Hakan DemirSPD - Migrationspolitischer Sonderweg in Europa
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor zwei, drei Wochen war ich mit einer Gruppe auf der Besuchertribüne. Zu der Gruppe gehörten auch Personen aus Syrien, aus Afghanistan und aus der Ukraine. Alle hatten unterschiedliche Aufenthaltstitel. Ehrlich gesagt, ich konnte ihnen nicht so richtig erklären, warum für die einen § 24 Aufenthaltsgesetz gilt und die anderen in einem Asylverfahren sind, bei dem der Prozess noch nicht klar ist. Natürlich gab es auch in dieser Gruppe Menschen, die ganz normal als Geflüchtete anerkannt worden sind.
Eine Person aus der Gruppe meinte: Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal hier im Reichstagsgebäude, hier im Bundestag sein darf und kann. – Für mich war in dem Moment klar: Natürlich, sie leben hier. Sie sind hierhergekommen. Sie sind ein Teil dieser Gesellschaft. Ich habe keinen Unterschied zwischen den Personen gemacht, und wir sollten auch keinen machen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion macht aber einen Unterschied. Ich finde es gut, dass Sie sagen, dass Sie mit den Geflüchteten aus der Ukraine solidarisch sind. Meine Fraktion steht zu 100 Prozent dahinter. Ich finde es aber schade, dass Sie es in den folgenden Sätzen nicht schaffen, zu sagen: Wir sind auch solidarisch mit allen anderen Geflüchteten, die in dieses Land kommen und am Ende zu 70 Prozent als Geflüchtete anerkannt werden. Auch das müssten Sie schaffen.
(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Das schaffen Sie in diesem Antrag leider wieder nicht. Ich finde das unsolidarisch.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zum Solidaritätsmechanismus auf der EU-Ebene. Unsere Innenministerin Nancy Faeser hat sich für einen Solidaritätsmechanismus eingesetzt. Es wird manchmal behauptet, dass wir da auf EU-Ebene isoliert seien. Dann frage ich mich aber, warum rund 20 EU-Länder bei diesem Solidaritätsmechanismus mitmachen. Es ist ein historischer Schritt.
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das findet doch faktisch nicht statt!)
Dies müssen wir weiter voranbringen. Das machen unsere Innenministerin und unsere Bundesregierung. Das ist ein guter Weg.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Stichwort „Griechenland und irreguläre Migration“ – das war gestern im Innenausschuss Thema –: Die Unionsfraktion beschwert sich darüber, dass Menschen, die beispielsweise in Griechenland als Geflüchtete anerkannt worden sind, über verschiedene Umwege nach Deutschland kommen. Dazu will ich ganz offen sagen – das weiß auch die Unionsfraktion –: Das Problem der Menschen in Griechenland ist, dass, auch wenn sie dort als Geflüchtete anerkannt werden, nicht gewährleistet ist, dass sie Brot, Bett und Seife haben. Unsere Gerichte lehnen es deshalb immer wieder ab, Menschen, die in Griechenland als Geflüchtete anerkannt worden sind, aus Deutschland wieder zurückzuführen; denn ein menschenwürdiges Leben ist für sie in diesem Land einfach nicht möglich.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: In der Europäischen Union? Was für ein Blödsinn!)
Das müssen auch Sie akzeptieren.
Fakt ist aber auch: Wir müssen natürlich stärker mit Griechenland darüber sprechen, wie man gewährleisten kann, dass die Menschen, die dort als Geflüchtete anerkannt sind, dann auch Leistungen bekommen. Ich weiß, dass wir intensive Diskussionen und Gespräche mit Griechenland führen. Ich glaube, das ist der richtige Weg.
Ein weiterer Punkt, den ich in Ihrem Antrag vermisse, dessen Wichtigkeit in den letzten Tagen aber erneut deutlich geworden ist: An der Küste Süditaliens sind wieder Menschen – es waren mehr als 60 –, darunter auch Kinder und Frauen, ertrunken. Sie wurden nicht gerettet. Ich würde mich freuen, wenn auch die CDU/CSU-Fraktion mal sagen würde: Ja, wir müssen eine europäische Rettungsmission starten, wir müssen die Seenotrettungsorganisationen stärken, damit sie verstärkt in der Lage sind, diese Menschen zu retten. – Das könnte auch aus Ihrer Fraktion kommen.
Aus unserer Fraktion, aus der Ampel kommt das. Wir haben uns im Koalitionsvertrag ganz klar darauf verständigt, dass wir eine EU-Rettungsmission brauchen. Wir brauchen eine europäisch getragene und staatlich koordinierte Seenotrettung, weil wir genau wissen, dass wir diese Menschen retten müssen. Das ist einfach rechtsstaatlich korrekt. Es ist moralisch korrekt. Diesen Weg müssen wir weiter gehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Sepp Müller [CDU/CSU]: Menschen sterben in Subsahara! Millionen! Frauen werden vergewaltigt!)
Ein weiterer Punkt in Ihrem Antrag ist der Flüchtlingsgipfel; das ist ja teilweise obsolet.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Leider nicht! Das ist das Schlimme!)
Wir haben jetzt mit Joachim Stamp eine Person, die auch Migrationsabkommen vereinbaren wird.
Ein Punkt ist – weil das in der Presse ein bisschen herumgegangen ist –: Es ist ja bekannt, dass wir schon letztes Jahr etwas gemacht haben; wir haben die Länder unterstützt. Und dieses Jahr ist es so, dass noch mal etwa 3 Milliarden Euro für die Länder zur Verfügung stehen. Wenn ich aber sehe, dass in Bayern die Kapazitäten bis zu 90 Prozent ausgelastet sind und sie in anderen Ländern wie Hessen zu 60 Prozent ausgelastet sind, dann frage ich mich, ob zwischen den Ländern die Verteilung nicht gut funktioniert. Da müssen wir weiter hingucken.
(Zuruf der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])
Deshalb gibt es die neue Arbeitsstruktur mit den vier Arbeitsgruppen, wo Bund, Länder und Kommunen zusammenkommen und darüber noch mal intensiv sprechen. Rund um Ostern wird es dazu auch Ergebnisse geben.
Ich habe am Anfang meiner Rede gesagt, dass ich mit Menschen aus Syrien, der Ukraine und Afghanistan auf der Besuchertribüne stand. Ich darf für meine Fraktion sagen, dass wir mit diesen Menschen solidarisch sind, wenn sie vor Krieg, Gewalt und Tod geflohen sind. Wir machen da keinen Unterschied, egal aus welchem Land sie kommen. Diesen Weg gehen wir auch weiter und lehnen deshalb Ihren Antrag ab.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Thorsten Frei das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551272 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 88 |
Tagesordnungspunkt | Migrationspolitischer Sonderweg in Europa |