10.02.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 86 / Tagesordnungspunkt 22

Carsten MüllerCDU/CSU - Verwaltungsgerichtliche Verfahren im Infrastrukturbereich

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dort, wo die Ampel hätte handeln können, um Verwaltungsgerichtsverfahren zu beschleunigen, hat sie genau das Gegenteil gemacht: Sie hat den Pakt für den Rechtsstaat gekündigt und damit die Personalausstattung in den Verwaltungsgerichten eher einem Risiko ausgesetzt. Dann haben Sie sich darauf verständigt, einen außergewöhnlich schlechten Gesetzentwurf hier vorzulegen.

Meine Damen und Herren, ich nehme mal ein bisschen den Schwung aus der Rede raus,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der AfD – Stephan Brandner [AfD]: Wir haben da keinen Schwung gemerkt!)

weil ich Ihnen einige Zitate vorhalten möchte, die wir in dieser bemerkenswerten Anhörung gehört haben – auch von Ihren Sachverständigen. Ich fange mit Genehmigung der Präsidentin mal mit der Zitatreihe an.

Die von der SPD benannte Sachverständige Frau Professor Dr. Bick sagte eingangs der Anhörung, die wirklich bemerkenswert war:

Aber damit verbunden ist natürlich auch die Hoffnung, dass wir Sachverständigen hier in der Sache auch noch etwas bewegen können.

Ich nehme es vorweg: Diese Hoffnung haben Sie enttäuscht. Wir hatten zum Thema „Flexibilisierung der Gerichtsverfahren“ etwas gehört; Frau Professor Bick hatte auch dafür eine Einschätzung, wie es kommen wird:

Deshalb werbe ich dafür, dass der Gesetzgeber uns nicht unnötig in die Prozessführung hineinregiert, sondern uns Richtern die notwendige Flexibilität lässt.

Das genau machen Sie nicht; da haben Sie nämlich nichts geändert.

(Kaweh Mansoori [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)

Wirklich hörenswert waren die Einlassungen der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannten Sachverständigen Frau Dr. Heß. Es ist eigentlich schade, dass diese Anhörung nur von so wenigen Kollegen, die hier auch Beifall spenden, besucht worden ist. Frau Dr. Heß sagte Folgendes:

Es überrascht deshalb nicht, dass die überwiegende Mehrzahl der Stellungnahmen aus Justiz und Anwaltschaft europarechtliche und auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die geplante Regelung geltend gemacht hat.

Sie fuhr fort:

Das Verdikt der Unions- und Verfassungswidrigkeit riskiert der Entwurf dabei für ein Regelungskonzept, dem von der Mehrheit der Sachverständigen bescheinigt wird, dass es wirkungslos und überflüssig ist. Die geplante Novelle wird nicht nur keinen Beschleunigungseffekt haben, sondern im Gegenteil zu Verzögerungen des gerichtlichen Verfahrens und zu zusätzlicher Rechtsunsicherheit auf Seiten der Vorhabenträger führen.

Deutlicher kann man es nicht sagen, was Sie hier heute anrichten.

(Kaweh Mansoori [SPD]: Sie haben da übrigens gerade den BUND zitiert, Herr Müller!)

Sie fuhr fort:

Die ... Regelungen sind für die Praxis nicht nur nicht hilfreich, sondern schlicht schädlich.

Das ist das vorher Gesagte noch einmal in einem Satz zusammengefasst.

Der von der Partei Die Linke benannte Sachverständige Professor Dr. Remo Klinger hat es ebenfalls unmissverständlich formuliert:

Insgesamt wundert man sich auch, wie wenig Kenntnis der praktischen Realität in dem Entwurf steckt.

Sie von der Linken fanden den Entwurf ja gut; das haben Sie mehrfach gesagt. Abenteuerlich! Sie stehen damit weitgehend alleine. Um es im Duktus der Rechtspolitik zu sagen: Es ist eine Mindermeinung.

Außerdem stellt er fest:

Neben dieser kontraproduktiven Regelung wird Vieles als totes Recht in die VwGO eingehen.

Also, ich würde sagen: Diese Formulierung geht in die Rechtsgeschichte ein. – Sie schaffen totes Recht und bezeichnen sich gleichzeitig als Fortschrittskoalition? Das ist doch ein Maß an Realitätsverweigerung, wie wir es in diesem Hause noch nicht gehört haben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Doch!)

Der Sachverständige Professor Dr. Kluth fand dafür folgende Zusammenfassung:

... ich bedanke mich für die Gelegenheit, heute eine mündliche Stellungnahme abzugeben, und befinde mich jetzt in der schwierigen Lage, dass es eine seltene Einmütigkeit in der kritischen Beurteilung des Gesetzesentwurfs durch die verschiedenen Sachverständigen gibt ...

(Timon Gremmels [SPD]: Aber der ist doch geändert worden, Herr Müller!)

Die FDP hatte Herrn Dr. Scheffczyk ins Rennen geschickt,

(Dr. Thorsten Lieb [FDP]: Guter Mann!)

und er stellte Folgendes fest:

Abgesehen von dem, was grundsätzlich zu begrüßen ist, enthält der Entwurf zwei Regelungen, die das Ziel der Beschleunigung von Gerichtsverfahren im Infrastrukturbereich durchaus gefährden könnten bzw. möglicherweise sogar zu klaren Verzögerungen führen.

Sie haben etwas halbherzig und in die Enge getrieben an einer Stelle ein bisschen nachgelegt. Aber es bleibt Folgendes richtig, was Herr Dr. Scheffczyk ebenfalls feststellte:

Die stark verfahrensverzögernden praktischen Konsequenzen haben Frau Professorin Bick und Herr Professor Wysk in ihren Stellungnahmen sehr schön dargestellt.

(Esther Dilcher [SPD]: Genau!)

Damit komme ich zum Sachverständigen Dr. Seegmüller. Er sagte:

Die genannten Maßnahmen werden mit Ausnahme der Verkürzung des Instanzenzugs bestenfalls zu keiner Verzögerung der gerichtlichen Verfahren führen. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern auch die Meinung des von mir vertretenen Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen.

(Kaweh Mansoori [SPD]: Sie zitieren die Ursprungsfassung, Herr Müller! Das ist postfaktisch, was Sie hier machen!)

Und dann, meine Damen und Herren, kommt Folgendes – das ist ebenfalls bemerkenswert –:

... und ich kann nur sagen, seitdem dieser Gesetzentwurf in der Welt ist,

– Sie haben den ja für besonders gut gehalten –

hat bei mir das Telefon nicht still gestanden und an die Türe ist immer wieder durch besorgte Kolleginnen und Kollegen, die gefragt haben, ob das wirklich so gemeint ist ... angeklopft worden.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Tja, das fragen sich nicht nur die Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter, das fragt sich auch die interessierte Öffentlichkeit.

Jetzt will ich Ihnen sagen, weswegen wir diesem Gesetzentwurf und dem Antrag nicht zustimmen können. Der Sachverständige Professor Dr. Wysk nahm zu Beginn seiner Ausführungen eine bemerkenswerte Einordnung Ihrer Regelungen vor. Ich trage vor:

Ich würde die Regelung ...

– und zwar in dem Gesetzentwurf, und den behalten Sie ja weitgehend bei –

(Kaweh Mansoori [SPD]: Das bringt uns nur nicht weiter, weil das sich alles auf den ursprünglichen Entwurf bezieht, Herr Müller!)

in drei Gruppen einteilen: In die Gruppe der fatal schädlichen, in die Gruppe der überflüssigen und tendenziell schädlichen und in die Gruppe der sinnvollen – da möchte ich für den § 80c VwGO gleich noch eine Lanze brechen –, aber nicht ausreichenden.

(Dr. Thorsten Lieb [FDP]: Ah! Das ist ja interessant! – Zuruf der Abg. Esther Dilcher [SPD])

Was machen Sie? Sie streichen eine fatal schädliche Formulierung in dem extrem schlechten Entwurf, und der Rest bleibt. Der Rest ist, wie wir gehört haben, nicht ausreichend; Sie arbeiten nicht ausreichend. Deshalb stimmen wir nicht zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Müller, ich genehmige immer gerne Zitate. Hätte ich allerdings gewusst, dass Sie sechs Minuten lang zitieren, hätte ich die Genehmigung nicht erteilt – das nur für die Zukunft.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die Anhörung war ja öffentlich. Ich werde das noch mal nachvollziehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wäre für die Zukunft doch nett, wenn Sie den überwiegenden Anteil der Rede anders verwendeten.

Jetzt hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Harald Ebner.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7551022
Wahlperiode 20
Sitzung 86
Tagesordnungspunkt Verwaltungsgerichtliche Verfahren im Infrastrukturbereich
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