01.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 87 / Tagesordnungspunkt 4

Susanne Hennig-WellsowDIE LINKE - Reaktion auf den russischen Angriffskrieg - Sondertribunal

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Vergewaltigungen durch russische Soldaten, die Massaker in Butscha und anderswo, gezielte Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung – gegen wehrlose Kinder, Frauen, Alte –, Folterstätten, Hinrichtungen, erniedrigende Behandlung von Kriegsgefangenen – das alles sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dieser Katalog der Grausamkeit, von dem nicht nur der UN-Generalsekretär spricht, ist furchtbar lang. Und das bedeutet: Das muss jetzt genauestens untersucht werden; denn wir brauchen eine konsequente Strafverfolgung.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Russland hat einen Angriffskrieg begonnen. Russland begeht Kriegsverbrechen. Und ja, man kann nicht nach Frieden rufen, ohne den Aggressor zum Abzug aufzufordern.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ulrich Lechte [FDP])

Natürlich ist mein Wunsch groß, Putin und seine Befehlshaber vor Gericht zu stellen. Aber wir wissen auch – leider –, dass die Strafverfolgung ganz und gar nicht einfach ist. Dafür gibt es Gründe.

Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte engagiert sich seit Jahren dafür, die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen und Vergewaltigungen juristisch zu verfolgen, und sagt zu Recht: Legitimität und Wirkungskraft des Völkerrechts und seiner Einrichtungen haben in den letzten Jahrzehnten stark gelitten. Die Gründung eines Sondertribunals würde Doppelstandards fortsetzen.

Die Anwälte der genannten Menschenrechtsvereinigung berichten außerdem, dass die Regeln unzureichend sind, dass Institutionen gestärkt werden müssten und dass dem Recht konsequenter Geltung verschafft werden sollte. Deshalb fordern wir die Erweiterung des Römischen Statuts um die Verfolgung des Verbrechens der Aggression.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir nun über Lücken des Völkerstrafrechts reden, sollten wir das nicht aus den Augen verlieren.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt Rechenschaftslücken. Es gibt Grenzen in dem, was der Internationale Strafgerichtshof tun kann. Es gibt Aspekte in der Architektur der internationalen Ordnung – Stichwort „Sicherheitsrat“ –, die mögliche Wege der Ahndung von Kriegsverbrechen nun blockieren. Es ist schwierig, ein unparteiisches und international anerkanntes Strafverfahren zu etablieren. Und ja, das tut weh; denn der innere Kompass, den man hat, strebt so sehr danach, kein Kriegsverbrechen ungestraft zu lassen, weil man den Opfern Gerechtigkeit widerfahren lassen möchte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bleibt das Ziel – ohne Einschränkung.

Einen Weg, der den Vorwurf des Ausnahmerechts bekräftigen und der Legitimation der internationalen Strafjustiz schaden würde, sollten wir nicht gehen.

(Beifall bei der LINKEN – Zustimmung der Abg. Marianne Schieder [SPD])

Wir stimmen daher dem Antrag der Union nicht zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Frau Wagenknecht hätte Ihre Rede mal hören sollen!)

Das Wort erhält Helge Limburg für Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7551221
Wahlperiode 20
Sitzung 87
Tagesordnungspunkt Reaktion auf den russischen Angriffskrieg - Sondertribunal
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Internationaler Strafgerichtshof

Internationaler Strafgerichtshof

Der Internationale Strafgerichtshof ist ein ständiges internationales Strafgericht mit Sitz in Den Haag (Niederlande) außerhalb der Vereinten Nationen. Seine juristische Grundlage ist das multilaterale Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998. Er nahm seine Tätigkeit am 1. Juli 2002 auf. Seine Zuständigkeit umfasst die vier Kernverbrechen des Völkerstrafrechts, nämlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen, soweit sie nach seiner Gründung begangen wurden. Im Dezember 2017 einigten sich die Vertragsstaaten, auch das Verbrechen der Aggression in seine Zuständigkeit aufzunehmen, mit Wirkung ab Juli 2018. Zwar besitzt der IStGH keine universelle, jedoch eine weitreichende Zuständigkeit, die im Römischen Statut konkret festgeschrieben ist. Gegenüber der nationalen Gerichtsbarkeit ist seine Kompetenz zur Rechtsprechung nachrangig; er kann eine Tat nur verfolgen, wenn eine nationale Strafverfolgung nicht möglich oder staatlich nicht gewollt ist, sog. Grundsatz der Komplementarität. Seit März 2024 steht die japanische Richterin Tomoko Akane dem IStGH als Präsidentin vor; Chefankläger ist seit Juni 2021 der britische Jurist Karim Ahmad Khan. Der IStGH wird von derzeit 125 Vertragsstaaten unterstützt, darunter alle Staaten der Europäischen Union. Länder wie China, Indien, die Vereinigten Staaten, Russland, die Türkei und Israel haben das Römische Statut entweder gar nicht unterzeichnet, das Abkommen nach der Unterzeichnung nicht ratifiziert oder ihre Unterschrift zurückgezogen.

Internationaler Strafgerichtshof

Der Internationale Strafgerichtshof ist ein ständiges internationales Strafgericht mit Sitz in Den Haag (Niederlande) außerhalb der Vereinten Nationen. Seine juristische Grundlage ist das multilaterale Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998. Er nahm seine Tätigkeit am 1. Juli 2002 auf. Seine Zuständigkeit umfasst die vier Kernverbrechen des Völkerstrafrechts, nämlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen, soweit sie nach seiner Gründung begangen wurden. Im Dezember 2017 einigten sich die Vertragsstaaten, auch das Verbrechen der Aggression in seine Zuständigkeit aufzunehmen, mit Wirkung ab Juli 2018. Zwar besitzt der IStGH keine universelle, jedoch eine weitreichende Zuständigkeit, die im Römischen Statut konkret festgeschrieben ist. Gegenüber der nationalen Gerichtsbarkeit ist seine Kompetenz zur Rechtsprechung nachrangig; er kann eine Tat nur verfolgen, wenn eine nationale Strafverfolgung nicht möglich oder staatlich nicht gewollt ist, sog. Grundsatz der Komplementarität. Seit März 2024 steht die japanische Richterin Tomoko Akane dem IStGH als Präsidentin vor; Chefankläger ist seit Juni 2021 der britische Jurist Karim Ahmad Khan. Der IStGH wird von derzeit 125 Vertragsstaaten unterstützt, darunter alle Staaten der Europäischen Union. Länder wie China, Indien, die Vereinigten Staaten, Russland, die Türkei und Israel haben das Römische Statut entweder gar nicht unterzeichnet, das Abkommen nach der Unterzeichnung nicht ratifiziert oder ihre Unterschrift zurückgezogen.