Philipp AmthorCDU/CSU - Änderung des Bundeswahlgesetzes - Wahlrechtsreform
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zu Beginn dieser Debatte wirklich nötig – nach den Vorhalten, die wir hier aus der Ampel gehört haben –, mit einigen Mythen aufzuräumen.
(Konstantin Kuhle [FDP]: Da bin ich gespannt!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als CDU/CSU waren nie gegen eine Verkleinerung des Deutschen Bundestages,
(Widerspruch bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Beatrix von Storch [AfD]: Sie haben sie nur verhindert!)
sondern wir waren dafür.
(Konstantin Kuhle [FDP]: Er ist aber immer größer geworden!)
Wir haben dafür auch nicht nur einen Vorschlag, sondern etliche Vorschläge gemacht, die Sie nicht hören wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)
Das gehört zur Wahrheit.
Ich will Sie auch an Folgendes erinnern: Es sind Ihre Fraktionsvorsitzenden gewesen, die vertraulich und exklusiv einen Brief an Friedrich Merz geschrieben und um Kompromissverhandlungen gebeten haben. Wir haben daraufhin Vorschläge gemacht. Angesichts Ihrer Vorträge heute müssen nicht wir uns nach unserer Kompromissfähigkeit fragen lassen, sondern Sie sich nach Ihrem Kompromisswillen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 16 Jahre nichts gemacht!)
Denn zur Wahrheit gehört schon: Wenn Sie Verhandlungen anbieten, dann müssen Sie auch bei Ihren Vorschlägen kompromissbereit sein.
(Marianne Schieder [SPD]: Ein Kompromiss ist ein Zusammenkommen und nicht Einseitigkeit!)
Deswegen will ich die Gelegenheit nutzen, auch konstruktiv, anhand von zwei Beispielen zu erklären, was uns an Ihren Vorschlägen stört, was sich ändern muss, damit wir einen Kompromiss finden können, der im Zweifel auch verfassungskonform ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns ist klar: Die Bürgerstimme muss auch in Zukunft eine nachvollziehbare Heimatstimme bleiben.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ihr Kappungsmodell geht davon aus, dass Wahlkreise in Zukunft nicht mehr gewonnen, sondern zugeteilt werden. Ich frage mich schon: Was ist das für ein Verständnis der Unmittelbarkeit der Wahl, wenn nicht der Wähler mit seiner Stimme zuteilt, wer einen Wahlkreis gewinnt, sondern eine von Ihnen erdachte Rechenoperation, liebe Kolleginnen und Kollegen?
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie bei Staatsrecht I nicht aufgepasst!)
Sie wollen, dass ein Kandidat am Sonntag im Rathaus mit seinen Wahlhelfern feiert und sagt: Ich habe gewonnen. Wir haben die meisten Stimmen in unserem Wahlkreis erzielt. – Am Montag gibt es dann vielleicht den Anruf des Bundeswahlleiters, der sagt: Ätsch, bätsch, Sie haben zwar die meisten Stimmen, aber Sie werden nicht Mitglied des Bundestages.
(Sebastian Hartmann [SPD]: So ist es regelmäßig passiert! – Abg. Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Felix Banaszak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] melden sich zu einer Zwischenfrage)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann niemand nachvollziehen. Wer einen Wahlkreis gewinnt, der muss in den Deutschen Bundestag einziehen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Herr Kollege Amthor, erlauben Sie eine Zwischenfrage vom Abgeordneten Steffen?
Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank. – Herr Kollege Amthor, Sie haben ja auch Jura studiert.
(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
In der Vorlesung Staatsrecht I wird man unter anderem durch die verschiedenen Wahlsysteme, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, geführt. Auch in dem sehr geschätzten und geliebten Bundesland Bayern ist es so, dass alle Parteien um Wahlkreismandate und Listenmandate konkurrieren können. Es ist nicht so, dass sich nur diejenigen um Wahlkreismandate bewerben können, die am Ende der CSU oder SPD oder Grünen oder FDP gehören – AfD und Freie Wähler sind dort auch im Landtag –, sondern auch diejenigen, die anderen Parteien angehören. Was passiert, wenn ein Vertreter einer solchen Partei die meisten Stimmen
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Die heißen „Stimmkarten“!)
in einem bayerischen Wahlkreis erzielt? Dann ist es so, dass er am Ende nicht im Landtag sein darf; er bekommt das Mandat nicht zugeteilt.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Weil es ein völlig anderes Wahlrecht ist!)
Mich interessiert auch, wo Sie das mit der Heimatstimme und der Bürgerstimme in der Verfassung finden.
(Konstantin Kuhle [FDP]: „Schurkenstaat“!)
Würden Sie sagen: „Gerade in Bayern wird das Recht, dass die im Wahlkreis abgegebene Stimme sich auch tatsächlich im Bayerischen Landtag wiederfindet, in besonderer Weise mit Füßen getreten“?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Lieber Herr Kollege Steffen, es ist sehr schön, dass Ihre Erinnerungen an Ihre Staatsrechtsvorlesungen zurückreichen. Noch schöner wäre es, wenn sie in die vergangene Wahlperiode – Sie waren noch nicht dabei – zurückreichen würden; denn da haben wir zur Begründung des Kappungsmodells, das damals vor allem die AfD vertreten hat, aber auch Teile der SPD, immer wieder die Referenz auf das bayerische Wahlrecht gehört; das sei doch ein vergleichbarer Fall.
Ich stelle herzlich gerne die Protokolle der vergangenen Wahlperiode zur Verfügung, die belegen, dass diese Vergleichbarkeit eben nicht gegeben ist, und zwar aus dem einfachen Grund, dass das Wahlrecht in Bayern an dieser Stelle ein ganz anderes ist. Die Nichtzuteilung des Direktmandates wird hier im personalisierten Wahlrecht verknüpft.
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein!)
– Ja, im personalisierten Verhältniswahlrecht wird sie verknüpft zwischen Erst- und Zweitstimme.
(Konstantin Kuhle [FDP]: Was?)
Das ist aber etwas anderes als das System der fehlenden Hauptstimmendeckung.
(Konstantin Kuhle [FDP]: „Schurkenstaat“!)
Diese Vergleichbarkeit konnten Sie noch nie belegen; das gelingt Ihnen auch mit dieser Finte nicht. „ Iudex non calculat“, heißt es oft. Ich werden Ihnen gleich erklären, warum Sie doch Rechenfertigkeiten brauchen. Dieser Vergleich schlägt jedenfalls fehl, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Konstantin Kuhle [FDP]: Warum?)
Das bayerische Wahlrecht ist damit nicht zu vergleichen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Bruno Hönel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt schwimmen Sie aber ganz schön, Herr Amthor!)
Ich sage Ihnen, was Sie wollen: Sie wollen eine Wahlkreiswahl, in der Sie Wahlkreise als Wahlkreise bezeichnen, es am Ende aber gar keinen Wahlkreissieger gibt. Ich finde, solche Wahlkreise haben den Namen „Wahlkreis“ nicht verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es aber eng, Herr Amthor!)
Jetzt will ich Ihnen das mal erklären, und zwar nicht aus unserer Betroffenheit heraus, sondern aus Ihrer Betroffenheit heraus. Ich wähle ein Beispiel, das vor allem die Kollegen der SPD betrifft, damit Sie Ihr neues System verstehen. Ich möchte mir mit Ihnen mal die SPD in Bremen anschauen. Es gibt in Bremen zwei Wahlkreise. Beide wurden von der SPD gewonnen: Kollegin Ryglewski und Kollege Uwe Schmidt. Ich weiß nicht, ob die beiden hier sind. Das könnte für sie interessant werden; denn beide Kollegen haben ihre Wahlkreise gewonnen.
In Bremen gibt es nach Ihrem Modell aber nur die Hauptstimmendeckung für einen Wahlkreis. Deswegen ist es wie im Wilden Westen: Es kann nur einen geben! Ryglewski oder Schmidt, wer zieht in den Deutschen Bundestag ein? Der Kollege Schmidt hat 36,9 Prozent erzielt, die Kollegin Ryglewski 30,2 Prozent. Nach Ihrem Modell ist klar: Herr Schmidt zieht ein, Frau Ryglewski bleibt zu Hause. Dummerweise hat sie aber 56 000 Stimmen geholt und Herr Schmidt nur 52 500. Das heißt, die Kollegin, die in Bremen von allen Direktkandidaten die meisten Stimmen gewonnen hat, muss zu Hause bleiben, und jemand anderes gewinnt. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie kurz aufpassen, dass Sie nicht aus der Kurve fliegen!)
Das Absurde an Ihrem System ist: Damit Frau Ryglewski in den Bundestag einzieht, braucht sie nicht eine Stimme mehr als Herr Schmidt, sondern sie braucht 16 500 Stimmen mehr. Das ist so, wie wenn bei einem 500-Meter-Rennen der eine auf der 100-Meter-Marke startet und die andere auf der Startposition. Zu erkennen, dass das nicht fair ist, dafür muss man nicht mal Jura studiert haben; dafür reichen die Grundrechenarten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So bestreiten Sie das Wahlrecht seit 16 Jahren!)
Das ist kein Einzelfall. Ich könnte jetzt auch auf das Ruhrgebiet eingehen. Schauen Sie sich mal die Größe der Wahlkreise dort an! Das, was Sie hier machen, dieser kompetitive Vergleich der Wahlkreise, verzerrt dramatisch den Wert der Stimmen. Das werden wir so nicht mitmachen. Wir wollen den Wert der Bürgerstimme in den Wahlkreisen erhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt, Bürger- oder Heimatstimme? Da müssen Sie sich entscheiden!)
Ein zweites Beispiel führt uns nach Brandenburg. Dort ist Ihr SPD-Kollege Hannes Walter in seinem Wahlkreis mit 25,4 Prozent erfolgreich gewesen, knapp vor der AfD. Für eine Hauptstimmendeckung hätte das nach Ihrem System aber natürlich nicht gereicht. Die Krux ist aber: Wäre Ihr Herr Walter ein parteiunabhängiger Bewerber gewesen, hätte er mit exakt derselben Zahl an Stimmen den Einzug in den Deutschen Bundestag geschafft.
(Sebastian Hartmann [SPD]: Mit einem Riesennachteil: dass er nicht in der SPD-Fraktion wäre!)
Also kann man nur sagen: Wer als SPD-Bewerber gegen die AfD gewinnt, muss – nach Ihrem Modell – zu Hause bleiben; wer es als Unabhängiger, sogar mit weniger als 30 000 Stimmen, schafft, zieht in den Bundestag ein.
(Sebastian Hartmann [SPD]: Aber er wäre nicht in der SPD-Fraktion!)
Das hat keine Logik, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
Das Grundgesetz will eine Sonderstellung der Parteien und keine Diskriminierung; auch das werden wir verfassungsrechtlich überprüfen lassen.
Und zur Wahrheit gehört: Sie stehen vor der Wahl: Sie können das alles wegwischen und mit Ihrer Mehrheit durchstimmen. Sie haben geradlinige Abweichler in Ihren Reihen; das wird aber kompensiert durch die Linken, die das Danaergeschenk einer unveränderten Grundmandatsklausel bekommen,
(Zurufe von der LINKEN)
und sicherlich auch dank der AfD, deren Modell Sie ja großzügig übernommen haben.
(Beifall bei der AfD)
Machen Sie sich ehrlich: Widmen Sie sich diesen verfassungsrechtlichen Bedenken. Wir haben Kompromissbereitschaft, und Sie sollten diese nicht nur zum Schein hier vortragen. Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als Nächstes erhält das Wort Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7550552 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 83 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes - Wahlrechtsreform |