Carl-Julius CronenbergFDP - US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung - Standort Europa, transatlantische Partnerschaft
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fangen wir hinten an: Auf die Aussprache im Ausschuss freue ich mich.
(Heiterkeit des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Die politisch relevante Frage an die Union lautet: An wen richtet sich Ihr Antrag eigentlich?
(Jens Spahn [CDU/CSU]: An Sie!)
An den Bundestag? Oder wäre nicht in Wahrheit das Büro der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
(Patricia Lips [CDU/CSU]: Nein! Nein! Die macht ja Vorschläge!)
die richtige Adresse für diesen Antrag gewesen?
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Union kann ja entweder für Subventionen sein oder dagegen;
(Zuruf des Abg. Markus Töns [SPD])
aber entscheiden sollte sie sich schon.
Wer in Brüssel die Einrichtung eines schuldenfinanzierten europäischen Souveränitätsfonds und in Berlin genau das Gegenteil fordert, riskiert den Vorwurf, ein Fähnlein im Winde zu sein.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielleicht sollte der Partei- und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz da mal eine Klärung herbeiführen. So weit zum Antrag.
Jetzt zum Inflation Reduction Act. Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit, und da kommt mir der Inflation Reduction Act so vor, sagen wir mal, wie Herr Tur Tur. Sie erinnern sich: Herr Tur Tur ist der Scheinriese aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, ein Scheinriese, der von Weitem riesig und bedrohlich aussieht und, je näher man ihm kommt, immer kleiner und harmloser wird.
Das IRA-Volumen von 400 Milliarden Dollar erscheint groß, erstreckt sich tatsächlich aber über neun Jahre und entspricht damit circa 0,14 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts; das ist also nichts und dreimal nichts im Vergleich zu unserem Abwehrschirm des letzten Jahres.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Ganz schöne Verharmlosung!)
Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die 7,5 Milliarden Dollar für Kaufprämien für Elektrofahrzeuge stark protektionistische Züge tragen. Deshalb begrüßen die Freien Demokraten, dass die Kommission mit den USA über die Gleichbehandlung europäischer Automobilhersteller verhandelt hat und auch einen großen Schaden abwenden konnte.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Markus Töns [SPD]: Das ist auch richtig!)
By the way: Wer mit den USA ein Freihandelsabkommen hat, genießt Gleichbehandlung – schon jetzt. Freihandelsabkommen machen Sinn.
(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])
Sie bringen Nutzen; das sage ich, falls hier noch jemand Zweifel hatte.
(Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die einen so, die anderen so!)
Bleibt die Frage, ob angesichts der massiven Investitionsbeihilfen europäische Unternehmen scharenweise in die USA abwandern. Da gibt es mehr Kriterien als allein den Lockruf von Subventionen. Unternehmen werden sorgfältig prüfen, ob sie vor Ort überhaupt ausreichend Personal finden, und, wenn ja, prüfen, Personal welcher Qualifikation sie finden und zu welchen Kosten.
Ja, Unternehmen im Bereich der chemischen Grundstoffindustrie – Stichwort „Ammoniak“ – mit hohen Energie- und niedrigen Personalkosten wandern vielleicht ab; okay. Aber gilt das auch für den Mittelstand, etwa für den Maschinenbauer? Ich rate ab, einmal mehr das Schreckgespenst der Deindustrialisierung in Deutschland heraufzubeschwören.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Markus Töns [SPD])
Im Gegenteil, amerikanische Investitionen in Klimaschutz bieten enorme Exportchancen für unseren Mittelstand. Freuen wir uns darauf.
Die tatsächliche Gefahr von IRA ist also im Grunde ein Subventionswettlauf. Ein Subventionswettlauf kennt nur Verlierer, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Effekte heben sich gegenseitig auf. Die Kosten im Staatshaushalt bleiben. Die Produktivität und Effizienz der Unternehmen sinken; die Wettbewerbsfähigkeit sinkt ebenso. Am Ende ist China der lachende Dritte. Das wollen wir nicht; Subventionswettlauf scheidet aus.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Markus Töns [SPD] und Dr. Sandra Detzer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Schauen wir mal auf den Automobilsektor und die Industriepolitik. Da haben unsere französischen Freunde eine andere Tradition als wir, und zwar mit dem Ergebnis, dass aller Planification und Industriepolitik zum Trotz die französischen Autobauer weder in den USA noch in China eine Rolle spielen – anders als die deutsche Automobilindustrie, anders auch als die französische Luxusgüterindustrie, die nicht in den zweifelhaften Genuss der Industriepolitik gekommen ist. Stattdessen – oder besser: deswegen – nämlich hat die Weltmarktführerschaft erlangt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und deswegen brauchen wir mehr globale Wettbewerbsfähigkeit und nicht Industriepolitik.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Die bessere Antwort auf IRA ist die Vollendung des europäischen Binnenmarktes.
(Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])
Wenn mir Vertreter großer Unternehmen die Klage vortragen, dass sie allein schon deshalb nicht auf China und die USA verzichten können, weil eben nur da Skalenvorteile erzielbar sind, dann frage ich mich: Wo ist die europäische Standardisierung, wo ist die Vollendung des Binnenmarktes? Überall gelten doch andere mitgliedstaatliche Standards. Von Harmonisierung sind wir noch weit entfernt; da rauft man sich die Haare.
Das Gegenteil wäre richtig. Europa muss weltweit Industriestandards setzen, gerne gemeinsam mit den USA. Diesen Wettlauf dürfen wir nicht gegen China verlieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Andreas Audretsch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Und im Außenhandel brauchen wir mehr Freihandel: mit Afrika, mit ASEAN, mit Südamerika. Gut, dass wir eine neue Dynamik gefunden haben. Wir brauchen auch neue Kooperationen. Es wurde darüber gesprochen: Ich nenne die Stichwörter „transatlantischer Rohstoffklub“ und „Klimaklub“: Sehr gerne.
Die Vollendung des Binnenmarkts nach innen, mehr Kooperation und Handelsabkommen im Außenhandel, mehr Geschwindigkeit in allem – das sind die Antworten auf IRA und auch gegenüber China.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Cronenberg. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 20 |
Session | 83 |
Agenda Item | US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung - Standort Europa, transatlantische Partnerschaft |