19.01.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 79 / Tagesordnungspunkt 9

Frank SchwabeSPD - Völkermord an den Êzîdinnen und Êzîden

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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Jesidinnen und Jesiden! Liebe Ehrengäste! Es ist vielfach gesagt worden – ich will das auch noch mal sagen –: Es ist eine große Ehre für uns, dass Sie heute hier so zahlreich versammelt sind, und es unterstreicht die hohe Bedeutung der Entscheidung, die wir gleich zu treffen haben.

Der Deutsche Bundestag verneigt sich vor Tausenden von Ermordeten, vor Zehntausenden geschändeten, vergewaltigten, verschleppten, versklavten Menschen, vielen Frauen – es ist gesagt worden –, knapp 3 000, die weiterhin vermisst werden, und vor den mehreren Hunderttausend Menschen, die immer noch nicht wieder in ihrer Heimat sein können, von denen manche vielleicht nie wieder in ihre Heimat gehen können, die wollen, dass sie in ihren angestammten Regionen wieder eine Zukunft haben.

Der Deutsche Bundestag erkennt den Völkermord an den Jesidinnen und Jesiden an und bekennt sich zu seiner Verantwortung, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Täter zu bestrafen, das Geschehene zu dokumentieren und eine friedliche Zukunft für alle Jesidinnen und Jesiden zu sichern. Ich weiß – und die meisten von uns wissen das –, dass die Anerkennung aus Sicht der Betroffenen viel zu lange gedauert hat. Ich will nicht über einzelne Akteure reden, weil man anderen dann wahrscheinlich unrecht tun würde. Aber ich will sagen, dass ich mir gestern Abend noch mal die Dokumentation von Düzen Tekkal angeguckt habe, um mich bei dieser Frage emotional mitzunehmen und zu begreifen, wie wichtig das ist und wie sehr es Sie geschmerzt hat, dass das so lange gedauert hat, bis wir hier zu dieser Entscheidung kommen.

Aber am Ende kommen wir jetzt zu dieser Entscheidung. Das ist all denjenigen zu verdanken, die informiert haben, die dokumentiert haben, die gesprochen haben, die das Petitionsrecht im Bundestag genutzt haben und die in der Anhörung hier waren, um diese Entscheidung vorzubereiten. Am Ende kann man sehen: Wenn Engagement da ist, kann man mit diesem Engagement auch hier im Deutschen Bundestag erfolgreich sein.

Mit der heutigen Entscheidung, den Völkermord von Daesh, dem selbsternannten „Islamischen Staat“, an den Jesidinnen und Jesiden anzuerkennen, können wir nichts wiedergutmachen. Wir können niemanden wieder lebendig machen, und wir können nichts von den schrecklichen Geschehnissen ungeschehen machen. Aber zu sagen, was zu sagen ist, den Völkermord anzuerkennen und die Dimension des Verbrechens als Völkermord zu klassifizieren, kann den Überlebenden helfen, mit den Traumata umzugehen, kann helfen, individuelle Strafverfolgung zu erleichtern und eine neue, hoffnungsvolle Zukunftsperspektive für alle Jesidinnen und Jesiden zu schaffen.

Es ist auch eine Selbstverpflichtung für uns. Es ist eine Selbstverpflichtung für den Deutschen Bundestag, sich weiter der Aufarbeitung zu stellen und auch aus diesem Völkermord zu lernen: zu lernen, alles zu tun, um Völkermorde an anderer Stelle in dieser Welt zu verhindern. Deswegen geht der Dank an Sie, dass Sie über Ihr eigenes Anliegen hinaus diesen Beitrag leisten, um auch anderen Menschen entsprechend zu helfen.

Ich will Ihnen auch für den offenen Dialog danken, den Sie mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundestages geführt haben. Von der SPD möchte ich Derya Türk-Nachbaur und Annika Klose nennen. Ich habe mitbekommen, wie schwierig es für Sie ist, diesen Dialog zu führen, und dass Sie manche Haltung von uns auch als Anmaßung empfinden können. Wenn es um Ihre Traditionen geht, um die jahrtausendealten Traditionen, die es am Ende ermöglicht haben, Ihre Religion, Ihre Religionsgemeinschaft überleben zu lassen, dann ist es eine schwierige Debatte. Deswegen will ich mich herzlich dafür bedanken, dass Sie nichtsdestotrotz diesen Dialog geführt haben und alles tun, um die besonders Verletzlichen, nämlich Frauen und Kinder, in diesen Dialog einzubeziehen, und alles tun, um diesen Menschen zu helfen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Uns ist wichtig, dass wir mit diesem heutigen Beschluss nicht nur den Völkermord anerkennen – das ist wichtig genug –, sondern dass wir uns auch zu konkretem Handeln verpflichten. Zu dem konkreten Handeln gehört, dass wir alles tun wollen, damit dieser Völkermord dokumentiert und aufgearbeitet werden kann. Ich habe im Internet ein spannendes Projekt gefunden – das kann man sich angucken; vielleicht gibt es auch viele mehr –, FERMAN in Bergen-Belsen, und viele andere Projekte mögen folgen.

Es ist wichtig, dass wir alles tun, um die Strafverfolgung nach dem Völkerstrafrecht in Deutschland sicherzustellen, wozu gerade erwähnt worden ist, dass hier wichtige Verfahren laufen und wichtige Entscheidungen getroffen worden sind. Aber ich habe verstanden, dass es ein Interesse daran gibt, dass auch andere Länder in die Strafverfolgung einsteigen, und dass wir deswegen gemeinsam überlegen müssen, ob wir über die Nutzung des Völkerstrafrechts hinaus internationale Mechanismen brauchen, um Menschen, um Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Wir müssen alles tun, damit Traumabewältigung – und das ist gerade schon gelobt worden – weiter hier in Deutschland geschehen kann, aber auch im Irak. Wir müssen alles tun, damit es weiterhin Hilfen für diejenigen Menschen gibt, die nicht im Irak bleiben können. Wir müssen weiterhin schauen, ob wir nicht Aufnahmen in Deutschland und in anderen Ländern realisieren können.

Zum Schluss. Es ist für Sie zentral, dass die Jesidinnen und Jesiden, die heute noch in den Flüchtlingslagern sind, an ihre angestammten Orte zurückkehren können. Auch das ist eine Verpflichtung Deutschlands, die wir gemeinsam mit der irakischen Zentralregierung und der nordirakischen Regionalregierung angehen wollen.

Ich freue mich darauf, dass ich im April im Nordirak sein werde – wenn Sie das wünschen und mich empfangen – und hoffentlich Sie dort vor Ort treffen kann, um deutlich zu machen: Der Völkermord ist das eine, aber wir müssen weitermachen. Wir müssen weiter mit Ihnen an einer guten Zukunft für alle Jesidinnen und Jesiden arbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Kollege Dr. Jonas Geissler hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7549956
Wahlperiode 20
Sitzung 79
Tagesordnungspunkt Völkermord an den Êzîdinnen und Êzîden
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