Nils SchmidSPD - Regierungserklärung - Ein Jahr Zeitenwende
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, dieser Überfall Russlands auf die Ukraine stellt eine Zeitenwende dar, aber – ich will in dieser Debatte daran erinnern – zuvörderst für die Ukraine selbst und natürlich auch mit dramatischen Auswirkungen auf den Aggressor Russland. Für die Ukraine ist es eine historische Katastrophe. Sie ist erneut Opfer von übermächtigen Nachbarn geworden. Und auch für Russland ist es eine Tragödie mit noch nicht absehbaren dramatischen Folgen für die russische Gesellschaft, die erneut als Aggressor auftritt.
Wenn wir auf die Ukraine schauen und den heldenhaften Widerstand der Ukraine betrachten, dann stellen wir fest, dass der Widerstand nicht nur auf militärisches Agieren, sondern auch auf eine Zivilgesellschaft, auf eine selbstständige Nation aufbaut, die sich seit der Unabhängigkeit vor mehr als 30 Jahren zur Staatsbürgernation entwickelt hat, eigenständig, über sprachliche und mögliche ethnische Grenzen hinweg und egal ob man Russisch oder Ukrainisch spricht. Die Menschen in der Ukraine haben vor 30 Jahren entschieden, als unabhängige Nation einen eigenständigen Weg zu gehen. Dass ihr Widerstand so erfolgreich ist, hat viel damit zu tun und straft auch all jene Lügen in Deutschland und anderswo, die die Ukraine nur als einen Wurmfortsatz Russlands betrachten und eben nicht als eigenständige Nation sehen. Das ist auch eine Lehre aus der Zeitenwende: dass wir nie mehr die Ukraine oder andere selbstständige Nationen im Osten Europas quasi als Anhängsel von Russland betrachten dürfen.
Die starke ukrainische Zivilgesellschaft ist kreativ im Widerstand gegen den Besatzer und Aggressor. Die ukrainischen Bürgerinnen und Bürger kämpfen nicht nur für sich selbst, sondern verteidigen auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Krieg. Es gibt unabhängige NGOs und Medien, die Korruption aufdecken, und eine Regierung, die auch im Krieg entschlossen dagegen vorgeht. Damit ist klar, dass die Ukraine für europäische, für demokratische Werte kämpft und deshalb unsere Unterstützung gerade auch in dieser Zeit verdient.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die Ukraine ist historisch und menschlich verbunden mit Russland. 11 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer haben nahe Angehörige in Russland. Aber seit der Krimannexion und erst recht seit Beginn des furchtbaren Krieges ist natürlich die Kluft zwischen den Ländern größer und fast unüberwindbar geworden. Das hat viel mit den Zuständen in Russland zu tun, nicht nur mit der Aggression, sondern auch mit der gesellschaftlichen, politischen Grundlage, dem Nährboden für russischen Imperialismus, der bis heute andauert.
Wenn wir auf Russland nach der Zeitenwende schauen, dann sehen wir einen Staat, eine Gesellschaft, die zurückgeworfen sind in düstere Zeiten: Tausende in Gefängnissen, zermalmte Opposition und Zivilgesellschaft und kein Blick in weiten Teilen der Gesellschaft für die Verantwortung Russlands für die aktuellen Kriegsverbrechen in der Ukraine und auch – wenn man in der Geschichte zurückschaut – wenig Auseinandersetzung mit den Taten und den Tätern der Unterdrückung der Gesellschaft zu Zeiten der Sowjetunion. Ja, man hat Denkmale für die Opfer der Sowjetunion und des Stalinismus errichtet; aber die Täter wurden nicht verfolgt. Gerade dieser Krieg Russlands in der Ukraine zeigt, dass keine Zukunft ohne Gerechtigkeit möglich ist. Darum treten wir zusammen mit unseren ukrainischen Freunden dafür ein, dass auch die Kriegsverbrechen, die aktuell begangen werden, nicht straflos bleiben, dass Gerechtigkeit für die Ukraine möglich wird und dass auch Russland die Chance bekommt, Gerechtigkeit walten zu lassen, um selber als gerechter Staat in die Zukunft starten zu können. Auch an dies will ich heute anlässlich des Jahrestages erinnern.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat der Kollege Robin Wagener für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551261 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 88 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung - Ein Jahr Zeitenwende |