Klarheit.

Drittens. Wir führen eine prozessuale Präklusion ein. Das bedeutet – Herr Minister Buschmann hat das erläutert –: Wird auf gerichtliche Frist im Prozess ein Argument oder ein Beweismittel nicht gebracht, ist es im weiteren Verlauf ausgeschlossen. Warum machen wir das? Wir machen das, damit alles auf den Tisch kommt, was entscheidungsrelevant ist.

Viertens. Wir schaffen eine gerichtliche Überholspur für besonders relevante Vorhaben. Hier dürfte sich bis zur Schlussabstimmung ein kritischer, ein genauer Blick lohnen. Überholspuren sind gut, aber wenn am Ende alle links fahren, dann ist trotzdem Stau auf der Autobahn.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Einiges werden wir auch mit der Praxis diskutieren: Macht ein zwingender früher erster Termin die Dinge wirklich schneller? Führt eine Klageerwiderungsfrist in dieser Form nicht am Ende dazu, dass Klagen Erfolg haben, obwohl sie unbegründet sind, und das nur, weil die beklagte Behörde nicht rechtzeitig reagiert?

Sicher, wir können aus einem guten Gesetz noch ein sehr gutes machen. Heute eröffnen wir das parlamentarische Verfahren. Meine Fraktion jedenfalls wird die eingereichten Stellungnahmen sehr ernst nehmen. Wir werden zügig arbeiten, aber nicht minder gründlich.

Aber eines ist auch ganz klar: Der hier vorgelegte Gesetzentwurf, Herr Minister Buschmann, beweist Mut. Wer sich so etwas nicht traut, der hütet am Ende nur den Stillstand. Der Entwurf mag streitbar sein, aber ich würde mich als Rechtspolitiker eher wundern, wenn rechtspolitische Innovationen allseits bejubelt würden; denn Rechtspolitik muss sich vor allem in der Praxis beweisen und nicht in der Theorie. Die Kehrseite von Mut ist Fehlerkultur, und die bringt unser Land aus unserer Sicht weiter als diejenigen, die vorher schon wissen, dass sie recht haben. Insofern freue ich mich auf die Beratungen und danke für die Aufmerksamkeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Tobias Matthias Peterka.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7549907
Wahlperiode 20
Sitzung 79
Tagesordnungspunkt Verwaltungsgerichtsverfahren im Infrastrukturbereich
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