Macit KaraahmetoğluSPD - Überlastung der Ziviljustiz - Bewältigung von Massenverfahren
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich ganz besonders, dass Besucherinnen und Besucher aus meinem Wahlkreis Ludwigsburg hier sind. Herzlich willkommen!
Eines muss man der Fraktion der CDU und CSU lassen: Es gibt noch Themen, bei denen Sie auf der Höhe der Zeit sind. In diesem Fall haben Sie einen Antrag vorgelegt, der ein bekanntes und wirklich akutes Problem korrekt benennt. Allerdings ist Ihnen offensichtlich entgangen – das muss ich auch in Richtung Dr. Posecks sagen –, dass wir bereits an diesem Problem arbeiten.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Eben nicht! – Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Mit Hochdruck wird daran gearbeitet, mit Hochdruck!)
Der Austausch der Ampelfraktionen mit dem BMJ zu diesem Thema läuft, und das Ministerium wird auch bald etwas dazu vorlegen, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Seit vier Wochen macht ihr keine Gesetzgebung! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: „Absehbar“, „demnächst“ – da muss auch Die Linke lachen!)
Wir alle, Dr. Krings, sind uns darüber einig – und das gilt auch für Dr. Poseck –, dass die Justiz unseres Landes stark belastet ist durch arbeitsaufwendige Verfahren, in denen Tausende Einzelklägerinnen und ‑kläger vergleichbare Interessen geltend machen. Diesel, Kündigung von Bausparverträgen, Fluggastrechte – die Liste ließe sich fortsetzen.
Der Antrag greift auch einige bekannte und dennoch interessante Ideen auf – Sie haben sie schon genannt, Dr. Poseck –, zum Beispiel, dass es durchaus sinnvoll sein kann, wenn in solchen Massenverfahren vorab höchstrichterliche Entscheidungen getroffen werden.
Das war es dann aber auch schon mit meinem Lob. Denn auch dieser Antrag hat offensichtliche Mängel, die einer Zustimmung im Wege stehen.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Mensch! Wir waren so nah dran!)
Zwei Beispiele dazu – Sie müssen zuhören –:
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, sprechen zwar von „Massenverfahren“; aber es fehlt im Antrag an jeglicher brauchbaren Definition. Sprechen wir von 10 ähnlichen Klagen, von 100 oder von 1 000? Man weiß es nicht; denn Sie wissen es offensichtlich auch nicht.
Zweites Beispiel: Ihre Forderung, § 139 der Zivilprozessordnung um eine Regelung zu ergänzen, die es dem Gericht erlaubt, anwaltlich vertretenen Parteien aufzugeben, ihren Vortrag in einer bestimmten Weise zu strukturieren und dem Umfang nach zu begrenzen. Bereits heute können Gerichte nach § 139 ZPO durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten. Es können umfangreiche Auflagenbeschlüsse ergehen, wonach die Parteien zu bestimmten Fragen Stellung nehmen müssen. Ein noch weiter gehender Eingriff in die Arbeitsweise von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ist weder geboten noch notwendig. Mir persönlich wäre das, obwohl ich Rechtsanwalt bin, verhältnismäßig egal; ich stehe kaum noch vor Gericht. Aber – das hört man wirklich aus jeder Himmelsrichtung – ein solcher Eingriff würde in der Anwaltschaft massiven Widerstand auslösen, was das Klima in der Rechtspflege ohne Not vergiften würde, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Dass wir einem solchen Antrag nicht zustimmen können, ist nicht weiter schlimm; denn, wie gesagt, wir arbeiten bereits an Lösungen. Zur Unterstützung der Länder hatten wir den erfolgreichen Pakt für den Rechtsstaat mit etwa 220 Millionen Euro, den wir im Idealfall – so haben wir es im Koalitionsvertrag angedacht – verstetigen wollen.
(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Das erzählen Sie mal dem Bundesjustizminister!)
Er soll nun ergänzt werden um einen Digitalpakt für die Justiz, mit dem in den kommenden Jahren noch einmal eine vergleichbare Summe investiert werden könnte.
(Zuruf des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU])
Denn genau das braucht die Justiz jetzt: moderne, digitale Ansätze, um der Papierflut solcher Verfahren, aber auch der Legal-Tech-basierten Infrastruktur von Rechtsdienstleistern etwas entgegensetzen zu können.
In Baden-Württemberg, meinem Heimatbundesland, gibt es ein Vorzeigeprojekt am Oberlandesgericht Stuttgart. Hier sind allein vier Senate mit der Bearbeitung von Berufungsverfahren im Rahmen des Abgasskandals beschäftigt; Dr. Roman Poseck hatte das Problem mit den Dieselverfahren auch schon genannt. Seit Kurzem wird hier in Form einer Prototyp-Software künstliche Intelligenz eingesetzt, um der Schriftsätze Herr zu werden, und die ersten Erfahrungsberichte sind vielversprechend. Insbesondere was die Kategorisierung und die Identifikation bestimmter Parameter angeht, kann ein solches Verfahren vieles deutlich beschleunigen.
Nächster Punkt in Sachen Digitalisierung. Wir arbeiten daran, die Einführung der Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten zu fördern. Der Beratungsprozess in der Gesetzgebung läuft, und am Ende werden wir feststellen können: Verfahren werden dadurch schneller, kostengünstiger und ressourcenschonender.
Und es geht weiter. Im Koalitionsvertrag hat sich unsere Koalition darauf geeinigt, eine gerichtliche Durchsetzung von Kleinforderungen in bürgerfreundlichen und einfachen digitalen Verfahren zu ermöglichen. Nun befinden wir uns aktuell in den letzten Zügen der ersten Phase des Projekts der Erprobung eines zivilgerichtlichen Onlineverfahrens der DigitalService GmbH. Wir werden zeitnah Projektpartner in der Justiz benennen, die die Projekte fachlich unterstützen und die neuen Verfahren an Pilotgerichten praktisch erproben.
Ich möchte noch auf einen letzten Punkt eingehen: Auch mit der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie werden wir große Verbesserungen bewirken und für Effizienz bei der Bewältigung solcher Massenverfahren sorgen. Von einem drohenden Kollaps, Dr. Poseck, wird dann ganz sicher nicht mehr die Rede sein.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Präsens für die Ampel, nicht nur Futur! – Gegenruf der Abg. Katrin Helling-Plahr [FDP]: Sie in der Opposition können nur Konjunktiv!)
Für die AfD-Fraktion hat Stephan Brandner das Wort.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551377 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 88 |
Tagesordnungspunkt | Überlastung der Ziviljustiz - Bewältigung von Massenverfahren |