15.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 90 / Tagesordnungspunkt 5

Johannes FechnerSPD - Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Sanktionsrecht im Strafgesetzbuch muss überarbeitet werden. Wir haben in den letzten Monaten leider eine starke Überlastung psychiatrischer Kliniken feststellen müssen, was im Extremfall in der Tat dazu geführt hat, dass gefährliche Straftäter freigekommen sind. Das kann nicht so bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen müssen wir, orientiert an den Vorschlägen der Bund-Länder-Gruppe – vielen Dank, dass dieser Vorschlag übernommen wurde –, die Vorschriften des Maßregelvollzuges verschärfen. Weil wir auch bei der Ersatzfreiheitsstrafe erhebliche Missstände haben, müssen wir uns auch dieses Thema vornehmen. Das machen wir. Das macht die Ampel mit diesem Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

In Deutschland werden jährlich über eine halbe Million Menschen zu einer Geldstrafe verurteilt, und das in 90 Prozent aller Fälle im Wege des Strafbefehlsverfahrens. Kann eine Geldstrafe nicht vollstreckt werden, dann greift die Ersatzfreiheitsstrafe, das heißt, an die Stelle eines Tagessatzes tritt dann ein Tag Haft. Das System hat der Gesetzgeber eingeführt, um ein Druckmittel zu haben. Schauen Sie sich etwa an, dass wir Reichsbürger und andere Menschen haben, die unseren Staat ablehnen, die die Geldstrafe nicht bezahlen, zu der sie verurteilt wurden. Da brauchen wir ein Sanktionsmittel; denn es wäre das falsche Signal, wenn man sich einfach vor der Sanktion, vor der Geldstrafe drücken könnte.

Aber wir müssen uns ganz genau anschauen, welcher Personenkreis denn ganz überwiegend von der Ersatzfreiheitsstrafe betroffen ist. Dann wird der Handlungsbedarf für uns hier offensichtlich; denn 95 Prozent aller wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierten haben ein monatliches Nettoeinkommen von weniger als 1 000 Euro. In der Regel haben sie persönliche Probleme, sind krank, können ihr Leben aus eigener Kraft nicht mehr ordnen, lesen ihre Post nicht und sind schon gar nicht in der Lage, mit einem Strafbefehl umzugehen, Widerspruch einzulegen oder eine Ratenzahlung zu beantragen. Die hohe Anzahl an Strafbefehlen, die leider in Ersatzfreiheitsstrafen münden, kommt eben genau daher. Deswegen müssen wir hier tätig werden. Wir müssen verhindern, dass quasi automatisch aufgrund eines Strafbefehls die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Der Minister hat dankenswerterweise schon die Zahl genannt. Es ist eine erhebliche Belastung für die Länderhaushalte: 200 Millionen Euro pro Jahr. Die hätte ich gerne in Personal investiert gesehen. Deswegen zeigen diese Zahlen, dass wir hier dringend tätig werden müssen.

Der jetzt vom BMJ gemachte Vorschlag sieht eine Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe vor. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, weil dadurch immerhin die Haftstrafe halbiert wird; aber wir meinen, dass es hier noch Diskussionsbedarf gibt, dass wir hier noch weitere Maßnahmen treffen sollten. Denn auch wenn wir die Haftstrafe halbieren, wird die Person ja immer noch aus dem Leben gerissen, verliert ihren Arbeitsplatz, möglicherweise die Wohnung oder den Therapieplatz. Deswegen müssen wir hier noch weitere Schritte gehen.

Dazu gehört für uns, dass wir die Gerichtshilfe, die Sozialarbeiter noch enger einbinden. Hier wollen wir darüber beraten, ob von der Kannvorschrift, die hier zu Recht vorgeschlagen ist, nicht doch besser einen Schritt weiter in Richtung einer Sollvorschrift gegangen werden sollte, weil wir hier dann, glaube ich, eher Erfolge haben werden. Wir wollen auch darüber beraten, ob es vor der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe nicht doch eine Anhörung durch einen Richter geben sollte, ob das nicht sinnvoll und vor allem auch kostensparend wäre; denn immerhin geht es hier um Haft und damit um einen massiven Grundrechtseingriff.

Wir sollten uns auch die Geldstrafenberechnung bei diesen Fällen, wie wir sie heute haben, anschauen; denn nicht immer findet im Strafbefehlsverfahren ausreichend Beachtung, über welches Einkommen ein Angeklagter verfügt, ob er etwa am Rande des Existenzminimums lebt und deshalb auch einen Tagessatz von den oft angeordneten pauschalen 15 Euro gar nicht aufbringen kann und damit automatisch in die Ersatzhaft kommt. Das wollen wir uns alles anschauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns auch anschauen müssen, welche Delikte denn vor allem zu Ersatzfreiheitsstrafen führen. Da ist es zum Beispiel so: Jede vierte Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe erfolgt wegen des Schwarzfahrens. Deswegen müssen wir auch darüber beraten, ob es nicht Zeit ist, die Vorschrift des § 265a StGB – Erschleichen von Leistungen – grundlegend zu überarbeiten, zu entschärfen, zum Beispiel, indem wir den Vorschlag des Richterbundes aufnehmen, dass eine strafbare Handlung nur noch dann vorliegen sollte, wenn Zugangshemmnisse überwunden werden. Auch darüber werden wir beraten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Denn eins ist klar: Dass Bürgerinnen und Bürger quasi automatisch wegen Bagatelldelikten in Haft kommen, ist für unseren Staat nicht nur sehr teuer – die Millionensummen wurden genannt –, sondern auch unwürdig. Darüber sollten wir beraten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Monaten in der Tat leider zur Kenntnis nehmen müssen, dass gefährliche Straftäter keinen Maßregelvollzugsplatz bekommen haben und deshalb freikamen. Auch das kann nicht so bleiben. Das wollen wir einschränken. Wir wollen nicht, dass Strafgefangene eine Sucht vortäuschen können, um den milderen Maßregelvollzug und die damit einhergehenden Vorteile zu bekommen.

Es ist gut, dass wir in die Debatte starten. Wir wollen hier einiges mit dem sehr guten Vorschlag aus dem BMJ verändern. Es ist überfällig, dass zukünftig tatsächliche Anhaltspunkte für einen Erfolg der Therapie im Maßregelvollzug vorliegen müssen. Heute reicht es aus, dass die Straftat im Rausch begangen wurde oder auf einen Hang zum Rausch zurückgeht. Das ist zu weit gefasst. Deswegen wollen wir die Tatbestandsmerkmale verschärfen, enger fassen, sodass tatsächlich nur suchtkranke Menschen statt eine Haftstrafe eine Therapie antreten können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir beenden einen weiteren Anreiz dafür, dass Täter mit hohen Haftstrafen Therapieplätze beantragen, indem wir zukünftig auf den Zweidrittelzeitpunkt abstellen. Das heißt, nicht nach der Hälfte der Haftstrafe kann die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden, sondern – auch im Maßregelvollzug – erst nach zwei Dritteln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein guter Gesetzentwurf, eine gute Basis für die weiteren Beratungen. Wir freuen uns darauf.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Fechner. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Thomas Seitz, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7551669
Wahlperiode 20
Sitzung 90
Tagesordnungspunkt Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts
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