Maximilian MörseburgCDU/CSU - Technikfolgenabschätzung - Algorithmen in digitalen Medien
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Rößner, das kann ich mir jetzt nicht verkneifen: Dass Sie so viel von Ihrer Redezeit nutzen, um sich an der Opposition abzuarbeiten nach eineinhalb Jahren Regierung, zeigt wirklich nur, in welchem Zustand Ihre Regierung derzeit ist und was Sie vorzuweisen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Aber kommen wir lieber zum Thema. Wir diskutieren heute den Einfluss der großen Plattformen auf Kultur und auf Gesellschaft. Das Augenmerk des vorliegenden Berichtes liegt auf den Algorithmen, die von diesen Unternehmen genutzt werden. Sie entscheiden, welche Inhalte auf eine hohe Reichweite kommen. „Reichweite“ heißt dabei auch immer: gesellschaftlicher und kultureller Einfluss. Die Debatte ist im Grunde aber nicht neu. Lassen Sie mich Tarleton Gillespie dazu zitieren, der genau zu diesem Thema forscht:
Wir diskutieren nicht nur die Nachricht, die es auf die Titelseite geschafft hat, sondern mitunter auch die Tatsache, dass es diese Nachricht überhaupt auf die Titelseite geschafft hat. Die Behauptung von Relevanz seitens der Zeitung, die Mechanismen, welche die Priorisierung und Auswahl bestimmter Meldungen anleiten, die institutionellen Kräfte, welche die moderne Nachrichtenproduktion antreiben – all das kann zum Gegenstand der Diskussion werden. …
Warum ist ein bestimmtes kulturelles Artefakt populär, und wie ist es dazu gekommen? Beliefern die Künstler und Branchen, die es erzeugten, uns mit den richtigen Produkten? Sollte Kultur populär oder aufklärend sein, und werden andere Kulturformen durch gegenwärtige Prozesse verdrängt? Heutzutage nehmen solche Fragestellungen auch Algorithmen ins Visier …
Mit anderen Worten: Ähnlich wie bei Entscheidungsprozessen großer Verlage sind Algorithmen selbst schon Teil, zugleich aber auch Ausdruck einer Kultur. Ebenso wie wir die Gründe hinterfragen, wenn zum Beispiel eine Zeitung einen reißerischen Artikel auf die Titelseite packt, müssen wir auch die Prinzipien der Algorithmen beleuchten. Warum spült es mir gerade diesen Beitrag auf meine Timeline? Warum kommt genau dieses Reel in meinem Newsfeed?
Der Punkt, den Dr. Gillespie später in seinen Untersuchungen unterstreicht, ist der: Algorithmen decken auch bereits bestehende Regeln im öffentlichen Diskurs auf. Wenn Sie sich Instagram oder Twitter anschauen, sehen Sie: Dort geht es nicht um Ausgewogenheit oder Lösungsfindung, sondern schlicht um Reichweite. Reichweite gehorcht eigenen Prinzipien, und diese Prinzipien wiederum werden dann in die Algorithmen wieder eincodiert und somit noch weiter verstärkt. Das Ziel – des Unternehmens jedenfalls – ist also, Werbeeinnahmen zu generieren, was übrigens nicht verwerflich ist; das geht an diese Adresse da drüben. Aber im Verhältnis zwischen Anbieter und Verbraucher müssen solche grundlegenden Eigenschaften der Dienstleistungen klar und auch verständlich erklärt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss vor allen Dingen reguliert werden!)
Es muss jedem klar sein, auf was er sich einlässt. Nur wenn er das erkennt, kann er sich entscheiden, ob und in welchem Ausmaß er daran teilnehmen möchte. Der Zugang zu Informationen ist Grundvoraussetzung für den freien Markt. Interessant ist übrigens auch ein Anbieter von diesen Dienstleistungen: der Fall Tiktok – ein Medium, das von immerhin 20 Millionen Menschen in Deutschland genutzt wird. Warum diskutieren die Amerikaner gerade ein landesweites Verbot von Tiktok? Weil die Daten vermutlich von der chinesischen Regierung eingesehen werden. Es wird immer offensichtlicher, dass sie doch direkt nach China fließen, wo es keinen glaubhaften Datenschutz gibt. Angeblich wurden die Daten sogar genutzt, um den Aufenthaltsort einzelner Journalisten in den USA auszuspähen. Dass wir ein freies Netz wollen, heißt nicht, dass wir es zulassen müssen, dass die chinesische Regierung deutsche Bürger ausspioniert.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dass Algorithmen immer mehr im Verdacht stehen, die öffentliche Meinung und die Kultur zu beeinflussen, liegt auch daran, dass die sozialen Medien eines geschafft haben: Sie haben es geschafft, das, was uns am wichtigsten ist, zu einem Produkt zu machen, nämlich den Kontakt zu anderen Menschen. Deswegen ist es nichts Schlechtes oder Verwerfliches, dass wir soziale Medien nutzen, dass wir sie nutzen wollen. Wir müssen nur darauf achten, wie wir sie nutzen, wie viel wir sie nutzen, welche sozialen Medien wir nutzen
(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also alles Eigenverantwortung, ja?)
und welche Auswirkungen das auf unsere Demokratie hat. Nicht zuletzt müssen wir auch uns selbst hinterfragen. Für eine veränderte Informationsmedienlandschaft müssen wir uns rüsten durch Bildung, durch Aufklärung, durch Achtsamkeit; aber das Stichwort heißt: Eigenverantwortung. Es bringt nichts, auf die vermeintlich dummen und ungebildeten Tweets der anderen Seite einzudreschen und sich dafür gegenseitig auf die Schultern zu klopfen oder einfach jeden zu blockieren, mit dem man nicht diskutieren möchte, dessen Meinung man nicht erträgt. Es bringt auch nichts, sich Verschwörungstheorien anzuschließen, online wie offline. Algorithmen können in dieser Hinsicht verstärkende Effekte sein. Sie sind aber nicht der Auslöser dieser Probleme. Deswegen – das zeigt auch dieser Bericht – werden wir weiter über dieses Thema diskutieren müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächster Redner ist Maximilian Funke-Kaiser für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551085 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 86 |
Tagesordnungspunkt | Technikfolgenabschätzung - Algorithmen in digitalen Medien |