02.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 88 / Tagesordnungspunkt 11

Wilfried OellersCDU/CSU - Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst kürzlich berichtete der „Tagesspiegel“ von einer jungen Frau, die wegen einer fortschreitenden Erkrankung des Nervensystems auf einen Elektrorollstuhl angewiesen ist. Gerade will sie in eine Ausbildung starten für den Bereich Redakteurin/Moderation in Print/Fernsehen/Radio, da durchkreuzt Corona ihre Pläne. Doch die junge Frau gibt nicht auf, und seit einem Jahr arbeitet sie nun bei einem Beratungsverein und unterstützt dort Menschen mit Behinderung, demnächst vielleicht sogar mit einem eigenen Podcast. Mit Beharrungsvermögen und Flexibilität hat diese junge Frau es geschafft. Aber anderen Betroffenen gelingt dieser Weg nicht immer.

Daher ist es gut und wichtig, wenn wir auch heute wieder über die Gelingensfaktoren eines inklusiven Arbeitsmarkts diskutieren, weil Menschen mit Behinderung wertvoll für unseren Arbeitsmarkt sind. Vor knapp einem Jahr haben wir das bereits auf Grundlage unseres Antrags „Potenziale nutzen – Inklusive Arbeitswelt stärken“ getan.

Heute beraten wir nun die erste Initiative der Bundesregierung – ja, leider erst 15 Monate nach Antritt der Ampelkoalition – im Bereich Behinderten- und Teilhabepolitik überhaupt. In der Problemanalyse dürften wir uns einig sein. Doch welche Wege die richtigen sind, um die Probleme zu lösen, das steht auf einem anderen Blatt.

Einige Wege, die die Ampel hier vorschlägt, begrüßen wir ausdrücklich. Dazu zählt die beabsichtigte Einführung der Genehmigungsfiktion von sechs Wochen für Anspruchsleistungen der Integrationsämter, wobei auch wir wie der Bundesrat die geforderte gesetzliche Klarstellung begrüßen, dass Zeiten der Sachverhaltsermittlung bei der Frist außer Betracht bleiben.

Die Aufhebung der Deckelung des Budgets für Arbeit haben wir bereits in unserem Antrag gefordert und unterstützen auch diese. In unserem Antrag haben wir allerdings noch weitere Vorschläge unterbreitet, wie zum Beispiel die Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung und das weitere Bewerben des Unterstützungsinstruments. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Minister, fordere ich die Ampel auf, nachzulegen, damit diese gute Idee des Bundesteilhabegesetzes aus der vorherigen Legislaturperiode – das war in 2016 – zu einem wirklichen Erfolgsmodell wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Positiv sehen wir auch die geplante Aufgabenschärfung für die Inklusionsbetriebe als Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes und auch die Neuausrichtung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin.

Die Einführung der vierten Stufe der Ausgleichsabgabe sehen wir allerdings nach wie vor kritisch. Laut den aktuellsten Daten der Bundesagentur für Arbeit waren im Jahr 2020 knapp 300 000 Pflichtarbeitsplätze unbesetzt, aber nur 170 000 arbeitslose schwerbehinderte Menschen standen zur Verfügung. Die junge Frau aus dem „Tagesspiegel“-Artikel sah die BA übrigens schon als Gabelstaplerfahrerin, obwohl sie noch gar keinen Führerschein hat. Nicht die Anzahl der freien Stellen, sondern die Vermittlung ist das offensichtliche Problem hier an dieser Stelle. Da müssen wir viel, viel besser werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die allermeisten Null-Beschäftiger, die mit der vierten Stufe der Ausgleichsabgabe erreicht werden sollen, Betriebe mit 20 bis 60 Mitarbeitern sind, so muss man feststellen, dass diesen einfach der Personalkörper fehlt, um diese umfangreichen Anträge und die Organisation von Arbeitsplätzen auch bewältigen zu können.

Deswegen haben wir in der letzten Legislaturperiode gemeinsam in der Großen Koalition noch die Einheitlichen Ansprechstellen eingeführt. Statt deren Wirkung erst einmal abzuwarten, verschärfen Sie nun die Sanktionen. Wenn Sie unserer Forderung nach einer Strategie und einem Zeitplan für die Evaluation nicht nachkommen, so beachten Sie doch bitte die Forderung der Behindertenbeauftragten aus Bund und Ländern. Diese fordern in ihrer Erfurter Erklärung vom 4. November letzten Jahres eine Evaluation der Einheitlichen Ansprechstellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon überzeugt: Die beabsichtigte Antriebswirkung für mehr inklusive Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt lässt sich mit der vierten Stufe der Ausgleichsabgabe nicht erzielen. Der Schlüssel liegt in einer flächendeckenden Beratungsstruktur für Unternehmen und in der Vermittlung positiver Beispiele für Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen durch andere Unternehmen. Denn letztlich geht es um Vertrauen in Stärken, Potenziale und den Mut der Beschäftigten.

Übrigens: Die junge Frau aus dem „Tagesspiegel“-Artikel hat ihren Wunsch noch nicht aus den Augen verloren, irgendwann einmal die „Tagesschau“ zu moderieren.

Ich bin gespannt auf die weiteren Beratungen gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen und den Schülerinnen und Schülern aus Kaufbeuren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Corinna Rüffer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7551365
Wahlperiode 20
Sitzung 88
Tagesordnungspunkt Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts
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