27.01.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 83 / Zusatzpunkt 7

Lennard OehlSPD - US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung - Standort Europa, transatlantische Partnerschaft

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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die ökologische Transformation der Wirtschaft ist notwendig und unausweichlich. Sie erfordert sowohl hier in Europa als auch in anderen Industrieregionen der Welt Investitionen von immensem Ausmaß, und zwar öffentliche wie private Investitionen. Schätzungen zufolge könnte der Finanzbedarf allein in Europa in den nächsten zehn Jahren bei rund 350 Milliarden Euro liegen, und das jedes Jahr. Diese Investitionen sind notwendig, damit wir Wohlstand und gute Arbeit erhalten können.

Die USA stehen vor der gleichen Herausforderung wie wir Europäer, und es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass auch die US-Regierung diese Herausforderung annimmt. Für die Bereiche Klimaschutz und Energiesicherheit werden mit dem Inflation Reduction Act über neun bis zehn Jahre circa 369 Milliarden Euro bereitgestellt, und das ist gut so.

(Markus Töns [SPD]: Finde ich auch!)

Nichtsdestotrotz müssen wir auf diese Politik reagieren. Eine deutsche Reaktion auf den Inflation Reduction Act muss Teil einer europäischen Lösung sein. Das, was Sie heute hier als mögliche Antwort präsentieren, wird der Dimension des Inflation Reduction Act nicht gerecht. Durch den Inflation Reduction Act droht privates Kapital, drohen private Investitionen in die USA abzufließen. Diese finanzpolitische Komponente fehlt in Ihrem Antrag leider vollständig.

Dabei lohnt sich die finanzpolitische Analyse der gegenwärtigen Situation. In Europa, vor allem in Deutschland, finanzieren Unternehmen ihre Investitionen hauptsächlich über Bankkredite – das ganz klassische Fremdkapital. Der Kapitalmarkt jedoch, die Finanzierung über Eigenkapital, ist ein Finanzierungskanal, der in Deutschland und auch in Europa absolut unterrepräsentiert ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Hier liegt also noch großes Potenzial.

Eigenkapitalgeber sind meistens deutlich risikoaffiner als Banken und eher bereit, Zukunftsinvestitionen zu finanzieren und damit Innovation erst möglich zu machen. Der Kapitalmarkt hat in Deutschland, natürlich bedingt durch die Finanzkrise, einen schlechten Ruf.

(Markus Töns [SPD]: Jawohl!)

Damit gilt es ein Stück weit aufzuräumen; denn zur Finanzierung der Transformation brauchen wir funktionierende Kapitalmärkte und neben einer europäischen Industriepolitik vor allem eine europäische Finanzmarktpolitik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die zentrale Bedeutung kommt also einem Projekt zu, dessen Umsetzung bereits in vollem Gange ist. Es ist die Vollendung der europäischen Kapitalmarktunion – der letzte Schritt zum vollständigen europäischen Binnenmarkt. Einen wesentlichen Teil der Transformationskosten werden nämlich die Unternehmen tragen. Die müssen ihre Produktion umstellen; die müssen ihre Prozesse umstellen. Dafür brauchen sie frisches Kapital; dafür brauchen sie neue Finanzierungskanäle. Gerade für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland ergeben sich dadurch viele neue Chancen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Finanzierung der Transformation kostet Geld; das hatte ich am Anfang der Rede erwähnt. Und wo kommt das Geld her? Es kommt von Investoren. Diese sind einerseits institutionelle Anleger, Versicherungen, Pensionsfonds; es sind aber auch private Sparerinnen und Sparer, die neue Anlagemöglichkeiten, zum Beispiel für die Altersvorsorge oder für den Vermögensaufbau, suchen.

Eine weitere Ebene der Kapitalmarktunion ist das europäische Finanzsystem an sich. Nur ein gemeinsamer Kapitalbinnenmarkt hat das nötige Gewicht, um mit den Finanzmärkten in Nordamerika und Asien wettbewerbsfähig zu sein. Nur gemeinsam gelingt es uns, nur gemeinsam schaffen wir es, große Kapitalmengen in Europa auch binden zu können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Kapitalmarkt sind zwar noch dicke Bretter zu bohren, vor allem im Insolvenzrecht und im Steuerrecht; aber auch hier machen wir große Fortschritte. An der Harmonisierung der nationalen Insolvenzvorschriften wird gearbeitet, ebenso wie an einer steuerlichen Gleichbehandlung von Finanzierungen mit Fremd- und Eigenkapital. Und auch die Einigung auf eine globale Mindestbesteuerung, initiiert vom früheren Finanzminister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Finanzminister Bruno Le Maire, war ein wichtiger Beitrag zur Steuerharmonisierung in Europa.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sehen also, dass die großen Hindernisse für die Kapitalmarktunion Schritt für Schritt abgebaut werden. Diesen Weg müssen wir auch weiter gehen. Die Kapitalmarktunion wird die europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act sein.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich komme zum Schluss. Wir brauchen eine Renaissance des Kapitalmarkts in Europa, und 15 Jahre nach der Finanzkrise ist es an der Zeit, gerade dort wieder nach vorne zu schauen. Dafür möchte ich werben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7550581
Wahlperiode 20
Sitzung 83
Tagesordnungspunkt US-Gesetz zur Inflationsbekämpfung - Standort Europa, transatlantische Partnerschaft
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