08.02.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 84 / Tagesordnungspunkt 1

Alexander Graf LambsdorffFDP - Regierungserklärung zum außerordentlichen EU-Rat

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Vielen Dank. – Herr Präsident! Das wird ein Europäischer Rat der gigantischen Themen: die Reaktion auf die völkerrechtswidrige Invasion Russlands in die Ukraine, die Reaktion auf protektionistische Maßnahmen – man kann es leider nicht anders nennen – eines wichtigen Partners und der Umgang mit der Migrationskrise. Bei allen drei Themen sind die Debatten lebhaft.

Ich würde aber gerne zu Beginn einmal in Erinnerung rufen, dass wir jetzt knapp ein Jahr Krieg in Europa haben. Die größte Frage, die wir uns zu Beginn gestellt haben, war: Wird der Westen es schaffen, zusammenzustehen und zusammenzubleiben? Wir können nach einem Jahr feststellen: Ja, der Westen steht zusammen, und er bleibt zusammen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Joe Biden hat gestern in seiner State-of-the-Union-Rede gesagt: Wir werden die Ukraine unterstützen, „as long as it takes“. Auch der Europäische Rat wird am Freitag ein Signal der Unterstützung senden: So lange wie nötig wird unterstützt.

Wir haben hier in Deutschland viele richtige Entscheidungen getroffen. Wir haben sie gemeinsam mit unseren europäischen Partnern getroffen. Ich fand es hervorragend, dass der neue Verteidigungsminister sofort nach Kiew gefahren ist – mit guten und wichtigen Entscheidungen im Gepäck. Ich fand es auch hervorragend, dass die Europäische Kommission zu einem großen Gipfel in Kiew war. Wir müssen die Ukraine weiter militärisch, finanziell und politisch unterstützen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In dem Zusammenhang – das will ich auch sagen – wird ein zehntes Sanktionspaket verabschiedet. Es ärgert mich manchmal, dass ich in der deutschen Presse Schlagzeilen lese wie: „Sanktionen wirken nicht, Krieg geht weiter“ oder: „Die russische Wirtschaft ist erstaunlich stark, obwohl wir doch die Sanktionen haben“. Dann liest man im Fließtext, wenn man genau hinguckt, dass die russische Wirtschaft um 3 Prozent geschrumpft ist, dass die Importe Russlands um 9 Prozent gesunken sind, dass die russische Fluglinie Aeroflot mit viel längeren Lieferzeiten rechnen muss, viel höhere Preise für ihre Ersatzteile bezahlen muss, dass sie dabei ist, bis zu 30 Prozent ihrer Flugzeuge auszuschlachten, um Ersatzteile zu bekommen. Meine Damen und Herren, Sanktionen sind keine Lichtschalter, mit denen man Krieg an- und ausknipst. Sanktionen sind ein Mittel, mit dem wir den Preis für den Krieg in die Höhe treiben. Diese geduldige Anwendung der Sanktionen werden wir weiter verfolgen, weil es die richtige Politik ist und die Kosten für Russland in die Höhe treibt.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Inflation Reduction Act ist Folgendes zu sagen – der Kollege Hofreiter hat es gerade gesagt –: Es ist ja gut, wenn die USA Klimaschutz ernst nehmen und etwas tun. Aber „kooperativ“ geht anders, meine Damen und Herren. Die Beihilfepakete im Inflation Reduction Act sind so stark an nationale Produktion gekoppelt, dass das Gesetz einen protektionistischen Charakter bekommen hat.

Es ist hier gesagt worden – ich will es wiederholen –: Hätten wir ein Freihandelsabkommen mit den USA, dann hätten wir viele dieser Probleme, die wir jetzt haben, nicht.

(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich gebe Ihnen mal ein ganz konkretes Beispiel: Batteriehersteller müssen mindestens 40 Prozent der Batterie aus in den USA gefertigten Materialien herstellen, sonst sind sie nicht antragsberechtigt für Beihilfen unter diesem Gesetz. Das gilt aber nicht für Länder, die ein Freihandelsabkommen mit den USA haben. Das hat die Europäische Union nicht. Ich würde mir deswegen wünschen, dass wir beim Freihandel demnächst bitte etwas konstruktiver und produktiver und weniger auf Fake News basierend diskutieren, insbesondere wenn es um ein Abkommen mit den USA geht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mein letzter Punkt, meine Damen und Herren, ist die Migration. Der Rat fordert die Kommission auf, die operativen Maßnahmen zu beschleunigen. Der Rat fordert Rückübernahmeabkommen. Ja, auch Grenzzäune sollen gebaut werden. Das soll dann auch aus europäischen Mitteln finanziert werden. Die Registrierung von ankommenden Migranten soll gesichert werden. Die Visumspolitik soll gestrafft werden. Hebel sollen eingesetzt werden, um Druck auszuüben. Man kann das alles diskutieren. Das ist alles vielleicht geeignet, um dem Zustrom an den Außengrenzen zu begegnen. Aber, meine Damen und Herren, wenn man mal genau hinguckt: Alle diese Maßnahmen sollen streng national erfolgen. Es gibt in der Asyl-, in der Migrationspolitik und im Grenzschutz keine europäische Zuständigkeit.

Wenn man sich genau anschaut, was der Rat noch tut, sieht man: Er ermutigt die Mitgliedstaaten, die Unterstützung der Europäischen Union und ihrer Agenturen anzufordern. Das tun die Mitgliedstaaten nämlich teilweise gar nicht. Wenn man sich die Situation in Griechenland anschaut: Frontex könnte helfen, wird aber von der griechischen Regierung nicht darum gebeten. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es ganz klar: Wir müssen raus aus der Kleinstaaterei, und ohne einen großen Sprung nach vorne wird das nicht gehen. Wir brauchen echte europäische Gemeinsamkeit. Das bedeutet auch eine echte europäische Zuständigkeit auf einem Gebiet, das für viele Bürgerinnen und Bürger so wichtig ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Gunther Krichbaum, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7550672
Wahlperiode 20
Sitzung 84
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum außerordentlichen EU-Rat
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