Jan PlobnerSPD - Aktuelle Stunde - Lützerath
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich sage es, wie es ist. Mir geht es, glaube ich, wie den meisten hier im Saal: Dass wir uns hier schon wieder mit solchen Beiträgen der AfD auseinandersetzen müssen, strengt mich wirklich sehr an.
(Zuruf von der AfD: Ja! Hoffentlich!)
Aber so durchschaubar dieses Manöver auch ist, möchte ich dennoch erklären, warum die AfD das mit dem Rechtsstaat auch heute wieder bewusst missversteht. Es sind zwei Themenkomplexe, bei denen es auf erstaunliche Weise immer wieder zu ganz schön viel Verwirrung kommt: der Rechtsstaat und der Protest gegen unzureichende Klimaschutzmaßnahmen. Es ist zwar ein wenig ernüchternd, sich immer wieder mit den gleichen Manövern auseinandersetzen zu müssen. Aber gut, wir sind ja in einem Rechtsstaat; da führen wir diese Debatte und versuchen, ein wenig Klarheit in den Zusammenhang zwischen diesen beiden Themenkomplexen zu bringen.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Nennen Sie mal ein Argument! – Beatrix von Storch [AfD]: Politikwissenschaftler ohne Abschluss!)
Allein der Fakt, dass Sie hier so viel Blödsinn von sich geben können und wir uns das anhören müssen, könnte eigentlich ein guter Hinweis darauf sein, dass es um Demokratie und Rechtsstaat bei uns gar nicht so schlecht bestellt ist. Das ist doch auch ein gutes Zeichen.
(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])
Helmut Schmidt sagte mal – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: „Der Rechtsstaat hat nicht zu siegen, er hat auch nicht zu verlieren, sondern er hat zu existieren!“ Aber auch eine spontane Google-Suche nach der Definition des Rechtsstaates würde ergeben – ich zitiere auch da wieder mit Erlaubnis der Präsidentin –: „Regierung und Verwaltung“ sind „nur im Rahmen bestehender Gesetze“ handlungsfähig. „ Die Bürgerinnen und Bürger werden so vor staatlicher Willkür, Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen geschützt.“
Rechtsstaat bedeutet also, dass den Bürgerinnen und Bürgern ein transparenter, rechtmäßiger Umgang durch den Staat zusteht und dass der Staat sich an Recht und Gesetz hält. Dabei kommt uns Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates natürlich eine ganz besondere Verantwortung zu, alle Bürger/-innen gleich und fair zu behandeln.
Der Protest gegen unzureichende Klimaschutzmaßnahmen ist in erster Linie nämlich genau das: ein Protest. Dass wir die Klimaschutzmaßnahmen und mehr davon brauchen, das steht für mich außer Frage. Aber wissen Sie was? Selbst wenn ich anderer Meinung wäre, selbst wenn ich nicht an die wissenschaftlich belegten Fakten glauben würde, selbst dann müsste ich damit leben, dass es Proteste gibt. Wir leben in einem Rechtsstaat, und natürlich dürfen Menschen dagegen protestieren, wenn sie das Gefühl haben, die Regierung hält sich nicht an Recht und Gesetz und missbraucht ihre Macht. Dann werden sie im Zweifel auch von der Polizei beschützt.
Das ist wahrscheinlich eine der größten Errungenschaften, die wir als Rechtsstaat erreicht haben, und das ist wohl einer der größten Unterschiede zu Staaten, in denen Menschen von der Polizei niedergeknüppelt, gefoltert und ermordet werden, wenn sie sich gegen Unrecht erheben. Wir können also darüber streiten, ob mit Schlamm zu werfen schlimmer oder genau das Gleiche ist, wie mit Steinen zu werfen. Wir können uns darüber streiten, ob wir es angemessen finden, im Stau zu stehen, weil auf der Straße vor uns sich jemand angeklebt hat.
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Es ist richtig entschieden worden, dass es eine Straftat ist!)
Worüber wir – ich sage bewusst „wir“ – nicht streiten sollten, sind eine Verschärfung des Strafrechts gegen spezifische Gruppen und die Vorverurteilung des Klimaprotestes als Klima-RAF mitsamt vorbeugender Präventivhaft und ohne jegliches Gerichtsverfahren.
Dazu schaue ich mal kurz zur Union und insbesondere zur CSU. Als Abgeordnetem aus Bayern fällt es mir nicht schwer, da passende Beispiele zu finden; denn auch die CSU scheint immer wieder eigenwillige Wortfindungsstörungen beim Thema Rechtsstaatlichkeit zu haben – gerade in dieser Woche, wenn bezüglich einer Wahlrechtsform von einem „Schurkenstaat“ die Rede ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Also schauen wir mal kurz nach Bayern.
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Es geht aber um Lützerath hier, nicht um Bayern!)
Dort gibt es ein sowieso schon komplett fragwürdiges Polizeiaufgabengesetz, das die CSU vor der Landtagswahl im Jahr 2018 mit aller Macht durchgedrückt hat. Darin steht die Möglichkeit, Präventivhaft anzuordnen, um – so begründet es die CSU – terroristischen Straftaten vorzubeugen. Was die CSU aber tatsächlich macht, ist, Klimaktivistinnen und ‑aktivisten, die sich auf der Straße festkleben, über Weihnachten wegzusperren,
(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das macht nicht die CSU! Das macht ein unabhängiger Richter! Sie argumentieren völlig rechtsfrei! Ein bisschen Rechtsstaatsnachhilfe!)
und das, weil es schlicht in das Bild passt, das die CSU kurz vor der nächsten Landtagswahl zeichnen möchte. Eine Idee, auf die Sie von der AfD natürlich liebend gern aufspringen.
Solche Anwandlungen, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, untergraben den Rechtstaat. Das ist gefährlich, und das müssen besonders wir im Auge behalten. Deshalb betone ich abschließend ganz bewusst, dass es richtig und gut ist, dass – auch da schaue ich jetzt auf die Seite der AfD – dieser Prinz R., Ihre ehemalige Fraktionskollegin und andere vermeintliche Reichsbürger/-innen einen fairen und rechtsstaatlichen Prozess erleben werden, einen Prozess, in dem sie einen Anwalt an ihrer Seite haben, womöglich sogar mehrere, einen Prozess, in dem Argumente, Paragrafen und Beweise gegeneinander abgewogen werden, einen Prozess, an dessen Ende immer auch die Möglichkeit eines Freispruches besteht, falls diese Vorwürfe sich nicht belegen lassen.
Es ist gut, dass wir einen Rechtsstaat haben und in diesem leben und im Zweifel auch Debatten über Dinge führen, die ich eigentlich für selbstverständlich erachte.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Kein bisschen abgegrenzt von den kriminellen Akten! Und das bei der SPD! Das war der Tiefpunkt heute! – Gegenruf der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD] – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Michael Breilmann das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7550221 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 80 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Lützerath |