Johannes SchrapsSPD - Belarus
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel, Belarus in die europäische Völkerfamilie zurückzuführen, ist in der Tat ein wichtiges und sehr wünschenswertes Ziel. Ich freue mich, dass das auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion, die den Antrag erarbeitet haben, so sehen und so deutlich im Antrag ausdrücken. Die wichtigste Frage bleibt dennoch: Wie können wir das tatsächlich erreichen?
Mittelfristig können wir aus unserer Sicht die Wiedereinbindung und die Demokratisierung von Belarus vor allem dadurch voranbringen, dass wir die Ukraine in ihrem Kampf gegen das putinistische Russland unterstützen und indem wir dafür sorgen, dass das Nachbarland von Belarus sich demokratisch weiterentwickeln kann. Dazu gehört auch, die vorhandenen Sanktionen nicht nur gegenüber den belarussischen, sondern auch gegenüber den russischen Verantwortungsträgern, also gegenüber beiden autoritären Nachbarregimen, aufrechtzuerhalten und, wo notwendig, möglicherweise auch noch zu verstärken; denn ohne die Unterstützung von Putin haben Lukaschenko und sein Regime keine Chance. Ein freies Belarus hängt eng mit einer freien und demokratischen Ukraine und mit einem freien und demokratischen Russland zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Darauf müssen wir hinarbeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Diesen Aspekt übersehen die Autorinnen und Autoren des vorgelegten Antrags leider komplett.
Die Situationsanalyse in Ihrem Antrag ist ansonsten weitgehend richtig, wenn auch weiterhin sehr traurig und frustrierend. Das bedeutet jedoch selbstverständlich nicht, dass man nicht auch etwas für die belarussische Zivilgesellschaft tun könnte, obwohl Putin und Lukaschenko an der Macht sind. Wenn ein Land nicht demokratisch regiert wird, dann heißt das ja in der Tat nicht, dass es keine demokratischen Kräfte in dieser Gesellschaft gibt. Diese sollten wir weiter unterstützen: diejenigen in Belarus und auch diejenigen, die das vom Ausland aus tun.
Richtig ist, dass Swetlana Tichanowskaja und ihrem Exilbüro eine besondere Rolle zukommen soll und muss. Schließlich ist sie diejenige, die bei den Wahlen im August 2020 nach allem, was wir wissen, eigentlich zur Präsidentin von Belarus gewählt wurde. Gleichzeitig dürfen wir es uns aber auch nicht zu einfach machen und uns nur auf die Unterstützung ihres Exilbüros fokussieren; denn die belarussischen Oppositionskräfte sind sehr divers aufgestellt, und wir sollten sie deshalb alle im Blick haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mir ist an dieser Stelle ganz wichtig, wie einige Kolleginnen und Kollegen auch, noch mal darauf hinzuweisen, dass wir den vielen politischen Gefangenen in Belarus helfen müssen. Nach aktuellen Zahlen sind mindestens 1 420 Menschen aus politischen Gründen in Haft, Tendenz leider wieder weiter steigend. Wenn sie das Glück haben, freigelassen zu werden, dann kommen viele von ihnen ins Ausland, auch zu uns nach Deutschland. Deswegen müssen wir uns um diese Menschen kümmern, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Viele Kolleginnen und Kollegen hier im Haus haben Patenschaften für politische Gefangene im Iran übernommen. Das ist extrem wichtig. Und dennoch möchte ich daran erinnern, dass dies auch für Belarus wichtig bleibt. Ich habe seit 2020 die Patenschaft für Pawel Juchnewitsch aus der oppositionellen Gruppe „Europäisches Belarus“ übernommen. Er sitzt seit September 2020 in Haft. Deshalb rufe ich hier das belarussische Regime heute auch noch mal dazu auf: Lassen Sie Pawel und die anderen ungerechtfertigt einsitzenden Inhaftierten in Belarus frei!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])
Die Proteste nach den gefälschten Wahlen in Belarus sind mittlerweile zweieinhalb Jahre her. Einige belarussische Oppositionelle sind bereits damals ausgereist. Insbesondere diejenigen, die deshalb jetzt schon länger ins Ausland, und zwar ins europäische Ausland, geflüchtet sind, befinden sich mittlerweile in einer recht skurrilen Situation. Denn ihre Reisepässe sind mittlerweile vielfach abgelaufen. Sie können keine neuen Pässe beantragen, ohne erneut ins Visier der belarussischen Sicherheitsdienste zu geraten.
Polen und Litauen haben sich bereits mit der Problematik befasst und arbeiten daran, ein System zu entwickeln, wie man diese Situation pragmatisch lösen kann, indem man spezielle Reisedokumente ausstellt, die diesen belarussischen Geflüchteten auch weiterhin Reisefreiheit ermöglichen. Wir sollten uns dieser Initiative anschließen. Ich bin der Überzeugung, dass wir diese Schwierigkeit eigentlich auch europäisch lösen müssten, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion: Sie haben mit diesem Antrag gezeigt, dass Sie die Situation in Belarus mehr oder weniger prägnant beschreiben können. Im Großen und Ganzen – das hat, denke ich, die gesamte Debatte gezeigt – sind wir uns hier im Haus über die notwendige weitere Unterstützung der demokratischen Kräfte in Belarus weitgehend einig.
Ich habe ein paar wichtige Dinge angesprochen, die aus meiner Sicht in diesem Antrag fehlen. Er stellt aus meiner Sicht auch nicht einen so richtig inhaltlichen Mehrwert dar; denn die Dinge, die da beschrieben sind, machen wir zu großen Teilen schon. Abgesehen von der Aufmerksamkeit, die der Kollege Abraham am Anfang angesprochen hat, ist da nicht so richtig viel mehr drin. Es ist trotzdem gut, dass wir den Antrag an den Ausschuss überweisen, die Thematik weiter auf der Agenda haben und dass wir uns dort gemeinsam für die weitere Unterstützung eines demokratischen Belarus’ einsetzen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und noch einen angenehmen Abend.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7550308 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 81 |
Tagesordnungspunkt | Belarus |