26.01.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 82 / Zusatzpunkt 9

Jan DierenSPD - Aktuelle Stunde - Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Parteienfnanzierung

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Ich habe das Gefühl, verstehen werden Sie mich so oder so nicht.

(Beifall der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete in den demokratischen Fraktionen! Liebe Zuschauer/-innen! Wir haben uns in dieser Aktuellen Stunde mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung zu beschäftigen; eine Stunde lang. Das Bundesverfassungsgericht hat darin die Erhöhung der Gelder für die politischen Parteien in Deutschland von 165 Millionen auf 190 Millionen Euro für nichtig erklärt. Zwar sei es grundsätzlich in Ordnung, wenn die Parteien im Bundestag die Mittel für Parteien erhöhen, aber das müssten sie dann besser begründen, als es im Gesetz von 2018 der Fall war. So weit, so unspektakulär.

(Stephan Brandner [AfD]: „Unspektakulär“!)

Wenn man das so nüchtern betrachtet, muss man sich schon ein wenig darüber wundern, mit welcher Heftigkeit, fast schon Besessenheit, die Debatte hier vonseiten der AfD geführt wird: Klatsche, Diebstahl, Selbstbedienungsladen!

(Stephan Brandner [AfD]: Sie haben den Bürgern knapp 100 Millionen Euro abgeknüpft! Rechtswidrig!)

Die AfD zeichnet hier ein Bild von Korruption und Untreue bei den anderen Parteien an die Wand. Natürlich gibt es auch in Parteien Leute, die sich nicht an Regeln halten, Gesetze überschreiten, die ihr Amt nutzen, um sich selbst zu bereichern. Die gibt es in der CDU und in der FDP, bei den Grünen, bei den Linken und, ja, auch in der SPD mag es die geben,

(Stephan Brandner [AfD]: Sie haben die AfD vergessen!)

so wie in Unternehmen, Vereinen und in allen anderen gesellschaftlichen Gruppen auch; mal sind es mehr, mal sind es weniger. Dass es immer wieder Menschen gibt, die sich selbst bereichern, macht das natürlich kein Stück besser. Im Gegenteil: Das macht es umso nötiger, diese Fälle aufzuklären, sie zu verfolgen und dafür zu sorgen, dass das nicht passieren kann.

Jetzt könnte man denken, es wäre gut, wenn die AfD hier zur Aufklärung beitragen möchte. Aber wenn man der AfD hier zuhört, bekommt man den Eindruck, als wären alle korrupt, außer der AfD.

(Stephan Brandner [AfD]: Das haben Sie gesagt!)

Das lässt einen dann doch ein bisschen hellhörig werden, oder?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Warum eigentlich diese Besessenheit? Warum eigentlich dieser Drang, sich selbst mit weißer Weste zu zeichnen und mit dem Finger immer nur auf die anderen zu zeigen?

(Stephan Brandner [AfD]: Weil wir keine Gesetze machen! – Gegenruf der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat Sie doch keiner gefragt, Herr Brandner!)

Es gibt in der Psychologie – hören Sie zu! – das Konzept der Projektion. Psychologinnen und Psychologen und Psychoanalytiker/-innen sprechen dann von Projektion, wenn eine Person Eigenschaften oder Gefühle, die sie an sich selbst nicht wahrhaben möchte, die sie am liebsten wegschieben würde, anderen Personen andichtet und bei den anderen dann umso heftiger kritisiert und bekämpft.

(Stephan Brandner [AfD]: Erklären Sie doch mal den Nazivorwurf gegen uns!)

Eine Person zum Beispiel, die sich tief im Inneren schmutzig fühlt, die Angst davor hat, im eigenen Leben keine Ordnung zu haben, wird manchmal richtiggehend wütend und aggressiv, wenn eine andere Person ihre Wohnung nicht aufräumt, Klamotten oder Geschirr rumliegen lässt. Wenn man sich vor diesem Hintergrund die Besessenheit der AfD von der angeblichen Korruption anderer Parteien anschaut, wird das ein bisschen klarer.

Ich habe mal ein paar Fälle mitgebracht, und von ein paar haben wir gerade schon gehört.

Nur beispielhaft: ntv

(Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

berichtet vom Brandenburger AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Freiherr von Lützow, der wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Gegen Alice Weidel, die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, wurde bekanntermaßen wegen Verstößen gegen das Parteiengesetz ermittelt.

(Stephan Brandner [AfD]: Und was kam raus? Da kam nichts bei raus!)

Die AfD-Fraktion selbst musste an die Bundestagsverwaltung wegen Verstößen Gelder zurückzahlen. „ Correctiv“ hat ein ganzes Dossier von AfD-Spendenskandalen zusammengestellt,

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Stephan Brandner [AfD]: Wer finanziert denn „Correctiv“?)

und die Zeitung „Die Welt“, nicht gerade ein Sturmgeschütz linker Publizistik, titelt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –, dass „fast jeder zehnte AfD-Abgeordnete“ hier im Bundestag „Ärger mit dem Gesetz“ hat.

(Stephan Brandner [AfD]: Was sind das denn für Aussagen? – Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur jeder Zehnte?)

– Fast jeder Zehnte!

(Sebastian Hartmann [SPD]: Die Dunkelziffer! – Dietmar Nietan [SPD]: Nachweislich!)

Ausgerechnet also diejenigen von der AfD, die sich hier so scheinheilig inszenieren und auf andere schimpfen, sind die Ersten, die jede Gelegenheit im Amt ergreifen, um sich selbst zu bereichern.

Ich bin kein Psychologe und will mich hier deshalb mit einer Diagnose zurückhalten; aber einen Rat gebe ich vielleicht: Tun Sie sich selbst und vor allem auch uns einen Gefallen, und suchen Sie sich einen Therapieplatz! Arbeiten Sie an Ihren Problemen,

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

statt diese hier vor den Augen der gesamten Öffentlichkeit zur Schau zu tragen! Das würde Ihnen guttun und uns wirklich viel ersparen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Damit zurück zur Sache; denn das Bild von Unordnung und Korruption, das angebliche Debakel vor dem Bundesverfassungsgericht, das Sie hier an die Wand zu zeichnen versuchen, ist nämlich nüchtern betrachtet nicht viel mehr als ein völlig normaler Vorgang in einem Rechtsstaat.

Ich erinnere mich an mein Schwerpunktstudium im Parlaments- und Parteienrecht. Es ist ein paar Jahre her; aber da gehörte die Parteienfinanzierung zum Grundwissen. Über die Parteienfinanzierung entscheidet der Bundestag, also Abgeordnete aus den politischen Parteien. Das heißt: Am Ende entscheiden die Parteien hier selbst über ihre Finanzierung und die anderer politischer Parteien. So sieht es das Parteiengesetz vor, und es sieht gleichzeitig vor, dass darüber das Bundesverfassungsgericht die Kontrolle ausübt.

Gerade weil Parteien hier über ihre eigene Finanzierung entscheiden, ist es richtig, dass das Bundesverfassungsgericht dabei einen besonders strengen Maßstab anlegt und das jetzt auch im Urteil getan und gesagt hat: Eine Erhöhung der Mittel der Parteien darf zwar erfolgen, muss aber besonders gut begründet werden. – Bei der Erhöhung um 25 Millionen Euro war das nicht der Fall, auch wenn es gute Gründe für eine Erhöhung gibt, etwa die Digitalisierung oder die Tatsache, dass immer weniger Ehrenamtliche Plakate aufhängen, Veranstaltungen organisieren und Stühle schleppen wollen. Gleichzeitig sind Parteien heute partizipativer, und Mitgliederbeteiligung kostet natürlich zusätzlich Geld.

Das sind alles gute Gründe, die für eine Erhöhung sprechen können. Das heißt für uns jetzt: In Ordnung –

Kollege.

– ich komme zum Ende –, dann müssen wir eben noch mal genauer hinschauen und ordentlich prüfen, ob sich aus diesen Entwicklungen ein erhöhter Finanzbedarf für die Parteien ergibt und, wenn ja, wie hoch dieser ist.

Genau das werden wir jetzt tun – gründlich und in Ruhe. Und damit ist eigentlich auch alles gesagt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7550432
Wahlperiode 20
Sitzung 82
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde - Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Parteienfnanzierung
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