Carmen WeggeSPD - Änderung des Strafgesetzbuches
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor etwa einem Jahr stand ich bereits hier vorne und durfte in diesem Hause meine erste Rede halten zum Thema Mut, zum Mut der SPD und der Fortschrittskoalition, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten nicht nur zu benennen, sondern sie auch zu überwinden, unter anderem auch in der Rechtspolitik. Was soll ich sagen? Wir haben bereits im ersten Jahr diesen Mut mit verschiedenen Gesetzesänderungen unter Beweis gestellt. Dabei will ich eine ganz besonders herausgreifen.
Wir haben mit der Abschaffung des § 219a StGB eine althergebrachte Strafrechtsnorm überwunden, Ärztinnen und Ärzten endlich die Möglichkeit gegeben, sachlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren und so die Rechte Schwangerer gestärkt. Eine Streichung mit ganz großer Wirkung für die Frauen und ihr reproduktives Selbstbestimmungsrecht in unserem Land!
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Aber natürlich reicht das noch nicht. Wir wollen weitermachen. Wir sind noch lange nicht fertig mit der Umsetzung einer fortschrittlichen Rechtspolitik, wie wir sie uns vorstellen. Es freut mich außerordentlich, dass die Linke uns heute mit ihren Anträgen die Gelegenheit gibt, über einige ausstehende Projekte zu reden, die wir in den nächsten Monaten angehen werden und bei denen wir bereits im laufenden Verfahren sind, Projekte, die gerade für uns als SPD unter der Überschrift „mehr Gerechtigkeit“ stehen, eine Überschrift, die auch über den Vorlagen der Linken stehen könnte; denn gerade Gerechtigkeitsdefizite sind es, die wir abschaffen wollen und die sich leider häufig im Bereich des Strafrechts manifestieren.
Wie Bundesjustizminister Marco Buschmann angekündigt hat, wird das Jahr 2023 das Jahr, in dem wir das Strafrecht umfassend modernisieren und jeden Paragrafen anhand des Ultima-Ratio-Prinzips und seiner tatsächlichen Wirksamkeit evaluieren.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir werden unsere Kriminalpolitik genau unter die Lupe nehmen und uns an Evidenz und der Evaluation bisheriger Gesetzgebung orientieren. Diese Herangehensweise hat zum Beispiel schon jetzt dazu geführt, dass sich die Exekutive in den vergangenen Wochen mit der Frage beschäftigt hat, ob das sogenannte Containern im Jahr 2023 strafbar sein sollte. Wenn Menschen weggeworfenes Essen aus Containern retten, weil man es noch essen kann, und sie genau dafür bestraft werden, löst das ein Störgefühl aus: Das ist ungerecht.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die beiden Minister Özdemir und Buschmann haben sich deshalb darauf verständigt, die Bundesratsinitiative aus Hamburg, die bei den RiStBV ansetzt, zu unterstützen – ein erster wichtiger Schritt. Die Linken würden mit ihrem Vorschlag Ähnliches im StGB regeln. Aus meiner Sicht kann es bei dem Themenkomplex des Containerns jedoch nicht nur um das Absehen von Strafverfolgung gehen. Das eigentliche Gerechtigkeitsdefizit hier ist, dass es zu einer massiven Lebensmittelverschwendung kommt. Lebensmittel sind als Teil der natürlichen Lebensgrundlage in Artikel 20a Grundgesetz besonders geschützt. Wir als Gesetzgeber haben die Aufgabe, uns für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einzusetzen und der Lebensmittelverschwendung den Kampf anzusagen. Eine solche ist jedoch nicht verhindert, wenn wir die RiStBV oder das StGB, wie vorgeschlagen, ändern. Deshalb an dieser Stelle eine kurze Anmerkung: Schon im Jahr 2016 wurde das französische Gesetz zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung erlassen. Nach diesem Vorbild könnten auch wir die Menge an weggeworfenen Lebensmitteln drastisch reduzieren, indem wir ganz konkret eine am Allgemeinwohl orientierte Spendenverpflichtung der Lebensmittelläden ins Visier nehmen. Auf diese Weise reduzieren wir auch die Zahl derer, die im Kontext des Containerns wegen Diebstahls und/oder Hausfriedensbruch strafrechtlich verfolgt werden, weil es dann keinen Grund mehr für das Containern gibt.
2023 wird aber auch das Jahr, in dem wir mehr Gerechtigkeit bei strafrechtlichen Sanktionen, insbesondere gegen Kleinstkriminalität, schaffen. Eine steigende Zahl von Menschen befindet sich wegen nicht bezahlter Geldstrafen in Haft. Diese sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe trifft viel zu oft bereits benachteiligte Bevölkerungsgruppen, die nicht etwa unwillig sind, die ihnen auferlegte Geldstrafe zu zahlen, sondern schlicht nicht dazu in der Lage sind, dieses Geld aufzubringen. Die Ersatzfreiheitsstrafe sorgt dafür, dass die Schwächsten in unserer Gesellschaft wegen geringer Geldstrafen, oft von unter 1 000 Euro, inhaftiert werden. Die Ersatzfreiheitsstrafe muss daher reformiert werden. Ein erster Entwurf ist bereits im Kabinett beschlossen, und ich bin mir sicher, dass wir hier im Parlament den Entwurf wie immer noch ein bisschen besser machen werden. Ihre Anregungen nehmen wir da gerne mit.
Zu einer gerechten und solidarischen Rechtspolitik gehört es aber auch – das habe ich vorhin schon anklingen lassen –, die Rechte aller Menschen gleichermaßen zu schützen und jede Person mit den Mitteln des Rechtsstaates zu unterstützen. Hier spreche ich vor allem auch über unsere Freundinnen und Freunde, Nachbarinnen und Nachbarn und Kolleginnen und Kollegen, die tagtäglich von frauen- und/oder queerfeindlichen Straftaten betroffen sind. Die zunehmenden gewalttätigen Übergriffe auf queere Menschen in den letzten Jahren und die weiterhin erschreckend hohe Zahl an Gewalttaten von Männern gegenüber ihren Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen richten sich gegen das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen und allen queeren Menschen. Werden Taten wegen des Geschlechts oder wegen der sexuellen Orientierung des Opfers begangen, werden wir das in Zukunft nicht nur klar benennen, sondern es wird nach einer Änderung des § 46 StGB auch strafverschärfend wirken; das hat auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Lassen Sie mich abschließend noch auf ein letztes Thema eingehen. 2023 ist das große Jahr des Strafrechts. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass es ausschließlich das große Jahr des StGB ist. Denn es finden sich auch ungerechte Strafvorschriften außerhalb des Strafgesetzbuches. 2023 wird das Jahr, in dem wir im Betäubungsmittelgesetz endlich für Gerechtigkeit sorgen und ein Stück weit Geschichte schreiben werden: Wir entkriminalisieren Cannabis. Wir legalisieren Cannabis. Und da können manche bayerischen CSU-Fürsten noch so laut schreien – die Prohibitionspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte ist gescheitert. Punkt!
Mindestens 10 Prozent der deutschen Bevölkerung konsumieren regelmäßig Cannabis, eine Droge, die laut Studienlage keine Einstiegsdroge ist, sondern eine, die im Vergleich mit Alkohol und Tabak das geringste Suchtpotenzial hat. Jedes Jahr werden um die 230 000 Strafverfahren geführt, und das fast ausschließlich gegen Konsumentinnen und Konsumenten und nicht gegen illegale Händler/-innen. Trotz Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 wird auch bei geringen Mengen in manchen Bundesländern nicht von Strafe abgesehen, und seit Neuestem werden die CBD-Shops ausgeräumt und geschlossen. Das ist ungerecht, und Ungerechtigkeiten müssen beendet werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die Entkriminalisierung von Cannabis ist daher Teil unserer großen Gesundheits- und Gerechtigkeitsoffensive, auf die wir uns dieses Jahr freuen können.
Dieses Jahr wird ein Jahr voller mutiger Entscheidungen sein. Begleiten Sie uns dabei gerne!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vielen Dank, Frau Kollegin Wegge. – Das Wort hat nunmehr der Kollege Ingmar Jung, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7550394 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 82 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Strafgesetzbuches |