Katja Kipping - Housing-First-Ansatz in der Wohnungslosenhilfe
Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Housing First, zuerst eine Wohnung – am Anfang aller Hilfe steht die bedingungslose Vermittlung in ein eigenes Mietverhältnis. Diese Idee ist so einfach wie überzeugend.
(Beifall bei der LINKEN)
Ohne Wohnung sind Menschen schutzlos Frost und Hitze ausgeliefert. Es ist kaum möglich, eine Arbeit zu finden. Auf der Straße und in Unterkünften werden Menschen viel schneller Opfer von Diebstahl. Das heißt auch, wichtige Dokumente gehen schnell verloren. Die Vermittlung in Wohnungen durchbricht diese Teufelsspirale. Deswegen geht es bei Housing First nicht darum, dass man zuerst die Wohnfähigkeit unter Beweis stellen muss oder eine To-do-Liste abarbeiten muss. Tatsache ist aber auch: Ist der Mietvertrag einmal unterschrieben, hört die Arbeit mit den Wohnungslosen nicht auf, sondern sie beginnt erst; denn wer auf der Straße lebt, hat sein Päckchen zu tragen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Probleme sind nicht alle weg, aber aus der Sicherheit der eigenen vier Wände lassen sie sich eben leichter bearbeiten.
In Debatten um Housing First ist manchmal der falsche Eindruck entstanden, dass es eine starke Kontroverse gebe zwischen akuter Nothilfe wie der Kältehilfe und Housing First. Da ich meine erste Nacht als Senatorin vor über einem Jahr in einem Wärmebus der Kältehilfe verbracht habe, kann ich nur sagen: Die vielen Ehrenamtlichen, die auch jetzt wieder unterwegs sind, spenden Wärme, sie schützen vorm Kältetod, sie stiften Vertrauen. Deswegen an dieser Stelle ein riesengroßes Dankeschön an all die vielen Haupt- und Ehrenamtlichen in der Notfallhilfe und Kältehilfe.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Angeregt durch Erfolge mit Housing First in Finnland hat in Berlin die frühere Sozialsenatorin Elke Breitenbach zusammen mit Alexander Fischer, ihrem Staatssekretär, Housing First als Pilotprojekt eingeführt. Wir haben das evaluiert, und das wissenschaftliche Ergebnis war ganz klar: Housing First funktioniert. Es gab eine enorm hohe Wohnstabilität von 97 Prozent.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Daraufhin hat Berlin entschieden, die Gelder zu verstetigen und zu erhöhen. Allein in diesen Doppelhaushalt sind über 6 Millionen Euro eingesetzt. Wir vermitteln jetzt auch Paare und Mütter mit Kindern in Wohnungen. Das große Ziel ist natürlich, dass Housing First vom Pilotprojekt zum Leitmotiv wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Berlin tut also, was auf Landesebene möglich ist. Damit Housing First aber flächendeckend zum Leitmotiv wird, ist der Bund gefragt. Deswegen in aller Kürze einige Maßnahmen, die notwendig sind und die auch im vorliegenden Antrag aufgeführt sind:
Erstens. Es braucht bezahlbaren Wohnraum, das heißt eine Priorisierung des sozialen Wohnungsraums.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens wäre es sehr hilfreich, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht und Mietendeckel ermöglicht. Das erleichtert schlichtweg den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum.
(Beifall bei der LINKEN – Maximilian Mordhorst [FDP]: Bauen Sie doch erst mal bei sich selbst!)
Drittens geht es um die konkrete Ausgestaltung der 67er-Hilfen. Der Deutsche Verein hat hier eine pauschalierte Basisfinanzierung vorgeschlagen. Das klingt bürokratisch. Man könnte es auch anders übersetzen: Es geht zum Beispiel darum, dass soziale Träger, die in dem Bereich tätig sind, als eine Art Sozialmakler anerkannt werden und ihre Maklergebühr sozialrechtlich übernommen wird. Und: Wir brauchen dringend eine Lösung für die EU-Bürger/-innen, für die es null Anspruch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft gibt, die aber zum Beispiel in Berlin circa die Hälfte der Obdachlosen ausmachen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich komme zum Schluss. Zuerst eine Wohnung, um wieder der Souverän über das eigene Leben zu werden – dieser Ansatz ist so einfach wie überzeugend.
(Beifall bei der LINKEN – Lars Lindemann [FDP]: Bauen Sie denn welche in Berlin?)
Kommen Sie bitte wirklich zum Schluss.
In Anlehnung an den berühmten Spruch von Bertolt Brecht vom Einfachen, das so schwer zu machen ist: Housing First ist die einfache Logik, deren Umsetzung unser aller Pflicht ist.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Das war Katja Kipping, Senatorin aus Berlin, für den Bundesrat. – Jetzt folgt Cansel Kiziltepe, Parlamentarische Staatsekretärin bei der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551091 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 86 |
Tagesordnungspunkt | Housing-First-Ansatz in der Wohnungslosenhilfe |