Christian DürrFDP - Regierungserklärung - Ein Jahr Zeitenwende
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte Anfang dieses Monats die Gelegenheit, mit Kollegen aus meiner Fraktion die Panzertruppenschule im niedersächsischen Munster zu besuchen. Fast ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine konnte ich mich mit denjenigen austauschen, die im Zentrum der Zeitenwende stehen. An der Panzertruppenschule in Munster werden ukrainische Streitkräfte, werden ukrainische Soldatinnen und Soldaten von deutschen Soldaten am Schützenpanzer Marder und am Leopard ausgebildet. Am westlichen Gerät werden ukrainische Soldaten von ihren deutschen Kameradinnen und Kameraden ausgebildet, um in diesem fürchterlichen Angriffskrieg verteidigungsfähig zu sein, meine Damen und Herren.
Putin hat die Ukraine, Putin hat Europa, Putin hat die NATO und die liberalen Demokratien der Welt unterschätzt. Wir sind stärker als dieser Aggressor. Das zeigt insbesondere die Bundeswehr, zeigen unsere Soldatinnen und Soldaten, liebe Freunde.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Er hat das Gegenteil dessen erreicht, was er wollte. Er wollte die NATO spalten, er wollte das westliche Bündnis spalten. Die Wahrheit ist: Wir werden in der kommenden Zeit zwei neue Mitglieder im Kreis der NATO begrüßen können.
Ich will auch etwas dazu sagen, wie die deutsche Debatte darüber verläuft, angesichts der Rede meines Vorredners und auch der Demonstrationen, die in den letzten Tagen nicht weit von hier, am Brandenburger Tor, stattgefunden haben. An der Solidaritätsdemonstration für die Ukraine durfte ich selbst mit vielen Kollegen aus diesem Haus teilnehmen. Die andere Demonstration muss hier auch erwähnt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist in einer Demokratie vollkommen zulässig, Entscheidungen von Regierungen und politische Meinungen von Fraktionen in diesem Hause zu kritisieren. Es ist natürlich zulässig, darüber zu diskutieren, wie wir innerhalb des westlichen Bündnisses die Ukraine unterstützen. Aber eines ist nicht zulässig: Täter und Opfer bewusst zu verwechseln, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist nicht zulässig.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage das in dieser Deutlichkeit, weil ich glaube, dass die demokratischen Fraktionen genau das nicht zulassen dürfen; das sage ich in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei. Ich unterstelle nicht, dass Ihre gesamte Partei und Fraktion so denken wie Frau Wagenknecht. Aber wenn das so ist, wenn Sie nicht alle so denken wie diejenigen, die an dieser fürchterlichen Demo teilgenommen haben, wenn Sie nicht so denken wie diese rechte Fraktion, dann müssen Sie sich von diesen Kräften in Ihrer Partei trennen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie müssen sich von denen distanzieren und lossagen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Das regeln wir selber! Das ist ja dann unsere Sache!)
Die Märchenerzählung, es ginge ausschließlich um militärische Maßnahmen, ist schlicht falsch. Der Bundeskanzler hat es vorhin erwähnt: Die finanzielle Unterstützung der Ukraine, die der Bundesfinanzminister im G‑7-Format organisierte, als wir die Präsidentschaft innehatten, hat sichergestellt, dass die Ukraine in ihrer staatlichen Integrität, in ihrer staatlichen Funktionalität in diesem Angriffskrieg erhalten bleibt. Oder nehmen Sie die Unterstützung im Justizbereich: Heute werden die Kriegsverbrechen dokumentiert. Ziel muss sein, dass diese Kriegsverbrechen Russlands am Ende auch geahndet werden. Das ist die Antwort auf diesen Krieg. Das ist die Antwort der westlichen liberalen Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will in meiner Rede auf drei Punkte eingehen: Die Sicherheitspolitik der letzten Jahre war natürlich ganz entscheidend durch die Unterstützung der USA geprägt. Wir hatten hier eine Abhängigkeit, die uns jetzt gefährlich geworden ist; das ist hier ja richtigerweise gesagt worden. Unsere Energiepolitik war abhängig vom billigen russischen Erdgas. Auch das – das ist allgemein festgestellt worden – hat nicht funktioniert. Und unsere Wirtschaftspolitik war in der Vergangenheit zu sehr auf autokratische Regime und nicht auf die liberalen Demokratien fokussiert.
Ich will zuerst etwas zur Sicherheitspolitik sagen. Ich bin der CDU/CSU-Fraktion dankbar, dass sie das Sondervermögen für die Bundeswehr unterstützt hat. Ich verstehe jede Ungeduld. Ich sehe auch, dass der neue Bundesverteidigungsminister zum obersten Ziel erklärt hat – insbesondere weil wir jetzt Material an die Ukraine liefern –, die Truppe so auszustatten, dass das bei den Soldatinnen und Soldaten ankommt.
Herr Merz, Sie haben in Ihrer Rede vor einem Jahr gesagt – das war wenige Tage nach dem Ausbruch des Krieges –:
In Wahrheit stehen wir spätestens mit dieser Woche vor einem Scherbenhaufen der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik der letzten … Jahrzehnte.
Wie wahr! Wir standen vor einem Scherbenhaufen, und diese Bundesregierung hat den Hebel umgelegt. Es ist richtig, dass wir unsere Verteidigungsfähigkeit stärken müssen. Und es ist richtig, dass wir unsere Verpflichtungen im NATO-Bündnis, denen die Vorgängerregierungen nicht nachgekommen sind, jetzt endlich erfüllen. Dafür steht diese Bundesregierung. Daran besteht kein Zweifel, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das reicht aber nicht!)
Ich will den zweiten Punkt der Zeitenwende ansprechen, nämlich die wirtschafts- und energiepolitischen Herausforderungen, die wir in Deutschland haben. Ich habe vorhin davon gesprochen, dass unsere Energiepolitik in Wahrheit auf zwei Pfeilern gestanden hat: auf der einen Seite der Ausbau der erneuerbaren Energien und auf der anderen Seite das billige russische Erdgas. Diese Energiepolitik war auf Schocks nicht vorbereitet. Diese Energiepolitik war falsch. Und zur Wahrheit gehört, dass wir auch in klimapolitischer Hinsicht jetzt Dinge tun müssen, die wir uns nicht gewünscht haben. In Deutschland werden jeden Tag – das hat diese Bundesregierung wegen der Fehler der Vergangenheit entscheiden müssen – 30 000 Tonnen Kohle zu den Kohlekraftwerken gefahren.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, dazu gäbe es Alternativen! Warum schalten Sie die Kernkraftwerke ab?)
Das ist notwendig geworden,
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Warum schalten Sie die Kernkraftwerke ab?)
weil in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind. Zur Wahrheit gehört, dass wir es auch dadurch geschafft haben, seit September 2022 von russischem Erdgas unabhängig zu werden.
Aber Teil dieser Zeitenwende ist auch das, was wir in den letzten Monaten real in Betrieb genommen haben. Was haben viele auch in diesem Haus darüber gelächelt – das galt im Übrigen schon zu meiner Zeit im Niedersächsischen Landtag –, als meine Fraktion bzw. meine Partei gesagt hat: Wir müssen auch auf LNG-Terminals an der niedersächsischen, an der deutschen Küste setzen.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ihre Koalitionspartner wollten das nicht!)
In Wilhelmshaven haben wir ein Terminal in Betrieb genommen. In Lubmin läuft es jetzt;
(Beifall bei der FDP)
weitere werden folgen. Wie richtig ist doch diese Politik der Umsteuerung im energiepolitischen Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer hätte noch vor 14 Monaten gedacht, dass Deutschland dazu in der Lage ist.
Wir haben in den letzten Tagen weitere Entscheidungen getroffen. Ich denke beispielsweise daran, dass wir die Stromnetze jetzt endlich schnell ausbauen, und ich denke daran, dass – das will ich zum Schluss insbesondere in Richtung der CSU sagen – diese Koalition am Dienstag geräuschlos entschieden hat, dass wir im Verkehrssektor nicht eindimensional fahren werden, sondern in Deutschland endlich klimaneutrale Kraftstoffe in Form von E‑Fuels zulassen.
(Beifall bei der FDP)
Sie mögen jetzt sagen: Das haben wir als CDU und CSU ja in den letzten Monaten auch immer gefordert.
(Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])
Die Wahrheit ist: Der größte Feind, der größte Kritiker des Verbrennungsmotors – man kann unterschiedlicher Meinung in der Sache sein; die Haltung meiner Partei und Fraktion ist klar –, war Markus Söder, der dauernd ein Aus für den Verbrenner gefordert hat.
(Beifall bei der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was? – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Technologieoffenheit ist das Gebot der Stunde,
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ach so! Das ist jetzt aber absurd!)
und genau dem wird, Herr Merz, diese Bundesregierung gerecht.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Zeitenwende heißt, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Zeitenwende heißt, mit den liberalen Demokratien der Welt jetzt auch in Form von Freihandel zusammenzuarbeiten. Deswegen will ich sagen: Herr Bundeskanzler, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie heute Abend in Richtung Washington abheben. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mit den asiatischen und auch den südamerikanischen Ländern reden. Die Zukunft Deutschlands, insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit, um die wir hier in der demokratischen Mitte gleichermaßen besorgt sind, liegt im Handel und in der Kooperation mit den liberalen Demokratien der Welt. Das ist Zeitenwende.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Dr. Dietmar Bartsch.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 88 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung - Ein Jahr Zeitenwende |