19.01.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 79 / Tagesordnungspunkt 17

Lars LindemannFDP - Hilfe für Betroffene des chronischen Erschöpfungssyndroms

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte auch ich der Union Danke dafür sagen, dass sie dem Thema hier Raum gibt und wir heute darüber diskutieren können. Denn ganz offensichtlich haben die etablierten Institutionen dem Thema bisher nicht die notwendige Bedeutung beigemessen und sind da nicht ausreichend vorangekommen. Deswegen darf ich für meine Fraktion jetzt schon sagen, dass wir der Überweisung natürlich zustimmen und einen Beitrag leisten werden, von dem wir denken, dass wir damit zu guten Ergebnissen kommen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Martina Stamm-Fibich [SPD] und Dr. Janosch Dahmen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Erkrankung, über die wir heute sprechen, ist keineswegs ein Randphänomen. 15 bis 30 Millionen Menschen sind weltweit betroffen, 300 000 in Deutschland, 30 000 allein hier in Berlin. ME/CSF ist damit häufiger als allseits bekannte Krankheiten wie Multiple Sklerose, Parkinson oder auch HIV. Experten gehen davon aus, dass circa 90 Prozent derer, die betroffen sind, keine Diagnose haben. Die Dunkelziffer wird also noch weitaus höher sein als die Zahl, die uns heute bekannt ist und über die wir hier sprechen.

ME/CSF ist eine schwere, komplexe, chronische Erkrankung, die mit einer Dysregulation des Immunsystems, des Nervensystems und des Energiestoffwechsels einhergeht. Sie tritt meist infolge von Infekten auf – das ist heute schon mehrfach gesagt worden –, verläuft zumeist chronisch und führt zu einem hohen Grad an körperlicher Behinderung und kognitiver Beeinträchtigung. Nervengängige Viren führen genau zu diesem multiplen Symptomenbild, ähnlich dem, das auch bei Long Covid auftritt. Leitsymptom ist eine schwere körperliche Schwäche, das sogenannte Fatigue-Syndrom, gepaart mit neurokognitiven und immunologischen Symptomen aller Art.

Die Betroffenen, liebe Kolleginnen und Kollegen, leiden still. Ein stilles Leiden ist es deshalb, weil ein Großteil von ihnen ans Bett gefesselt ist und in der Dunkelheit – das hat Kollege Gürpinar schon ausgeführt – liegt, um die Beschwerden überhaupt einigermaßen ertragen zu können.

Ein stilles Leiden ist es für die Betroffenen auch deshalb, weil sie keine Lobby haben, keine Ansprechpartner finden und weil ihnen nur allzu oft von vielen Seiten Stigmatisierung oder auch schlicht Ignoranz entgegenschlägt. Darum kann man es nicht oft genug sagen: ME/CFS ist keine Frage der Psyche, sondern eine physische Erkrankung, die allen Betroffenen ihr normales Leben, im schlimmsten Falle die gesamte Lebensqualität, raubt. Deswegen hat die WHO es schon 1969 als neurologische Krankheit eingestuft.

Aber: Trotz der hohen Anzahl an Betroffenen und der Schwere der Krankheit ist ME/CFS wenig bekannt und unzureichend erforscht. Bis heute existieren keinerlei medikamentöse oder kurative Ansätze, um die Krankheit gezielt zu behandeln oder gar zu heilen. Die sozioökonomischen Kosten für uns alle sind immens. Die Folge dieser Hoffnungslosigkeit ist für viele Betroffene allzu oft – und das darf uns nicht kaltlassen! – der Weg in den Suizid.

Nach Auffassung meiner Fraktion muss zunächst die Grundlagenforschung klar im Vordergrund stehen und ausgeweitet werden, damit wir zu mehr Erkenntnis kommen. Die im Verlauf der Coronapandemie erhobenen Daten und wissenschaftlichen Studien setzen ME/CFS und Long Covid in Verbindung und zeigen Übereinstimmungen – das ist auch schon ausgeführt worden –, zugrundeliegende Mechanismen ähneln sich.

Durch den großen öffentlichen Druck im Rahmen der Coronapandemie wird erstmals auch eine erhöhte Aufmerksamkeit für die derzeitig aussichtslose Situation der ME/CFS-Patienten erzeugt.

Seit Jahrzehnten wird an dieser Stelle biomedizinisch und auch klinisch zu wenig Forschung betrieben. Was können wir also tun? Die Koalition hat bereits einen ersten wichtigen Schritt gemacht: Zum ersten Mal gibt es in Deutschland öffentliche Förderung für multizentrische biomedizinische Grundlagenforschung zu ME/CFS. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert nun erstmals den Aufbau eines Forschungsnetzwerks zu ME/CFS. Acht Teams aus verschiedenen Fachbereichen werden an fünf Universitätskliniken die Mechanismen von ME/CFS erforschen. Die Charité, das Team um Frau Professor Dr. Scheibenbogen – für viele Betroffene ist sie als deutschlandweit führende Expertin der Orientierungspunkt –, beispielsweise hat rückwirkend 10 Millionen Euro für die Therapieforschung im Rahmen der Nationalen Klinischen Studiengruppe erhalten.

Uns als FDP-Fraktion ist bewusst: Dies ist nur ein erster Schritt. Wir werden uns mit Ihnen allen zusammen für die Verlängerung der zielgenauen Förderung über das Jahr 2023 hinaus einsetzen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Am Ende auch von mir noch ein Wort an die Betroffenen: Wir als Koalition, wir – ich will Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, einschließen – als Parlament sehen Sie, die Betroffenen, und wollen beginnen, Ihre prekäre Situation nun endlich zu verbessern. Sie können sich darauf verlassen, dass wir alle konstruktiv daran mitarbeiten werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der Kollege Erich Irlstorfer hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7550047
Wahlperiode 20
Sitzung 79
Tagesordnungspunkt Hilfe für Betroffene des chronischen Erschöpfungssyndroms
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