Axel MüllerCDU/CSU - Änderung des Strafgesetzbuches
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befassen uns ja mit fünf Anträgen der Linken zum formellen und materiellen Strafrecht, und ich konzentriere mich auf das Thema „Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und Ausweitung der Bestellung eines Verteidigers“. Zu den Themen „Schwarzfahren“ und „Containern“ hat mein Kollege Ingmar Jung schon die entsprechenden Ausführungen gemacht.
Ich möchte an dieser Stelle schon einmal einfließen lassen: Das Strafrecht ist kein Tummelfeld, um gesellschaftspolitische, klassenkämpferische Veränderungen vornehmen zu wollen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir auch nicht!)
Das möchte ich doch deutlich betonen, und das sage ich als Strafrichter, der nur nach Gesetz und ohne Ansehen der Person gehandelt hat.
Die Antragsteller fordern die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe, es sei denn, es liege ein Gewaltdelikt vor. Zum Verständnis: Es gibt zwei Möglichkeiten, im Erwachsenenstrafrecht zu sanktionieren: die Freiheitsstrafe oder die in aller Regel mildere Geldstrafe. Die Justiz hat im Prinzip zwei Arme bekommen, mit denen sie reagieren und zupacken kann, und einen wollen Sie mit Ihrem heutigen Antrag teilamputieren.
(Clara Bünger [DIE LINKE]: Das stimmt!)
– Das ist so.
Begründet wird das damit, dass es Unterschiede gebe in den Vermögensverhältnissen, die dazu führten, dass eine ungleich schärfere Bestrafung bei Menschen mit niedrigem Einkommen gegenüber Menschen mit höherem Einkommen stattfinde. Das führe auch zu einer Ent- und jedenfalls zu keiner Resozialisierung, da die Vollstreckung in der Justizvollzugsanstalt oftmals mit einem Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung verbunden sei.
(Ates Gürpinar [DIE LINKE]: Richtig!)
Bei dieser doch sehr vereinfachten Sicht der Dinge übersehen Sie, wie ich Ihnen aus über zwei Jahrzehnten strafrichterlicher Praxis hier belegen kann,
(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja argumentieren! Richter können irren!)
dass das Gesetz eine ganze Reihe von Möglichkeiten bietet, um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen.
(Zuruf der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
Zur Erläuterung, weil wir auch viele Zuschauer haben: Die Geldstrafe setzt sich zusammen aus der Anzahl der Tagessätze – zwischen 5 und 360 – und der jeweiligen Höhe des einzelnen Tagessatzes – zwischen 1 und 30 000 Euro –, also zum Beispiel 30 Tagessätze zu je 20 Euro, wobei die Anzahl der Tagessätze – und nicht etwa Summe – den Unwertgehalt der Tat zum Ausdruck bringt. Wenn bei Zahlungsunwilligkeit eine solche Geldstrafe nicht einbringlich ist, dann tritt an die Stelle eines Tagessatzes ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe. Das sind die Fakten.
(Zuruf der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
Diese Tagessatzhöhe bestimmt sich nicht nur nach dem Nettoeinkommen, wie Sie das ausführen, sondern in Wirklichkeit sind in der Regel die wirtschaftlichen Verhältnisse bestimmend. Dazu gehören neben dem Einkommen auch Unterhaltsverpflichtungen, existenzsichernde Darlehen, eventuell Arbeitslosigkeit, die Kosten für Wohnen, für eine Wohnung, die man abbezahlt, und, und, und.
Deshalb ist die Geldstrafe für den Verurteilten auch kalkulierbar und in den allermeisten Fällen letztendlich bezahlbar. Das Einkommen wird mangels Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch nicht lediglich geschätzt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte die Zwischenfrage. Ich habe Sie ja auch fragend angeschaut, Herr Präsident. – Bitte schön.
Herr Müller, Sie haben davon gesprochen, dass eine Zahlungsunwilligkeit bei Menschen besteht. Ich glaube, hier haben einige Rednerinnen dargestellt: Es geht nicht um die Zahlungsunwilligkeit von Menschen – das hat auch unsere Senatorin Lena Kreck deutlich gemacht –; es geht darum, dass Menschen einfach nicht zahlungsfähig sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Carmen Wegge [SPD])
Welche Antwort, welche Lösung bieten Sie diesen Menschen, um resozialisiert zu werden? Das wäre meine Frage an Sie.
(Beifall bei der LINKEN)
Vielen Dank für die Zwischenfrage. – Die beantworte ich, indem ich einfach mit der Rede fortfahre, und da werde ich Ihnen das dann im weiteren Verlauf aufzeigen, welche Möglichkeiten es dafür gibt. Sind Sie damit einverstanden?
(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was, wenn nicht?)
– Wenn nicht, dann mache ich es auch direkt. Dann habe ich weniger Zeit.
In der Regel wird zwar vom Nettoeinkommen ausgegangen, aber es werden alle wirtschaftlichen Verhältnisse herangezogen. Und das wird nicht nur geschätzt, sondern es wird auch ermittelt. Dazu braucht es in der Tat nicht die BaFin; dazu braucht es schlicht und einfach einen Richter, der fragt: Machen Sie Angaben zur Person und zur Sache? – In aller Regel macht der Beschuldigte genau bei diesen Kleinkriminalitätsdelikten Angaben zur Sache, und dann kann ich ihn das fragen, was ich brauche, um seine wirtschaftlichen Verhältnisse festzustellen.
(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit dem Strafbefehl?)
– Im schriftlichen Strafbefehlsverfahren – Frau Bayram, vielen Dank für den Zwischenruf –
(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habt ihr doch vereinbart!)
kommt es – das gestehe ich Ihnen gerne zu – oftmals nur zu einer Schätzung. Aber dort wird in den Rechtsbehelfsbelehrungen sehr eindringlich darüber belehrt, was es denn an Möglichkeiten gibt, um sich gegen eine solche Strafe, die möglicherweise aufgrund einer falschen Einschätzung festgesetzt wurde, zu wehren.
Ist die sofortige Zahlung nicht möglich aufgrund der persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse oder gar nicht zumutbar, dann gibt es auch eine Vielzahl von Zahlungserleichterungen, etwa Ratenzahlung, entweder durch das Gericht oder durch die Staatsanwaltschaft festgesetzt. Wenn der Verurteilte auf Dauer absehbar unpfändbar ist, dann wird ganz von der Vollstreckung abgesehen. Und führt am Ende gar kein Weg mehr an der Vollstreckung vorbei, so bedeutet das auch nicht automatisch die Inhaftierung im geschlossenen Vollzug. Besteht ein Arbeitsverhältnis, so gibt es die Möglichkeit zum offenen Vollzug: morgens zur Arbeit und abends in den Vollzug. Und es gibt die Möglichkeit des Ableistens von gemeinnütziger Arbeit.
Herr Kollege, erlauben Sie noch eine weitere Zwischenfrage?
Ich erlaube noch eine Zwischenfrage. Bitte schön.
Dann ist aber auch genug.
Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Wir haben am Anfang von der Senatorin aus Berlin gehört, wie viele Menschen wegen nicht bezahlter Knöllchen die Ersatzfreiheitsstrafe wählen und dadurch veranlasste Kosten auf den Weg bringen. Nach Ihrer Darstellung dürfte es das alles gar nicht geben. Was macht man da mit dem Realitätscheck? Kann es sein, dass es da ein Missverhältnis gibt? Oder kommt das auch noch in Ihrer Rede?
Sehr geehrte Frau Kollegin Bayram, genau das hätte ich auch noch ausgeführt,
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
auch wenn die Zeit knapp ist. Aber ich beantworte es an dieser Stelle direkt.
(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr großzügig heute, der Kollege Müller!)
Es soll auch Menschen geben, die schlichtweg zahlungsunwillig sind, und gegen die richtet sich die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe. Das gibt es: Unwillige, nicht nur Unfähige. Es gibt auch Unwillige, und für die gibt es auch noch die Möglichkeit – jetzt würde ich an der Stelle gerne fortfahren; Herr Präsident, Sie dürfen die Uhr wieder laufen lassen – „Schwitzen statt Sitzen“.
Herr Kollege Ex-Richter, ich bin ganz begeistert, dass Sie mir erlauben, dass ich jetzt weitermachen darf.
(Heiterkeit)
War ein Vorschlag. – Für diese Personen gibt es also „Schwitzen statt Sitzen“, in Baden-Württemberg sehr erfolgreich praktiziert. Und wenn ich von den Zuständen in den Berliner Vollzugsanstalten höre, die die Frau Senatorin vorhin geschildert hat, dann kommt mir auch das Grausen. Aber wer regiert denn eigentlich in Berlin? So was kenne ich aus Baden-Württemberg, ehrlich gesagt, nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, ich konnte schon aufzeigen, dass es Möglichkeiten gibt, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden. Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate haben doch eindrucksvoll gezeigt, dass ein starker Staat wirksame Mittel braucht, um die Einhaltung des Rechts durchzusetzen. Staatsleugner oder Gegner des Rechtsstaats bekämpft man nicht mit Strafen, die nur auf dem Papier stehen.
Ebenso wenig ist es notwendig, die geforderte Ausweitung der notwendigen Verteidigung vorzunehmen. Das Beispiel mit der Prozesskostenhilfe, das Sie gebracht haben, haben wir doch in der letzten Legislaturperiode ausgiebig beraten. Ich war selber Berichterstatter, und wir haben festgestellt, dass unsere Möglichkeiten der notwendigen Verteidigung bzw. der Beiordnung eines Verteidigers viel weiter gehen als das, was die EU-Richtlinie verlangt hat. Deshalb gibt es auch die Möglichkeit, jemandem, der sich aus psychischen oder finanziellen Gründen oder aus einer Suchtmittelproblematik heraus nicht selbst verteidigen kann, einen Verteidiger beizuordnen. Man macht das als Richter auch, weil man dann ein geordnetes Verfahren sicherstellt.
Das Strafrecht eignet sich nicht zum Klassenkampf.
Herr Kollege, Sie kommen jetzt bitte zum Schluss.
Wir lehnen die Anträge daher ab.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Nächster Redner ist der Kollege Helge Limburg, Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7550401 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 82 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Strafgesetzbuches |