Elisabeth Winkelmeier-BeckerCDU/CSU - Digitale Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht
Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir haben es schon gehört: Das Vereinsleben hat in Deutschland eine besondere Tradition. Schon das Allgemeine Preußische Landrecht gewährte Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, allerdings bei gleichzeitigem Verbot jeder Beratung politischer Angelegenheiten in Vereinen. Das zeigt ein bisschen, was damals die Haltung war. Es war vor allem die Skepsis. Vereine wurden auch als Störfaktoren, als potenzielle Machtfaktoren gegen die Obrigkeit gesehen. Deshalb wurde eine Kontrolle eingeführt. Vereine standen unter vereinspolizeilicher Kontrolle und mussten den Behörden Vorstand und Mitglieder melden. Frauen war die Mitgliedschaft in politischen Vereinen verboten; dort wurde also eine besondere Gefahr gesehen.
Das hat sich grundlegend geändert. Wir haben unter Geltung des Grundgesetzes ein Grundrecht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Vor allem aber wissen wir, dass die Arbeit der Vereine für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft unverzichtbar ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Erik von Malottki [SPD])
Ich denke, wir alle kennen das berühmte Böckenförde-Diktum. Der wichtigste Satz darin ist:
Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.
Das stimmt. Unser Staat und unsere Gesellschaft leben davon, dass unzählige Bürger und Bürgerinnen ihre Freiheit nicht nur nutzen, um zu sagen: „Lasst mich doch in Ruhe! Ich mach mein Ding“, sondern ihre Freiheit auch nutzen, um sich mit Zeit, eigenen Vorstellungen und Werten und oft auch noch mit eigenem Geld freiwillig zum Nutzen der Gesellschaft einzubringen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP und des Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Bundesweit sind es an die 50 Millionen Menschen, die sich in über 600 000 Vereinen ehrenamtlich, zumeist gemeinnützig engagieren: unverzichtbare Arbeit, die der Staat aus eigener Kraft gar nicht leisten könnte. Auch Sport, Kultur und Brauchtum wären ohne dieses Ehrenamt nicht denkbar. Jugendarbeit, die Werte vermittelt, Zusammenhalt in der Gesellschaft und vieles Weitere leisten die Menschen im Ehrenamt. Nicht zuletzt geben Vereine vielen auch den Raum für eine sinnstiftende Tätigkeit. In Zeiten, in denen wir über Einsamkeit und Depressionen reden, ist auch das besonders wichtig.
Die Arbeit in den Vereinen braucht einen rechtlichen Rahmen, einen Rahmen auf der Höhe der Zeit, der nicht mehr auf Kontrolle und Begrenzung ausgerichtet ist, sondern auf Unterstützung des Ehrenamtes. Diesen Rahmen wollen wir heute modernisieren. Wir erleichtern die Teilnahme an Mitgliederversammlungen von Vereinen und außerdem an Vorstandssitzungen von Vereinen und Stiftungen, indem wir die hybride Teilnahme und auch die gänzlich virtuelle Teilnahme und Durchführung von Versammlungen mit allen Rechten, die dazugehören, ermöglichen – und zwar ohne Satzungsänderung. Denn wir können uns vorstellen, dass das bei 600 000 Vereinen
(Fabian Jacobi [AfD]: Ja, wenn sie das denn wollen! Wollen sie das denn?)
für einen Riesenstau und einen riesigen bürokratischen Aufwand bei den Vereinsregistergerichten sorgen würde und natürlich auch eine hohe Hürde für die Vereine wäre.
Der digitale Push, den wir in der Coronazeit erlebt haben, war wirklich ein guter Nebeneffekt dieser schweren Zeit. Vor drei Jahren waren digitale Formate plötzlich unverzichtbar, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Für Vereine ging es dabei aber nicht nur um Technik, sondern auch um die Rechtsgrundlage. Diese haben wir mit den Coronasonderregeln geschaffen. Sie sind am 31. August 2022 ausgelaufen, aber sie werden weiter gebraucht. Deshalb gab es eine Initiative – im Übrigen kam sie erst aus Bayern; das muss ja auch mal gesagt werden –
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Richtig!)
im Bundesrat. Der Gesetzentwurf aus dem Bundesrat wurde dann schon im Herbst von der Union aufgegriffen, damit wir das hier als Gesetz umsetzen. Wir brauchen diese praxistaugliche Anschlussregelung.
Es wäre einfach gewesen, das kurzfristig umzusetzen. Gerade im Winter hätte das die Sache für viele Vereine erleichtert, hätte im Übrigen auch Energie gespart. Aber das ist jetzt Nachkarten. Ich bin froh, dass wir nach längerem Zögern und Prüfen jetzt doch zum richtigen Ergebnis gekommen sind, dass wir mit diesem sehr guten Vorschlag arbeiten und ihn noch ein Stück weit verbessern, nicht nur hybride, sondern auch vollständig digitale Veranstaltungen ermöglichen. Wir wollten das gerne ohne vorherigen Beschluss der Mitgliederversammlung auch für das vollständig digitale Format ermöglichen. Das haben Sie leider nicht mitgetragen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Die letzte Sekunde meiner Redezeit möchte ich nutzen, um all denjenigen, die diese Arbeit machen, noch mal ganz herzlich zu danken. Ich hoffe, dass wir ihre Arbeit weiter erleichtern.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Philipp Hartewig [FDP])
Das Wort erhält Esra Limbacher für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
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Electoral Period | 20 |
Session | 85 |
Agenda Item | Digitale Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht |