Michael FrieserCDU/CSU - Änderung des Bundeswahlgesetzes - Wahlrechtsreform
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man im Wald lauter ruft und pfeift, wird es nicht umso wahrer. Herr Kollege Müller, Sie vertreten Ihre Heimat, die Stadt Chemnitz – schön, interessant –,
(Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen jetzt hier niemanden abwerten, oder?)
und Sie haben – entschuldigen Sie bitte – nach diesem Ampelvorschlag keinerlei Sicherheit, dass Ihre Stadt jemals noch mal hier vertreten sein wird.
(Sebastian Hartmann [SPD]: Das entscheiden nur der Wähler und die Wählerin!)
Das ist das Vabanquespiel, in das uns die Ampel hier führt. Das ist die Wahrheit.
(Zuruf des Abg. Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– So viel zum Thema Stil, der immer gern angeführt wird. – Das ist eine Folge dieses von der Ampel eingebrachten Wahlrechts. Es gibt im Urheberrecht kein „böse“, „schlecht“ oder „gut“; und dass hier urheberrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden, ist durchaus nachzuvollziehen.
Eine zweite Frage, die Sie nicht beantworten können: Sie schwören hier Stein und Bein, Sie würden einen Deutschen Bundestag mit einer Größe von 598 Abgeordneten erhalten. Das können Sie nach Ihrem eigenen Entwurf gar nicht. Was ist denn mit dem Antreten parteiunabhängiger Kandidaten, die davon nicht betroffen sind?
(Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das nicht gelesen! Lesen hilft!)
Sie können das gar nicht entsprechend unterbringen, und im Ergebnis geht es Ihnen doch darum.
Weil Sie immer so gerne den Stil bemühen:
(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kennen wir von Ihnen aus der letzten WP schon: den Stil!)
Das gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass jemand in eigenen Angelegenheiten sein Wahlrecht als komplette Reform vor der nächsten Bundestagswahl macht. Selbst wir haben versucht, das in zwei Teilen zu machen.
Und jetzt muss ich auch an Ihre Selbstachtung appellieren. Jahrelang waren es hier die Grünen und die FDP, die uns mit der Reduzierung auf 250 Wahlkreise malträtiert haben,
(Konstantin Kuhle [FDP]: Jetzt fordern Sie selber schon 270!)
weil die Bedeutung der Wahlkreise aus Ihrer Sichtweise überschätzt war. Sie seien überhaupt nicht das, was die Demokratie im Wesentlichen ausmache.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was haben Sie gemacht, Herr Frieser? Was haben Sie gemacht? Sie haben nichts gemacht! Meine Güte! – Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt schlagen Sie das ja selber vor! Jetzt kommt das ja von Ihnen!)
Heute klingt das Ganze – ich bewundere Ihre Wendigkeit – wirklich absolut anders.
Wir haben versucht, Ihnen entgegenzukommen, was – das darf ich hier sagen – anscheinend gar nicht gewollt war, und einen Kompromiss zu finden, indem wir deutlich gesagt haben: Ja, man kann auch durch Reduzierung der Zahl von Wahlkreisen die Wahrscheinlichkeit von entstehenden Überhangmandanten etwas reduzieren.
(Konstantin Kuhle [FDP]: Aha!)
Doch Ihr Wahlrechtsreformvorschlag, den Sie komischerweise euphemistisch einfach „Kappung“ nennen,
(Konstantin Kuhle [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)
ist gegen das Element der Direktwahl gerichtet, gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen die Unmittelbarkeit der Wahl, gerade bei den großen Städten.
Warum, Herr Kollege Müller, stehen große Städte besonders im Kreuzfeuer? Weil die Ergebnisse dort natürlich knapper sind. Es gibt mehr Kandidaten, die Städte sind heißer umkämpft.
(Detlef Müller [Chemnitz] [SPD]: Das weiß ich gut! – Konstantin Kuhle [FDP]: Nichts gegen den ländlichen Raum!)
Die wesentliche Folge Ihrer Reform wäre,
(Zurufe von der SPD)
– durch Schreien wird es nicht besser –, dass es in Städten schwieriger würde – natürlich gewollt –, Wahlkreise zu erringen, weil die Ergebnisse der Parteien dort naturgemäß ein Stückchen unter dem Landesschnitt liegen.
(Johannes Schraps [SPD]: Wieso ist denn das „naturgemäß“?)
Das hätte am Ende des Tages nicht nur ein West-Ost-Gefälle zur Folge, und zwar dahin gehend, dass der Osten weniger Mandate, weniger Abgeordnete, weniger Wahlkreisabgeordnete hätte,
(Zuruf des Abg. Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
sondern auch, dass die großen Städte sich umschauen müssten. Die Vertretung der Heimat, der Bürgerinnen und Bürger vor Ort, das Interesse der Bürger wird dem Proporz geopfert, über den in den Parteizentralen in Berlin entschieden wird.
(Widerspruch bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie am Ende des Tages einen Angriff auf das Wahlsystem aus parteipolitischen Erwägungen heraus machen, wenn Sie genau darauf hinauswollen, dann muss man sagen: Das hat mit einer Wahl gar nichts mehr zu tun. Eine abgegebene Stimme in einem Wahlkreis in Deutschland ist keine Empfehlung,
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ist kein „Ich könnte mir gut vorstellen, dass …“, sondern das ist eine Wahl. Sie rufen Menschen zu einer Wahl auf. Die Menschen picken dabei den für sie wichtigsten und stärksten Kandidaten heraus. Die Menschen sagen damit: Der besitzt mein Vertrauen.
Darüber hinaus zwingen Sie die Menschen zu einer einheitlichen Stimmabgabe: Wenn ich die Chancen meines Kandidaten mehren will, muss ich ihm denknotwendig nicht nur meine Erststimme geben, sondern ich muss auch meine Zweitstimme – nach diesem Entwurf ist das die „Hauptstimme“ – entsprechend abgeben, weil alles andere seine Chancen schmälern würde. Das engt gedanklich schon den Wahlvorgang ein. So kann man nur aus der Berliner Blase heraus denken.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage Ihnen: Wenn Sie so die Axt an die Grundlagen der Demokratie legen,
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
dann schauen Sie einmal, was passiert, wenn Sie Menschen zu einer Wahl aufrufen, die am Ende kein Ergebnis zeitigt, bei der sie keinen Kandidaten bekommen. Sie können ja überhaupt nicht sagen, ob eine regionale Vertretung gewährleistet ist oder nicht, auf jeden Fall nicht nach diesem Entwurf.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich! – Sebastian Hartmann [SPD]: Das kann man nie sagen, weil es immer der Wähler entscheidet!)
Mein letzter Hinweis. Ich hoffe sehr, dass die Linken sich von ihren rechtlichen Beratern diesen Entwurf im Einzelnen wirklich haben darlegen lassen. Denn dieser Entwurf beinhaltet vor allem eine Gefahr für die Linken. Man tut so, als würde man die Grundmandatsklausel erhalten, aber die Frage ist doch, wer am Ende in dieses Parlament einzieht. Ich kann nur warnen!
(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solidarität unter den Kleinen wird angemahnt!)
Bei diesen Mehrheitsverhältnissen wird es aber auf eine Annahme hinauslaufen.
(Zurufe der Abg. Marianne Schieder [SPD] und Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Man denkt sogar die Stimmen der AfD mit; selbst das akzeptiert man. Ich kann nur sagen: Das ist am Ende des Tages eine Reform, die des Wahlrechts und der Bürgerinnen und Bürger nicht würdig ist.
(Beifall bei der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: Oijoijoi! – Sebastian Hartmann [SPD]: Die Rede war auch kein Beitrag!)
Nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Svenja Stadler.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7550555 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 83 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes - Wahlrechtsreform |