02.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 88 / Tagesordnungspunkt 7

Takis Mehmet AliSPD - Migrationspolitischer Sonderweg in Europa

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie, ich bin Sozialpolitiker, und ich habe immer so gedacht: Die Kolleginnen und Kollegen Sozialpolitiker aus der Union haben Langeweile. Aber wenn ich den Antrag der Innenpolitiker der Union lese, erkenne ich: Die haben ordentlich Langeweile, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Union warnt vor einem vermeintlichen Irrweg der Bundesregierung in Sachen Einwanderung. Der eigentliche Irrweg ist hierbei das durchgehende Rechtsabbiegen. Sie haben offenkundig den Kompass verloren. Für Sie geht es seit einer Weile schon nur noch nach rechts, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie machen den Menschen Angst mit wild durcheinandergewürfelten Pull-Effekten, einem Ansatz, der übrigens in der Migrationsforschung längst überholt ist; das wissen Sie auch.

Über die Rückführungsoffensive haben auch schon ein paar meiner Vorrednerinnen und Vorredner gesprochen. Und Sie wissen ganz genau, dass die logistischen und auch die rechtlichen Hürden hier große Schwierigkeiten bereiten.

Wenn ich mir das dann alles genauer vergegenwärtige, kann ich mir durchaus vorstellen, wie so ein Abend zu Hause bei Ihnen von der Union aussieht: Da sitzt man vor dem Fernseher, schaut die „Tagesschau“, guckt sich so um und überlegt: Welche Probleme können wir denn heute mal ansprechen? Wenn einem dann keine Probleme einfallen, gilt: Wenn nichts mehr geht: Gegen Migranten geht immer. – Das ist inzwischen das Motto bei der Union, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wir reden über echte Probleme! – Alexander Throm [CDU/CSU]: Können Sie auch mal zur Sache sprechen? – Alexander Hoffmann [CDU/CSU: Wo sind denn die Antworten der Ampel?)

In meinem Wahlkreis sprechen Ihre Leute inzwischen ganz à la AfD von „Einwanderung in die Sozialsysteme“. Mit solch einem populistischen Unsinn heizen Sie die Debatten fahrlässig an. Sie erhöhen bewusst den medialen Druck auf die ohnehin überlasteten Kommunen,

(Alexander Throm [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Liebe Kollegen, das ist echt peinlich!)

zu deren Anwälten Sie sich plötzlich erklären. Damit nehmen Sie Hetze und Anfeindungen gegen kommunale Mandatsträger/-innen und Politiker/-innen billigend in Kauf.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist ja niveaulos!)

Wohin das führt und was das mit dieser Gesellschaft macht, musste ich in den letzten zwei Wochen in meinem eigenen Wahlkreis erleben,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Jetzt sind wir schuld!)

der, lieber Thomas, unweit von deinem Wahlkreis liegt.

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Wer ist denn der Thomas? Ich möchte doch wissen, wer das ist!)

In Lörrach steht, nur wenige Schritte von meinem Wahlkreisbüro entfernt, ein alter Wohnblock. Vor wenigen Wochen haben die rund 40 Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnanlage ein Angebot der städtischen Wohnbaugesellschaft erhalten, zu ähnlichen bzw. gleichen Mietpreisen in den städtischen Neubau einzuziehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie meinen Wahlkreis in dieser Angelegenheit einfach in Ruhe! Es werden hier Desinformationskampagnen von der rechten Seite und seitens der Union

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

medial, aber auch vor Ort betrieben.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Eijeijei! Unterste Schublade!)

Fakt ist, dass die städtische Wohnbaugesellschaft nichts anderes als einen Kommunikationsfehler gemacht hat; denn es wurden nicht alle Informationen übermittelt.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Ich habe das Kündigungsschreiben gelesen!)

Keine der Mieterinnen und keiner der Mieter wird gezwungen, umzuziehen. Es werden ihnen Angebote gemacht: dass sie in bessere Neubauten umziehen,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Ich weiß nicht, ob Sie das Kündigungsschreiben gelesen haben!)

in barrierefreie Wohngebäude einziehen können.

Und die AfD hatte am letzten Wochenende, am Samstag, nichts anderes zu tun, als zu mobilisieren. Was passierte vor Ort? Der Kollege Thomas Seitz und der Kreisverband der AfD in Lörrach meinten, eine Kundgebung in Lörrach, in der betroffenen Straße, durchführen zu müssen.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Es kamen lediglich 30, 40 Leute zusammen, die man in der gesamten Bundesrepublik mobilisieren musste, weil man vor Ort ansonsten keine Unterstützung erfährt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Schahina Gambir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine sehr geehrten Damen und Herren, letztendlich muss man auch sagen, dass nicht nur die Mieterinnen und Mieter diesen Nachgeschmack erfahren mussten, was es bedeutet, wenn Rechte sich vor der Tür ansammeln, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen der Grünen aus dem Kreisverband Lörrach. Vor ihrem Büro haben vermummte Identitäre einen Protest abgehalten mit dem Satz: „#Wir haben Platz – aber nicht für Deutsche“. Das Büro wurde auch noch angegriffen. Das ist respektlos. Dafür muss man sich schämen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Was Sie machen, ist einzig und allein Rechtspopulismus. Das ist Rechtsradikalismus pur. Und ich frage mich, warum Identitäre immer da sind, wo Sie vorher eine Kundgebung gemacht haben.

(Enrico Komning [AfD]: Weil wir Demonstrationsfreiheit haben! – Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])

Die Verbindung ist hier eindeutig und ganz klar, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zum Schluss möchte ich noch etwas loswerden. Es gibt den Künstler Moe Phoenix. In seinem Lied „Mama/Baba“ heißt es – ich zitiere –: „Ich hol’ das Cash für Mama und kauf’ ein’n Benz für Baba“. – Jetzt könnte man sagen: Das ist Ghettomusik. Aber wissen Sie was? Dieser Satz ist migrationspolitisch so wichtig; denn darin beschreibt er nichts anderes, als dass die Generation, nämlich meine Generation, das geschafft hat, was wir uns schon lange gewünscht haben: dass unsere Eltern hier in Deutschland angekommen sind, dass wir uns um unsere Eltern kümmern können und das auch tun und dass wir auch einen deutschen Benz fahren können. Das ist der Aufstieg meiner Generation. Damit beweisen wir das.

Ich sage auch in deine Richtung, Thomas –

(Josef Oster [CDU/CSU]: Er heißt Thorsten!)

dein Wahlkreis ist ja nicht so weit weg von meinem –: Ich lade dich gern nach Müllheim ein. Wir gehen mal zusammen ins „Steampipe“, rauchen da gemeinsam eine Shisha und essen dabei Baklava –

Kollege.

– und dann reden wir über Migrationspolitik.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Enrico Komning [AfD]: Na denn mal los!)

Das Wort hat der Kollege Detlef Seif für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7551287
Wahlperiode 20
Sitzung 88
Tagesordnungspunkt Migrationspolitischer Sonderweg in Europa
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