08.02.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 84 / Tagesordnungspunkt 1

Nina ScheerSPD - Regierungserklärung zum außerordentlichen EU-Rat

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz das aufgreifen, womit mein Vorredner geschlossen hat: die Migrationsfragen, die einen großen Teil der anstehenden Verhandlungen beim Europäischen Rat ausmachen werden. Ich finde es zutiefst irritierend, Herr Merz, wie Sie und auch die anderen Redner aus Ihren Reihen sich über den Versuch, sich auf europäischer Ebene beim Thema Migration zu verständigen, geäußert haben. Bundeskanzler Olaf Scholz hat es ausgeführt: Wir haben die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie wollen dies hier in einer Weise debattieren, wodurch wiederum Ängste geschürt werden, vermeintliche Ungeordnetheit von Migration in den Raum gestellt wird und es so wirkt, als sei dies etwas nicht gut Gehändeltes, etwas der Politik Entgleitendes.

(Zuruf von der AfD: Das ist Realität!)

Damit machen Sie den Menschen Angst, und damit bedienen Sie genau die Ressentiments, die auch immer vom rechten Rand kommen. Das hätte ich mir aus Ihren Reihen wirklich anders gewünscht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Die Leute in Brokstedt haben schreckliche Angst! – Martin Reichardt [AfD]: Die kommen nicht vom rechten Rand!)

Es ist zudem auch wirtschaftspolitisch höchst fragwürdig. Sie haben wörtlich gerade ausgeführt, dass man erst mal den heimischen Arbeitsmarkt ausschöpfen solle; dabei ist längst bekannt, dass wir auf dem heimischen Arbeitsmarkt zu wenige Arbeitskräfte haben.

(Beatrix von Storch [AfD]: Bildungskatastrophe! Redet darüber! – Martin Reichardt [AfD]: Weil Sie familienfeindliche Politik machen! – Weitere Zurufe von der AfD)

Angesichts der großen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, auch um die Klimakatastrophe abzuwenden, um die Transformation hinzubekommen, ist es unabwendbar, als Einwanderungsland ein klares Bekenntnis abzugeben und dann natürlich die Integrationsaufgaben zu leisten. Das ist unsere Aufgabe; aber doch nicht eine Fokussierung auf Deutschstämmige auf dem Arbeitsmarkt!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Das hat niemand gesagt!)

Das ist wirklich nicht das richtige Thema; da haben Sie das Thema verfehlt. Und ganz by the way: Ich finde – um wieder auf die Aufgaben zurückzukommen, die vom Europäischen Rat zu leisten sein werden –, dass die Vorzeichen von Humanität und Menschenrechten hier auch außer Acht gelassen werden.

Das zweite große Kapitel, was jetzt ebenfalls ansteht, ist in der Tat, dass wir einen Umgang mit dem Inflation Reduction Act finden. Es ist auch hier richtig, einmal voranzustellen, dass es ein Riesenfortschritt ist, dass die Vereinigten Staaten es geschafft haben, diese Klippe zu überspringen, die sie lange nicht übersprungen haben – mit Trump war das ja undenkbar –, dass sie erkannt haben: Wir müssen weltweit alle Kräfte mobilisieren, um den Klimawandel zu stoppen und tatsächlich auch die Energiewende finanziert zu bekommen. – Das ist ja erst mal der Impuls, der hinter dem Inflation Reduction Act steht. Insofern muss man sagen: Das ist richtig.

Zum anderen müssen wir aber natürlich auch sehen, dass sich dies auf den Wettbewerb auswirkt, dass dies gerade in Zeiten eines Fachkräftemangels in Europa und insbesondere auch in Deutschland Folgewirkungen und Folgeaufgaben nach sich zieht, denen wir uns stellen müssen. Wir hatten hier in Deutschland leider 16 Jahre, 17 Jahre – in der Endphase der letzten Großen Koalition gab es schon einen leichten Wandel zum Besseren – eine restriktive Politik der Energiewende. Da stand Ihre CDU/CSU-Fraktion, Herr Merz, an den entscheidenden Stellen immer auf der Bremse.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Deswegen gibt es so viel Ausbau von Windenergie!)

Das ist jetzt zum Glück überwunden, aber das hat uns natürlich kostbare Jahre gekostet.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: 10 000 Windräder bis 2030 bedeutet jeden Tag 4 neue Windräder! Da bin ich gespannt!)

Zunächst befand sich Deutschland auf einem Aufwuchspfad, wenn es darum ging, die Energiewende anzugehen. Das war etwas weltweit Nachgefragtes geworden. Die Unternehmen sind dann leider abgewandert. Deswegen haben wir in Deutschland bei der Solarindustrie heute eine Importabhängigkeit von 90 Prozent. Das hätte anders laufen müssen. Wir sind jetzt dabei, wieder auf diesen Pfad zurückzukehren, hier wieder die Vorreiterschaft zu übernehmen und Deutschland und Europa wirklich zum Bollwerk des Transformationsprozesses zu machen, um die Energiewende hier in der gebotenen Zeit tatsächlich hinzubekommen.

Dafür brauchen wir natürlich eine europäische Verständigung darauf, wie wir beihilferechtliche Vorgaben so anpassen können, dass dieser Kraftakt zu leisten ist, dass Garantien abgegeben werden können, dass auch die Aufbau- und Resilienzfazilität von Europa so genutzt werden kann, dass sie uns im Transformationsprozess hilft, dass wir etwa die Notfallverordnung jetzt schnell umgesetzt bekommen – wir sind gerade unter Hochdruck dabei, das hinzubekommen –, weil sie nur 18 Monate gilt.

All diese Dinge brauchen wir mit Blick auf den Inflation Reduction Act. Dann ist der Transformationsprozess gut zu leisten.

In diesem Sinne: Packen wir es an!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nächster Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Johannes Huber.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7550678
Wahlperiode 20
Sitzung 84
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum außerordentlichen EU-Rat
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