01.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 87 / Tagesordnungspunkt 4

Macit KaraahmetoğluSPD - Reaktion auf den russischen Angriffskrieg - Sondertribunal

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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, zunächst zwei Dinge klarzustellen.

Erstens. Der Antrag der Union verkennt die globalen Realitäten und ist widersprüchlich, weil er seinem eigenen Kernanliegen abträglich ist.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das klang aber bei Ihrem Kollegen ganz anders!)

Und zweitens. Dieses Kernanliegen, nämlich die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, ist absolut richtig und legitim.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Niemand, der auch nur einen Funken Gerechtigkeit in sich trägt, kann sich gegen dieses Anliegen stellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Am letzten Freitag – heute wurde es schon mehrmals erwähnt – hatten wir ja den ersten Jahrestag des Ukrainekrieges. Ein Jahr voller Kriegsverbrechen, ein Jahr, in dem Millionen von Menschen ihre Heimat in der Ukraine verlassen und fliehen mussten, in dem Zehntausende von Menschen getötet, ja, ermordet wurden, Tausende von ukrainischen Kindern verschleppt und Tausende von ukrainischen Frauen vergewaltigt wurden. Angesichts dieser unfassbaren Verbrechen ist es schlicht und einfach nicht nachvollziehbar, dass es selbst in diesem Haus Menschen gibt,

(Marianne Schieder [SPD]: Lautsprecher Putins!)

die der Ukraine ihr Recht auf Selbstverteidigung absprechen wollen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU] und Susanne Hennig-Wellsow [DIE LINKE])

Wir wissen allerdings nicht erst seit dem 24. Februar letzten Jahres, dass Putin ein Mörder und ein Kriegsverbrecher ist. Er hat im zweiten Tschetschenien-Krieg eine ganze Großstadt, nämlich Grosny, die Hauptstadt Tschetscheniens – von der Einwohnerzahl her übrigens vergleichbar mit den baden-württembergischen Städten Mannheim oder Karlsruhe –, in Schutt und Asche bomben lassen. Ich habe die Satellitenbilder vor und nach diesem Krieg gesehen. Es ist unfassbar, mit welcher Brutalität und Gleichgültigkeit eine ganze Großstadt samt ihren Einwohnern – Frauen, Männer, alte Menschen und Kinder – regelrecht dem Erdboden gleichgemacht wurde. Ich werde niemals die Bilder einer tschetschenischen Mutter vergessen, die vor der verbrannten Leiche ihres Kindes verzweifelt geschrien und geweint hat.

Und es war 2008 wieder Putin, der ein kleines Land im Kaukasus, nämlich Georgien, überfiel und dessen territoriale Integrität mit Füßen trat, indem er Südossetien und Abchasien abspaltete.

Und 2014 – es wurde heute auch schon erwähnt – war es wieder Putin, der die Krim überfiel und annektierte.

Gerade die Verbrechen gegen die Ukraine wiegen umso schwerer, weil die Ukraine sich mit dem Budapester Memorandum 1994 freiwillig dazu bereit erklärt hatte, ihre Atomwaffen an Russland abzugeben. Im Gegenzug hatte sich Russland der Ukraine gegenüber verpflichtet, deren territoriale Integrität, und zwar inklusive der Krim, zu achten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Ulrich Lechte [FDP]: Die Perversion der Geschichte!)

Allein dieses Beispiel mit der Krim zeigt, wie unbedeutend für Putin Recht und Moral sind. Für ihn kommt es alleine auf die militärische Macht an, und diese wird er immer und immer wieder einsetzen, wenn es opportun für ihn ist, um Recht und Moral zu brechen. Deshalb darf Putin keinen Gewinn aus diesem Krieg erzielen. Verbrechen darf sich nicht lohnen, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU])

Ich möchte – wie die meisten oder wahrscheinlich alle von uns hier –, dass dieser Krieg so schnell wie möglich endet. Aber ich möchte auch, dass am Ende dieses Krieges Wladimir Putin und seine Führungsriege sich für ihre Verbrechen vor einem Strafgericht verantworten müssen. Damit das möglich wird, dürfen wir das Handlungsfeld unserer Regierung nicht alleine auf ein internationales Sondertribunal begrenzen; das haben mehrere Sachverständige bei der Anhörung am 6. Februar verdeutlicht.

Ob am Ende ein internationales Sondertribunal, ein hybrides Gericht oder der Internationale Strafgerichtshof die Verbrechen Wladimir Putins und Russlands aufarbeitet, hängt von verschiedenen Faktoren ab, deren Entwicklung heute nicht vorhersehbar ist. Der Schriftsteller Jean Paul hat einmal gesagt: „Die … höchste Krone des Helden ist die Besonnenheit mitten in Stürmen der Gegenwart.“ Lassen Sie uns in solch einer wichtigen Sache besonnen und nicht voreilig handeln!

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aber lassen Sie uns handeln!)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Susanne Hennig-Wellsow [DIE LINKE])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7551226
Wahlperiode 20
Sitzung 87
Tagesordnungspunkt Reaktion auf den russischen Angriffskrieg - Sondertribunal
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