Peter HeidtFDP - Völkermord an den Êzîdinnen und Êzîden
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem: Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der jesidischen Gemeinschaft! Wir haben leider gerade wieder das hässliche Gesicht der AfD gesehen, die selbst bei so einem Thema, wo es nicht um Parteipolitik geht, sondern um die Anerkennung eines schlimmen Verbrechens, ihre Redezeit ausnutzt, um ihre unsäglichen Hasstiraden hier abzulassen. Ich finde das beschämend!
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Es geht heute nicht um Parteipolitik, sondern es geht darum, einem geschundenen Volk zu helfen und die besten Möglichkeiten zu finden.
(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
Deshalb haben wir damals auch Ihren Antrag abgelehnt; er war ganz kurz und nicht zu Ende gedacht. Wir haben sehr lange an dem vorliegenden Antrag gearbeitet. Ich glaube, dass wir insgesamt heute einen sehr, sehr guten Antrag hier vorlegen können.
When genocide is committed, it must be seen. People must look at it with open eyes, not minimize its impact.
Nadia Murads Aussage hat über die Jahre weder an Wahrheit noch an Gültigkeit verloren. Ihre Worte sind ein Plädoyer gegen die Unkultur des Schweigens, des Wegschauens, auch des Duldens, eine Kampfansage an die Relativierung und in erster Instanz ein Ruf nach Gerechtigkeit.
Dass der Weg zur Gerechtigkeit mühsam, steinig ist, Aufarbeitung und Versöhnung nur Ergebnisse eines beharrlichen Prozesses sein können, bezeugt der Blick in die eigene Vergangenheit: Die politische, historische und gesellschaftliche Aufarbeitung des nationalsozialistischen Genozids ist nicht oder, besser gesagt, niemals abgeschlossen. Das Bekenntnis zur historischen Verantwortung Deutschlands bedarf einer kontinuierlichen Erneuerung. Seiner historischen Verantwortung gerecht werden kann und muss Deutschland, indem es innerhalb der internationalen Gemeinschaft eine Vorreiterrolle einnimmt bei der Kenntlichmachung und Aufarbeitung von Menschheitsverbrechen und damit ein Exempel dafür statuiert, dass es Unrecht, Hass und Grausamkeit eben nicht stillschweigend hinnimmt.
Mit Blick auf die unsäglichen Verbrechen, die im August 2014 im nordirakischen Sindschar-Gebiet an den dort ansässigen Jesidinnen und Jesiden durch den sogenannten „Islamischen Staat“ verübt worden sind, wird klar, dass Deutschland sehr lange diesen Anspruch nicht erfüllt hat. Zu lange hat Deutschland das systematische Morden, das in der Absicht begangen wurde, die jesidische Gemeinschaft vollständig auszulöschen, das Foltern, Versklaven und Verkaufen überwiegend von Frauen und Kindern, den gezielten Einsatz von Vergewaltigung als Kriegswaffe gegen Jesidinnen nicht als das bezeichnet, was es ist: Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der Deutsche Bundestag bricht heute endgültig dieses Schweigen, indem er eine mit breiter Mehrheit getragene Resolution zur Anerkennung des Völkermords an Jesidinnen und Jesiden verabschiedet. Damit verneigt er sich, damit verneigen wir uns vor allen Opfern dieser grausamen Verbrechen.
Gerechtigkeit zu schaffen, die Täter strafrechtlich zu verurteilen, muss unser gemeinsames Ziel sein. Verurteilungen von IS‑Verbrechern wie durch das bahnbrechende Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt sind so wichtig.
Mit diesem Antrag fordern wir die Bundesregierung dazu auf, die Arbeit der Gerichtsbarkeit fortzuführen, indem sie durch die weitere Unterstützung internationaler und nationaler Strukturen zur strafrechtlichen Aufarbeitung des Völkermordes ihren Beitrag leistet. Wir fordern die Bundesregierung auf, auch zukünftig ihr Engagement bei der jesidischen Gemeinschaft im Nordirak fortzusetzen. Darunter fallen Unterstützungsmaßnahmen zur Bewältigung ihrer humanitären Notlage wie der Aufbau der zerstörten Städte und Dörfer und politische, diplomatische Bemühungen, welche dem Wunsch nach Entschädigung, Aussöhnung und Partizipation Rechnung tragen. Gleichzeitig muss die volatile Sicherheitslage im Sindschar-Gebiet durch von Deutschland ausgehende internationale Anstrengungen positiv geklärt werden. Für die jesidische Gemeinschaft muss ein Leben in Frieden und Sicherheit und in Selbstbestimmung in ihrer Heimat unbedingt wieder möglich sein.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ebenso wollen wir, dass die jesidische Diaspora in Deutschland, hierzulande, ein Leben ohne Diskriminierung und Ausgrenzung führen kann. Bildung und Aufklärung bilden bekanntermaßen das Fundament für eine integrative und pluralistische Gesellschaft. Sie sind die wirksamste Waffe gegen Vorurteile. Die Bundesregierung ist daher angehalten, Bildungs- und Forschungsangebote, die dem Abbau von Vorurteilen gegen das Jesidentum dienen, zu schaffen.
Die Resolution ist das Ergebnis langer politischer Diskussionen. Ich möchte die großartige Arbeit der jesidischen Jugend hervorheben, die uns alle im Hohen Haus in besonderem Maße sensibilisiert hat. Mein Kollege Hoffmann wird von den beispielgebenden Aufnahmen in Baden-Württemberg sprechen. Auch Nichtjesiden hatten ihren Anteil. Ich bedanke mich exemplarisch bei Tobias Huch, der Augenzeuge des Völkermords wurde, weil er ab Sommer 2014 als Flüchtlingshelfer im Irak war und in diesem Moment unter Einsatz des eigenen Lebens Jesidinnen und Jesiden mit Hilfsgütern versorgt hat.
Ich möchte mich ausdrücklich bei der SPD, liebe Derya Türk-Nachbaur, für die vertrauensvolle und hervorragende Zusammenarbeit bedanken. Danke auch an die Union, Michael Brand, für die Finalisierung des Antrages. Ich bin unglaublich froh, dass wir diesen Antrag hier auf die Beine gestellt haben. Was lange währt, wird endlich gut!
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sevim Dağdelen hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7549952 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 79 |
Tagesordnungspunkt | Völkermord an den Êzîdinnen und Êzîden |