Anikó Glogowski-MertenFDP - Belarus
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der ersten Novemberwoche des vergangenen Jahres wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit Iryna Melkher und ihr Sohn Anton Melkher von einem Gericht in Belarus verurteilt. Anton Melkher wurde zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren, seine Mutter Iryna zu 17 Jahren Gefängnis sowie zu einer Strafe von umgerechnet 8 800 US-Dollar verurteilt. Der Vorwurf gegen Iryna und ihren Sohn Anton: terroristische Aktivitäten.
Es sind nur zwei Namen von Menschen, die sich an Protesten gegen das repressive Regime Alexander Lukaschenkos beteiligt haben. Ich habe für die beiden die politische Patenschaft übernommen und mache immer wieder auf ihr Schicksal aufmerksam. Sie sollen in dieser Rede stellvertretend für die Tausende Menschen stehen, die sich in Belarus in politischer Haft befinden, darunter auch der Mann der belarussischen Exiloppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, Sergej Tichanowski, die Bürgerrechtlerin Maria Kalesnikawa, der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2022 und Vorsitzende des belarussischen Menschenrechtszentrums „Viasna“, Ales Bjaljazki, und viele, viele mehr. Ihr Schicksal: ungewiss.
Der zur Debatte stehende Antrag der Union trägt den zuversichtlichen Titel „Belarus in die europäische Völkerfamilie zurückführen – Den Freiheitswillen der Menschen unterstützen“. Dies ist ein mehr als wünschenswerter Anspruch. Nach den Massenprotesten im Zuge der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 und der indirekten Teilnahme des Regimes in Minsk als Vasallenstaat der Russischen Föderation am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist Belarus derzeit in Europa isolierter denn je. Jegliche Form zivilgesellschaftlichen Engagements oder auch politischer Opposition wird von Behörden und Justiz aggressiv niedergeschlagen. Es gibt Berichte von systematischen Inhaftierungswellen, Zwangsarbeit, Willkürjustiz und Folter. Im Fadenkreuz der staatlichen Verfolgung: Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Medienschaffende, Künstler, Oppositionelle, Kriegsgegner, LGBTQI-Vertreter und jede und jeder, die oder der sich in den Augen des Regimes unerwünscht gegen die staatliche Doktrin stellt.
Wenige Wochen vor seiner Festnahme warnte der Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki vor einem – Zitat – „Nordkorea an der EU-Außengrenze“ und sprach von einer „noch nie da gewesenen Vernichtung der Zivilgesellschaft“. Es stellt sich ein Gefühl der Ohnmacht ein im Angesicht der mehr als prekären Lage für Menschenrechte und Demokratie in Belarus.
Was können wir tun, um die Menschen in Belarus bei ihrem Kampf für mehr Freiheit und politische Mitbestimmung zu unterstützen? Einige offensichtliche Maßnahmen liegen dabei auf der Hand und wurden von der deutschen Bundesregierung und der EU bereits umgesetzt. So hat die EU in Abstimmung mit ihren Verbündeten im vergangenen Jahr bereits harte Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Belarus verhängt. Zusammen mit seinen EU-Partnern erkennt die Bundesrepublik Deutschland zudem die Legitimität der sechsten Amtszeit Lukaschenkos nicht an. Diese Maßnahmen sind richtig, wenngleich sie zu mehr Isolation Belarus’ in Europa führen.
Wichtiger denn je ist es daher heute, den Kontakt zur Zivilgesellschaft und vor allem zur Exilopposition zu suchen. Seit den Massenprotesten gegen Lukaschenko haben etwa 400 000 Menschen das Land verlassen. Viele von ihnen gingen in die angrenzenden Nachbarländer Litauen, Polen, die Ukraine, aber auch nach Deutschland. Die belarussische Diaspora organisiert Hilfen für Geflüchtete, Unterstützung für Menschen aus der Ukraine und baut Netzwerke für den Widerstand aus dem Exil auf. Swetlana Tichanowskaja ist dabei die wichtigste Klammer zwischen oppositionellen Exilgruppen europaweit. Sie verdient uneingeschränkte Unterstützung. Dabei können auch Kultureinrichtungen und Institutionen unterstützen; denn sie haben oft die nötigen Mittel und eine breite öffentliche Plattform.
Die Geschichte lehrt uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich zivilgesellschaftliche und politische Transformation unter den widrigsten aller Umstände durchsetzen kann.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Kampf um mehr Freiheit und mehr Demokratie und Menschenrechte ist nie vergebens. Er ist es auch nicht in Belarus, wo normale Menschen wie Iryna und Anton Melkher ihre persönliche Freiheit, vielleicht sogar ihr Leben für mehr Mitbestimmung und Teilhabe riskieren.
Alexander Lukaschenko hat allen Grund zur Nervosität; denn die Stimmen jener, die mehr Mitbestimmung und Demokratie fordern, werden nicht verstummen, und wir werden sie mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Wir unterstützen Free Belarus.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)
Vielen Dank, Frau Kollegin Glogowski-Merten. – Als nächster Redner hat das Wort der fraktionslose Kollege Matthias Helferich.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7550305 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 81 |
Tagesordnungspunkt | Belarus |