20.01.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 80 / Tagesordnungspunkt 26

Mathias PapendieckSPD - Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ende des letzten Jahres hat der Deutsche Bundestag hier das Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen beschlossen. Mit der Regelung der Hinein-Umwandlung, also der Umwandlung von einem Unternehmen ausländischer Rechtsform in ein Unternehmen deutscher Rechtsform, ist uns eine gute Umsetzung der europäischen Vorgaben gelungen.

Heute beraten wir das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie und damit den umgekehrten Fall, also dass ein Unternehmen deutscher Rechtsform sich in ein Unternehmen ausländischer Rechtsform umwandelt, die Heraus-Umwandlung. Es ist ein legitimes Ziel der EU-Richtlinie, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit zu schützen. Gleichzeitig darf dies unter keinen Umständen auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer passieren, weshalb es Unternehmen erschwert wird, eine solche Umwandlung zu missbräuchlichen Zwecken zu nutzen.

In meinem bisherigen Berufsleben – seit meinem 16. Lebensjahr, und damit seit 23 Jahren, bin ich im Einzelhandel tätig – habe ich gesehen, wie wichtig die Mitbestimmung ist. Mitbestimmung hilft gerade in schweren Zeiten. Aktuelle Studien zeigen, dass Unternehmen mit starker Mitbestimmung mehr ausbilden, ein höheres Maß an Arbeitsplatzsicherheit bieten, Nachhaltigkeit stärker in tägliche Entscheidungen integrieren und weniger geneigt sind, aggressive Steuerpraktiken zu verfolgen. Die Entscheidungen in einem Unternehmen dürfen nicht ausschließlich vom Willen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber abhängig sein. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen wirksam mitentscheiden; ihre Ideen und ihre Kreativität sind wichtig.

Ich habe aber leider auch immer wieder erlebt, wie die Unternehmensmitbestimmung ausgehebelt wird. Die Verhinderung und Behinderung der Gründung und der Arbeit von Betriebsräten seitens des Arbeitgebers ist der bekannte Fall. Eine weitere übliche Vermeidungsstrategie ist aber auch die gezielte Verlegung des Unternehmenssitzes in ein anderes EU-Land, um unterschiedliche Gesetze auszunutzen und Mitbestimmung zu vermeiden oder sich ihr sogar gänzlich zu entziehen. Dieses Vorgehen wollen wir mit diesem Gesetz unterbinden und Unternehmen nicht erst in Versuchung führen. Im Gesetzgebungsverfahren bzw. im parlamentarischen Verfahren haben wir uns intensiv darum bemüht und konnten folgende Änderungen miteinfließen lassen:

Erstens. Es gibt klare gesetzliche Anhaltspunkte für die Missbrauchsprüfung. Die Beurteilung, ob Hinweise auf die missbräuchliche Vermeidung von Mitbestimmung bestehen, soll im Rahmen einer Gesamtschau ergehen. Dabei sind konkrete, jedoch nicht abschließende Kriterien für eine umfassende Missbrauchsprüfung festgelegt, und zwar, dass die Zahl der Arbeitnehmer mindestens vier Fünftel des für die Unternehmensmitbestimmung maßgeblichen Schwellenwerts beträgt, im Zielland keine Wertschöpfung erbracht wird bzw. der Verwaltungssitz in Deutschland verbleibt. Somit ist, wie man umgangssprachlich so schön sagt, eine Postkastenfirma im Ausland komplett ausgeschlossen.

(Stephan Brandner [AfD]: „Briefkastenfirma“ meinen Sie!)

Zweitens. Das Verfahren wird durch eine Richterin oder einen Richter betreut. Nur in Ausnahmefällen dürfen Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger die Betreuung ausüben. Damit sind die Fachexpertise und die gründliche Prüfung gesichert.

Drittens wollen wir natürlich, dass die Gewerkschaften im Verfahren angehört werden.

Die bisher bestehende Rechtsunsicherheit bei grenzüberschreitenden Sachverhalten soll für Unternehmen sowie deren Gläubiger und Beschäftigte durch eine einheitliche Regelung beseitigt werden. Mit diesem Gesetz setzen wir nicht nur die EU-Richtlinie um, sondern wir halten auch unser Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ein, in dem wir uns darauf geeinigt haben, die Umgehung von Mitbestimmungsrechten zu verhindern und Bestandsschutz für bestehende innerstaatliche Regelungen zu garantieren.

Gleichzeitig setzen wir ein Zeichen. Wir schützen das Zusammenwachsen des europäischen Marktes sowie die Wettbewerbsfähigkeit. Wir zeigen: So funktioniert die europäische und soziale Marktwirtschaft. Allerdings ist unsere Arbeit als Gesetzgeber heute nicht abgeschlossen. Es liegt noch ein langer Weg vor uns, den wir gehen müssen, um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen und ihre Rechte weiter zu stärken.

Hier möchte ich noch zwei wichtige Punkte nennen:

Erstens. Wir müssen die EU-Kommission auffordern, ganz klar die SE-Richtlinie umzuwandeln und zu reformieren.

(Beifall des Abg. Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich habe einen prominenten Fall in meinem Wahlkreis. Das ist die Tesla-Ansiedlung durch die Tesla Manufacturing Brandenburg SE. Elon Musk ist der Chef des Unternehmens. Er ist ein erfolgreicher Unternehmer. Er ist jemand, der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mitreißen kann. Er hat technologischen Fortschritt vorangebracht. Aber man muss in den letzten Wochen und Monaten auch sehen: Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander. Ihm würde es helfen – das muss man ganz klar sagen –, wenn die Kollegen und Kolleginnen im Aufsichtsrat auf Augenhöhe mitbestimmen und Schaden vom Unternehmen und von den Kollegen abwenden könnten.

Zweitens geht es um Stiftungen. Wir haben Stiftungen in Deutschland, die Milliardengewinne bzw. Milliardenumsätze machen. Über 1 Million Kolleginnen und Kollegen arbeiten in solchen Stiftungen. Hier muss es eine Möglichkeit geben, in Stiftungsbeiräten, in Verwaltungsräten und in Aufsichtsräten auch mitzubestimmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE] – Stephan Brandner [AfD]: Sie meinen die Friedrich-Ebert-Stiftung, oder?)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Sie sehen – damit möchte ich zum Ende kommen –, dass mit diesem Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung gemacht wird. Ich würde mich freuen, wenn Sie diesem Gesetz heute hier zustimmen könnten.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7550199
Wahlperiode 20
Sitzung 80
Tagesordnungspunkt Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie
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