09.02.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 85 / Tagesordnungspunkt 18

Ariane FäscherSPD - Digitale Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Demokratinnen und Demokraten! Liebe Engagierte!

Das Freudigste in der Politik ist, Menschen helfen zu können, auch in Einzelfällen, Gesetze und Regelungen hinzukriegen, die diesen Zweck erfüllen.

Diese Worte von Regine Hildebrandt beschreiben gut unseren heutigen Beschluss, virtuelle Vereinsversammlungen regulär, ohne Satzungsänderung, zu ermöglichen und die Entscheidung über Art und Ablauf der Mitwirkung sehr basisdemokratisch den Mitgliedern anzuvertrauen. Damit gehen wir als Gesetzgeber einen weiteren Schritt Richtung Bürokratieabbau, der von der Zivilgesellschaft zu Recht so dringend angemahnt wird,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

obwohl wir die Gesetzeslage doch eigentlich lediglich der Lebensrealität der Zivilgesellschaft anpassen, die in der Pandemie mit unglaublicher Kreativität, Innovationswillen und Mut alles unternommen hat, um ihre Vereine am Leben und die Mitglieder aktiv im Miteinander zu halten.

War die digitale Mitgliederversammlung in der Pandemie am Anfang eine große Hürde, so hat sie sich zu einem Tool zusätzlicher Teilhabe gemausert. Viele ältere Vereinsmitglieder, die sich anfangs schwertaten, sind heute froh, wenn sie nicht spätabends noch rausmüssen oder trotz kleiner Formtiefs teilnehmen können. Wenn das Kind oder man selbst krank ist, kann man trotzdem dabei sein. Die Geschäftsreise ist kein Ausschlusskriterium mehr. Der Raum muss nicht beheizt und das Auto nicht bewegt werden.

Aber – so höre ich die Kritiker im geistigen Ohr – man schließt doch auch einige aus, die nicht technikaffin sind oder kein Gerät haben. Es ist unpersönlicher. Die Menschen sollen sich doch treffen und miteinander sprechen. – Schon, klar; auch. Die Lebenswelten sind flexibler und dezentraler geworden. Es ist die Errungenschaft des jetzigen Vorschlags, der Kompetenz der Vereinsmitglieder für die optimale Organisation ihres Miteinanders zu vertrauen; denn sie entscheiden, welcher Weg individuell der beste ist: Präsenz, hybrid, digital, Abstimmung per Chat, Telefon, Deklaration, Brief oder Umlaufbeschluss. Der Souverän, die Mitgliederversammlung, gibt sich Regeln, ermächtigt wahrscheinlich den Vorstand und kann dabei berücksichtigen, was am besten zur Mitgliederstruktur passt.

Die Neufassung von § 32 BGB ist ein Einstieg in eine Kultur der flexiblen Ermöglichung anstelle von misstrauischer Regulierung durch den Gesetzgeber. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Engagierten Experten in eigener Sache sind. Der Verein – ob Sport-, Chor-, Karnevalsverein oder Jugendtreff – ist genau der Ort, wo gelingende Demokratie beginnt. Es gibt ein gemeinsames Ziel, und es geht darum, die Bedingungen, unter denen man gemeinsam aktiv sein will, auszuhandeln, sodass für alle der bestmögliche Rahmen dabei rauskommt.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Tina Winklmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Philipp Hartewig [FDP])

Such is Life, such is Politik, such is Demokratie – viel davon ist uns leider in anonymen, kompromisslosen Meinungsblasen in Social Media abhandengekommen. Demokratie gelingt mit Gestaltungswillen und Gestaltungskompetenz. Demokratie gelingt, wenn sich der oder die Einzelne vor Ort gesehen, beachtet, beteiligt und verantwortlich fühlt.

Mit dem heutigen Ansatz gehen wir einen wichtigen Schritt von „Pflicht zu“ hin zu „ein Recht auf“. Die hohe Motivation, ein Ehrenamt auszuüben, entspringt der Freiwilligkeit, sich für etwas oder jemanden einzusetzen. Sie entspringt Idealismus und Solidarität. Auf diese Weise bildet sich auch der Rückfluss, aus dem Engagement Befriedigung, Anerkennung und Selbstwirksamkeit zieht. Dies sollten wir vor Augen haben, wenn wir darüber diskutieren, ob ein Freiwilligendienst durch eine Dienstpflicht ersetzt werden sollte.

Wie wäre es, wenn wir zunächst ein Recht auf Freiwilligendienst schaffen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Denn nur jede dritte Bewerbung kann aktuell berücksichtigt werden. Wie wäre es, wenn wir auch hier ins Ermöglichen gehen und jungen Menschen aller gesellschaftlichen Gruppen durch bessere Rahmenbedingungen wie mehr Taschengeld, freie Fahrt im ÖPNV oder ein Gesellschaftszeugnis den Weg in eine bessere und schnellere Ausbildung ebnen? Menschen, die man zwingt, werden rebellieren oder sich zurückziehen. Menschen möchten gemocht und anerkannt werden. Sie wollen Teil der sie umgebenden, einer größeren ideellen Gemeinschaft sein. Die einfachste Art, die Demokratie zu stärken, ist, die Menschen in ihren Fähigkeiten zu erkennen und zu fördern, ihnen etwas anzuvertrauen, ihnen etwas zuzutrauen, anstatt Forderungsschablonen auf sie zu legen.

Engagement wird generell digitaler und dezentraler, politischer und internationaler. Es übernimmt zum Teil enorme Verantwortung, die teils in staatlicher Zuständigkeit liegt.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Im Geist Regine Hildebrandts soll daher auch die Bundes-Engagementstrategie eine Bundes-Ermöglichungsstrategie werden. Wir sind dran, für euch.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das Wort erhält Susanne Hierl für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7550837
Wahlperiode 20
Sitzung 85
Tagesordnungspunkt Digitale Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht
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