Tino SorgeCDU/CSU - Beschaffungsgipfel Arzneimittelversorgungssicherheit
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Es geht manchmal schneller, als man denkt. Deshalb habe ich ein bisschen länger nach hier vorne gebraucht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren jetzt den Antrag der Unionsfraktion. Ich gebe ganz offen zu: Ich hätte mir gewünscht, dass wir hier einen Gesetzentwurf der Bundesregierung debattieren könnten. Aber Sie haben keinen.
(Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der kommt noch, Tino!)
Die Ampel hat bis heute keinen Plan gegen die Medikamentenknappheit, gegen Engpässe, gegen Medikamentenmangel; und genau das ist das eklatante Problem.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einer Lage, wie wir sie bei Schmerzmitteln und Antibiotika erlebt haben, wie wir sie bei Kindermedikamenten und Insulin erlebt haben, bei Ibuprofen, Paracetamol – trivialen Medikamenten, die nicht verfügbar gewesen sind –, wie wir sie jetzt sogar bei Krebsmedikamenten erleben, in einer so kritischen Lage steht die Ampel seit Monaten an der Seitenlinie.
(Lachen der Abg. Martina Stamm-Fibich [SPD])
Und diese Untätigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen – man kann es nicht anders ausdrücken – hat ein Chaos mit Ansage verursacht. Darum ist diese Untätigkeit – ich sage es ganz offen – ein Skandal.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben bereits im Spätsommer auf das Problem der Medikamentenknappheit hingewiesen. Wir haben darauf aufmerksam gemacht. Wir haben damals klar gesagt: Die Verlagerung der Produktion nach Asien ist ein Problem. Der Preisdruck durch Rabattverträge ist ein Problem. Die Verlässlichkeit von Lieferketten ist ein Problem. Und obwohl die Probleme offen auf dem Tisch lagen, haben Sie nicht gehandelt. Sie haben Impfstoffe für Milliarden und Abermilliarden Euro bestellt.
(Martina Stamm-Fibich [SPD]: Das waren eure Leute!)
Man muss sagen: Der Minister hat sich geradezu in einen Kaufrausch hineingesteigert, obwohl wissend, dass wir Impfstoffe in diesem Umfang mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht benötigen werden. Aber die Fiebersäfte für Kinder haben Sie vergessen. Das war der völlig falsche Fokus, und das rächt sich leider jetzt.
Ich erinnere mich gut: Wir haben bereits im September gesagt: Wir brauchen eine Renaissance der Arzneimittelproduktion in Europa. Genauso haben wir gesagt: Minister Lauterbach wird die schwierige Debatte führen müssen, wie viel Geld uns eine sichere Arzneimittelversorgung wert ist. – Das war Anfang September, und nichts ist geschehen.
Ich darf nur noch mal – ich weiß, Sie hören das nicht gerne – auf die Chronologie des letzten Jahres hinweisen. Im März 2022 ging es in der Arbeitsplanung des BMG um das Thema „Dezentrale Bevorratung von Arzneimitteln und Medizinprodukten“. Und es passierte – nichts. Im September hieß es aus dem Bundesgesundheitsministerium zu Lieferengpässen, Maßnahmen würden derzeit geprüft; „Die Welt“ und diverse andere Zeitungen haben darüber berichtet. Und es passierte – nichts.
Herr Sorge, Entschuldigung, dass ich Ihren Redefluss unterbreche. Aber gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung aus der Fraktion der Grünen?
Ja, selbstverständlich, Kordula Schulz-Asche, sehr gern.
Sie haben das Wort.
Herzlichen Dank für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. – Lieber Tino Sorge, du hast jetzt gerade mehrfach erwähnt, was alles im letzten Jahr von euch angeregt und bisher nicht umgesetzt wurde. Ich wollte fragen, ob du dich daran erinnerst, dass im Jahre 2019 sowohl der Kollege Hennrich aus der CDU als auch ich jeweils Papiere verfasst haben, in denen wir in unseren Fraktionen auf das Problem hingewiesen haben. Wenn ich mich richtig erinnere, war zu diesem Zeitpunkt der Gesundheitsminister ein Mitglied der CDU-Fraktion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, liebe Kordula Schulz-Asche. – Man hat immer das Gefühl: Und täglich grüßt das Murmeltier.
(Stephan Pilsinger [CDU/CSU]: 16 Jahre!)
Ich habe jetzt erwartet, dass wieder kommt: 16 Jahre CDU-Regierung.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2019 ist aber nicht 16 Jahre her!)
Ich darf noch mal darauf hinweisen: Die SPD – Kollege Lauterbach sitzt ja hier drüben – hat seit über 20 Jahren mitregiert. Du hast zu Recht darauf hingewiesen, dass wir unionsseitig das Thema mehrfach adressiert haben. Wir haben gemeinsame Positionspapiere gemacht. Das Positionspapier von Michael Hennrich und dir ist ja angesprochen worden. Ich kann mich erinnern, ich habe mit einigen Kollegen Positionspapiere auf den Weg gebracht, worin es genau um diese Problematik ging: Sind Rabattverträge tatsächlich sinnvoll in Bereichen, wo Arzneimittel knapp werden können? Wir haben immer wieder darüber gesprochen. Wir haben es beispielsweise bei den Zytostatika, also Krebsmedikamenten, ändern können, sodass es nicht so ist, dass bestimmte Kassen mit bestimmten Schwerpunktapotheken Rabattverträge schließen.
Aber genau das ist der Punkt. Wir haben seit über einem halben Jahr darauf hingewiesen und haben gesagt: Wir gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit in einen Arzneimittelengpass. Da ging es um Kinderfiebersäfte, da ging es um Medikamente im Krebsbereich. Wir haben immer wieder gesagt: Wir müssen uns des Problems annehmen. Wir haben dazu aufgefordert, einen Beschaffungsgipfel zu machen. Wir haben gesagt: Holt die Akteure an einen Tisch. – Ich kann nur noch mal feststellen: Was ist passiert? Nichts.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Genau das ist mein Kritikpunkt; das ist unser Kritikpunkt. Deshalb stellen wir ja auch diesen Antrag. Man kann die Probleme nicht kurzfristig lösen; das ist uns allen klar. Aber man muss doch zumindest erste Schritte in die richtige Richtung machen. Dazu gehört eben, die Akteure an einen Tisch zu holen. Dazu gehört es, mit Ärzten zu sprechen, mit Apothekern, mit Großhändlern, mit Pharmaunternehmen. Insofern ist das wirklich Chaos mit Ansage, was hier passiert ist.
Ich will hier chronologisch weitergehen. Im Dezember kam die Meldung vom Minister: Der Generikagesetzentwurf kommt noch vor Weihnachten. – Ich weiß jetzt nicht, welches Weihnachten er damit meinte; aber wir sind alle davon ausgegangen, er meinte das letzte Weihnachten, was nun schon vorüber ist. Ich kann Ihnen sagen, was wieder passierte: nichts.
Darum kann man wirklich nur resümieren: Sie packen das Problem nicht an. Sie sitzen die Probleme aus. Das ist nichts anderes als eine Chronologie des Abwartens, des Aussitzens und des Dilettantismus.
(Lars Lindemann [FDP]: Oh!)
– Entschuldigung, das muss man hier so offen sagen.
Jetzt ist es bald Ende Januar, aber was Sie vorzeigen – das muss man der Ehrlichkeit halber sagen –, sind nicht konkrete Hilfsmöglichkeiten. Es ist nicht so, dass man sagen kann: Da wird strukturell etwas geändert.
(Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In eurem Antrag ist auch nichts Strukturelles drin!)
Das Einzige, was der Minister gemacht hat, ist ein mageres Eckpunktepapier. Dieses Eckpunktepapier ist auch nicht in Gesetzesform gegossen worden. Diese Sprunghaftigkeit, mit der man sagt: „Na ja, da gibt es einen Engpass; jetzt werden die Festbeträge für die nächsten drei Monate mal ausgesetzt“, funktioniert nicht. Deshalb sagen Ihnen auch alle Experten: Das ist zu wenig, und das kommt zu spät.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie wissen auch, dass viele gut gemeinte Änderungen – Kordula Schulz-Asche hat es angesprochen – Zeit brauchen. Wir sind als Union gesprächsbereit. Wir strecken die Hand aus.
(Lachen der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir würden hier gern über Themen diskutieren. – Frau Piechotta, ist ja alles schön und gut; aber dann legen Sie doch mal einen Gesetzentwurf vor. Hören Sie doch auf, immer nur anzukündigen und zu sagen: Alles ganz schlimm, wir müssen was verbessern. Und wenn Ihnen gar nichts mehr einfällt, dann kommt immer die alte Leier, die CDU habe in den letzten Jahren allein regiert. Ich darf nur daran erinnern: Sie waren immer mitbeteiligt.
(Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren nicht beteiligt!)
Kollege Lauterbach war der federführende Akteur der SPD im Gesundheitsbereich. Da ist leider nichts passiert. Deshalb fordern wir als Union den Beschaffungsgipfel mit diesem Antrag.
Ich will Ihnen auch genau sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, was Sie tun könnten. Zumindest kurzfristig könnten Sie einiges tun. Sie könnten den Austausch mit unseren EU-Nachbarn intensivieren. Statt den Eltern zuzumuten, ins Ausland zu fahren und dort für ihre Kinder Hustensäfte zu holen, könnten Sie das auf staatlicher Ebene institutionalisiert machen. Sie könnten ein Frühwarnsystem für Engpässe etablieren. Sie könnten Apotheken und Händler unterstützen, Lagerkapazitäten zu erweitern.
(Zuruf der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Sie könnten Produktion nach Europa holen, statt Hersteller ständig zu verteufeln. Sie könnten sich endlich mal wieder um den Standort kümmern. Ohne leistungsfähige Pharmaindustrie, gut aufgestellte Apotheken kommen wir mit unserem Standort Deutschland ins kurze Gras. Bei dem, was Sie hier tun, ist von all dem keine Spur, doch es wäre höchste Zeit dafür.
Die beteiligten Akteure – das ist das Traurige an der ganzen Situation – verlieren die Geduld, seien es die Ärzte, die Kliniken, Krankenkassen, Apotheker, Hersteller, Großhändler. Aber vor allem die Patienten, die Angehörigen, die Eltern wissen teilweise nicht mehr weiter. Deshalb: Handeln Sie jetzt! Bringen Sie alle Akteure im Rahmen des Beschaffungsgipfels an einen Tisch! Koordinieren Sie Sofortmaßnahmen! Hören Sie auf, anzukündigen, und stellen Sie sicher, dass sich so ein Chaos mit Ansage wie jetzt nicht wiederholt!
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Martina Stamm-Fibich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7550147 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 80 |
Tagesordnungspunkt | Beschaffungsgipfel Arzneimittelversorgungssicherheit |