Volker UllrichCDU/CSU - Queere Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 27. Januar ist als Tag zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus eines der wichtigsten Ereignisse im parlamentarischen Kalender, nicht nur, weil wir wegen der Singularität der Shoah der Opfer besonders zu gedenken verpflichtet sind, sondern auch, weil sich in den letzten Jahren die parlamentarische Tradition eingebürgert hat, dass aus den unterschiedlichen Opfergruppen Überlebende und Zeitzeugen zu Wort kommen, um ihr Leid exemplarisch darstellen zu können. Das ist ein wichtiger Teil unserer Aufarbeitung. Mit Aufarbeitung und mit Gedenken gibt der Staat, gibt dieser Bundestag den Opfern ihre Würde zurück. Und das ist auch wichtig bei den Opfergruppen, die als Queere morgen im Mittelpunkt der Debatte stehen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir müssen einfach anerkennen, dass diese Menschen viel zu lange im Schatten der Geschichte standen und dass gerade der Schatten der Grund war, dass ihnen Gerechtigkeit nicht widerfahren ist. Es ist wichtig, auch ihr Schicksal zu erzählen, damit es nicht verloren geht. Etwa 50 000 Männer sind während des NS-Regimes nach § 175 StGB verurteilt worden. Etwa 10 000 bis 15 000 – die Zahlen sind unklar – mussten den Weg in ein KZ antreten. Viele davon haben nicht überlebt. Und was muss das auf diese Menschen für einen Eindruck gemacht haben, wenn sie erfahren haben, dass in den 50er- und 60er-Jahren Menschen noch wegen desselben Paragrafen strafrechtlich verurteilt und wegen ihrer persönlichen Identität eines Teils ihres Lebens beraubt wurden? Das war Unrecht. Es ist gut – und ich füge hinzu: leider zu spät –,
(Beifall des Abg. Axel Müller [CDU/CSU])
dass der Deutsche Bundestag 2017 diese Urteile aufgehoben und die Opfer rehabilitiert hat.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Die Geschichte ist aber nicht auserzählt. Bei vielen anderen Opfergruppen stand die parlamentarische Beratung am Ende eines historischen Aufarbeitungsprozesses. Morgen werden wir Zeugen einer parlamentarischen Gedenkstunde, bei der die historische Aufarbeitung erst noch folgen muss, weil viel zu wenig über das Schicksal der queeren Opfer des Nationalsozialismus bekannt ist.
Aber: Aufarbeitung ist das eine, die Verpflichtung zum Handeln ist das andere. Erinnerung bedeutet auch immer handeln. Wir haben den Auftrag, dass wir ein deutliches Signal setzen, dass jeder Mensch so sein darf und so leben kann, wie er möchte, dass diese Gesellschaft sich Queerfeindlichkeit und Diskriminierung wegen der sexuellen Identität mit aller Macht entgegenstellt. Das ist etwas, was in diesem Land nicht geschehen darf.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])
Wenn wir da über Rechtspolitik sprechen und einen Blick auf Artikel 3 des Grundgesetzes werfen: Dort werden Opfergruppen erwähnt. Es darf niemand wegen Herkunft, Religion, Sprache, Heimat oder der politischen Anschauung diskriminiert werden. Und ja, es wäre auch ein rechtspolitisch mittlerweile angemessenes Signal, dass auch die sexuelle Identität in Artikel 3 aufgenommen wird.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Lassen Sie uns darüber reden und morgen der Menschen und ihres Schicksals gedenken.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Ullrich. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Awet Tesfaiesus, Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7550491 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 82 |
Tagesordnungspunkt | Queere Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung |