09.02.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 85 / Tagesordnungspunkt 23

Jens SpahnCDU/CSU - Energieversorgung im Winter 2023/2024

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeswirtschaftsminister lässt sich entschuldigen, weil er woanders in Berlin eine Rede hält. Das ist grundsätzlich okay, solche Überschneidungen passieren; aber es passt ins Bild: Die Bundesregierung pflegt eine gewisse Ignoranz gegenüber diesem Parlament.

(Timon Gremmels [SPD]: Erst entschuldigen und dann draufhauen! – Zuruf der Abg. Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben Ihnen hier häufig die Hand gereicht. Wir haben viele Vorschläge wie auch mit unserem heutigen Antrag vorgelegt. Diese haben Sie meistens ignoriert. Auskünfte geben Sie ungern, Berichte kommen zeitweise gar nicht mehr, selbst gesetzlich verpflichtende Berichte nur auf doppelte Nachfrage. Man hat den Eindruck, Sie sind so überzeugt von sich, dass Sie das Parlament eigentlich gar nicht mehr brauchen. Das ist in Zeiten der Krise kein guter Eindruck, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Sie machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man hat auch den Eindruck, in der Bundesregierung macht sich ein wenig Selbstzufriedenheit breit.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Timon Gremmels [SPD]: Da spricht Mister Selbstzufriedenheit!)

Ja, die Lage ist weniger schlimm als befürchtet, aber, Herr Kollege Gremmels, sie ist alles andere als gut. Ja, Sie haben für diesen Winter – das haben wir auch unterstützt – manche richtige Entscheidung getroffen, vieles davon allerdings zu spät und auch erst auf erheblichen Druck hin.

Das Muster wiederholt sich. Das zeigt sich auch beim Blick auf die Tagesordnungen der letzten Wochen und der kommenden Wochen. Es finden sich keine Vorhaben zur Vorsorge für den nächsten Winter im Parlament oder auch nur im Zulauf zum Parlament.

(Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

Das erinnert mich an die Debatten, die wir hier vor fast einem Jahr, im März 2022, geführt haben.

(Zuruf des Abg. Michael Kruse [FDP])

Wir haben Ihnen vor dem Sommer, Herr Kollege Kruse, Anträge zur Versorgungssicherheit vorgelegt. Wir haben Ihnen Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise vorgelegt. Wir haben Ihnen den Bau von LNG-Terminals vorgeschlagen. Wir haben im März 2022 gesagt: Mehr Kohle muss ans Netz. – Wir haben Sie aufgefordert, den befristeten Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke anzugehen. Sie haben all das hier erst mit großen Worten im Parlament abgelehnt. Sie haben, wie jetzt gerade, gelacht und gehöhnt und danach es doch mit starker Verzögerung Monat für Monat umgesetzt, dann allerdings meistens hektisch und halbherzig. Das ist Teil des Problems, bei dem wir heute sind, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das geht so weiter, auch bei drei aktuellen Beispielen. Die Umsetzung der EU-Notfallverordnung zum beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren, insbesondere Wind und Sonne: Die Länder warten sehnlichst darauf, dass was passiert; hier im Bundestag passiert bisher nichts. Bezahlbare Energie sichern, Gas- und Strompreisbremse, Umsetzung des Härtefallfonds: Wir werden morgen auf unseren Antrag hin noch mal darüber sprechen. Aber auch hier muss man sagen: Viel passiert ist nicht. Selbst Expertinnen und Experten der Gaskommission sagen: So, wie es umgesetzt ist, kann es nicht wirken.

(Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wirkt doch längst!)

Die Versorgung mit Rohöl in Ostdeutschland: Mitte Dezember hat Staatssekretär Kellner hier im Deutschen Bundestag eine Auslastung der PCK Schwedt von 70 Prozent versprochen, vor wenigen Wochen. Das ist nicht gelungen. Wir sind unter 70 Prozent. Er hat Lieferungen aus Kasachstan angekündigt – nicht passiert. Der Bau einer weiteren Pipeline ist angekündigt – nichts Genaues weiß man nicht.

Sie haben gerade bei diesem Thema, meine Damen und Herren, sehr konkret viel versprochen, wenig davon gehalten. Das erzeugt nicht nur in der Region viel, viel Frust. Wenn es die Vereinfacher von links und von rechts gerade in dieser Frage besonders leicht haben, dann liegt das an Ihren Versprechungen und daran, dass Sie sie leider nie einhalten und so zu viel Enttäuschung in der Region beitragen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Herangehensweise bereitet uns auch Sorgen mit Blick auf den nächsten Winter. Die Internationale Energieagentur mahnt dieser Tage zu Recht: Der nächste Winter wird schwieriger, nicht leichter. – Wo bleibt denn Ihr Stresstest für den nächsten Winter, mit dem Sie das Land auf verschiedene Szenarien vorbereiten? Der Ausbau der Energiegewinnung aus Wind und Sonne allein jedenfalls bringt uns nicht über den nächsten Winter. Wir haben in diesem Winter Tage, wo Kohle, Gas und Kernkraft 70, 80 Prozent unserer Stromversorgung ausmachen.

Übrigens geht es beim Stresstest nicht nur um Netzstabilität und Versorgungssicherheit; es geht auch um Bezahlbarkeit und auch um Klimaschutz. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir werden das hier jede Woche vorbringen, weil es im Interesse des Klimaschutzes einfach vorgebracht werden muss: Die Klimabilanz letztes Jahr war verheerend, und sie wird dieses Jahr noch schlimmer sein, unter anderem, weil Sie klimaneutrale Kernkraftwerke vom Netz nehmen,

(Lachen des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

die dann durch Gaskraftwerke oder Kohlekraftwerke ersetzt werden. Das ist nicht gut fürs Klima. Es ist damit nicht gut für Deutschland. Deswegen sollten Sie auch hier endlich für eine weitere Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke eintreten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie klimaneutral sind die eigentlich? – Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Russland-Abhängigkeit bei Kernenergie!)

– Ich weiß, dass das am Ende die Widersprüche Ihrer eigenen Energiepolitik sind, aber das müssen Sie schon aushalten.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Faktencheck würde helfen!)

Auch langfristig, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir viel Unsicherheit durch die Erlösabschöpfung im Stromsektor, wo keiner weiß, wie lange sie eigentlich gilt.

(Timon Gremmels [SPD]: Doch! Steht doch im Gesetz drin!)

Die Bundesregierung hat nun nach einigem Streit einen Versorgungssicherheitsbericht miteinander durchs Kabinett bekommen. Sie können sich nicht auf ein Gesamtkonzept auch für die Jahre nach diesem Winter einigen. Wir werden weiterhin Strom und Energie importieren. 80 Prozent der Energie in Deutschland werden importiert. Auch da braucht es eine Strategie für die nächsten Jahre, die zeigt, wie das weitergehen soll. Wo sind die Gaskraftwerke, von denen auch Sie sagen, dass sie gebaut werden sollen? Ich nenne das politisch motivierten Optimismus, was Sie in Ihrem Versorgungssicherheitsbericht machen. Nahezu alle Annahmen darin werden Sie wahrscheinlich nicht einhalten. So kann man ein Industrieland in dieser Zeit nicht in die Zukunft führen und ihm Sicherheit für Investitionen geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Faktencheck! Faktencheck!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, solange das so ist, solange Sie hier nichts erklären und die Bundesregierung hier nicht herleitet, wie im nächsten Winter und darüber hinaus die Versorgungssicherheit gegeben sein soll, ist die Versorgung in Deutschland für den nächsten Winter nur bedingt sicher.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])

Damit es so weit nicht kommt, sollten Sie unserem 15‑Punkte-Plan für einen sicheren Winter 2023/2024 folgen, und zwar rechtzeitig. Am Ende werden Sie nahezu alles davon wieder umsetzen; ich kann es Ihnen jetzt schon sagen. Machen Sie es diesmal rechtzeitig und mit Tatkraft!

(Beifall bei der CDU/CSU – Timon Gremmels [SPD]: Hätten Sie doch mal über die Punkte gesprochen! Da steht ja auch was Gutes drin!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7550907
Wahlperiode 20
Sitzung 85
Tagesordnungspunkt Energieversorgung im Winter 2023/2024
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