Carmen WeggeSPD - Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
(Zuruf von der AfD: Wir sind hier!)
Sehr geehrte Damen und Herren! Alle 72 Stunden wird in Deutschland eine Frau vorsätzlich getötet, weil sie eine Frau ist. Jeden Tag entgeht eine Frau einem entsprechenden Tötungsversuch. Frau Hierl, ich finde, das ist schon ausreichend schwer, damit wir mal über den § 46 StGB sprechen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die Schlagzeilen, die es dann immer gibt, lauten in aller Regel „Familiendrama“, „schreckliche Beziehungstat“ oder „Vorfall in den eigenen vier Wänden“.
(Zuruf von der AfD: Ehrenmord!)
Aber diese Schlagzeilen sind verharmlosend und verschleiern, welches Motiv hinter den Taten wirklich steckt, nämlich die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist.
Die fast ausschließlich männlichen Täter stellen durch die Taten ihren Wunsch, die Beziehung zu einer Frau fortzusetzen oder die Frau an einer neuen Beziehung zu hindern, über das Lebensrecht des Opfers. Die Frauen müssen sterben, damit die Täter die Kontrolle über sie zurückgewinnen. Dieses Phänomen muss ganz klar benannt werden: Es handelt sich um Femizide.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es sind keine Dramen, es sind keine Beziehungstaten, sondern Tötungen aus besonders verachtenswerten Gründen.
Im Jahr 2021 wurden laut der BKA-Statistik mehr als 300 Frauen Opfer von partnerschaftlichen Tötungsdelikten. 113 Frauen wurden im Jahr 2021 von ihren aktuellen oder ehemaligen Partnern vorsätzlich getötet. Zum Vergleich: Die Anzahl der männlichen Todesopfer von partnerschaftlicher Gewalt lag bei 14. Tötungsdelikte in Partnerschaften betreffen also zu knapp 90 Prozent Frauen.
Für mich als Frau und bayerische Abgeordnete sind die folgenden Zahlen besonders erschreckend und traurig: Allein in Bayern wurden im Jahr 2021 laut Polizeilicher Kriminalstatistik 49 Frauen Opfer eines versuchten oder vollendeten Femizids, 23 Frauen überlebten nicht. Fast ein Viertel aller Femizide im Jahr 2021 fand damit in Bayern statt.
Doch damit noch nicht genug: Während die Kriminalität, was uns erst mal sehr freut, in Deutschland insgesamt seit Jahren rückläufig ist, nimmt die Zahl der partnerschaftlichen Gewaltdelikte und insbesondere der Femizide stetig zu. Es ist höchste Zeit, dass wir als Gesellschaft die Taten als das begreifen, was sie sind, und endlich handeln. Wir müssen sicherstellen, dass Femizide nicht nur als potenzieller Mord, sondern auch als Hassverbrechen betrachtet werden. Schon jahrelang kämpfen wir als Frauen in der SPD Seite an Seite mit vielen Verbänden genau dafür.
Dieser Kampf ist nicht nur unsere Pflicht; denn die Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 2018, geschlechtsbezogene Diskriminierung und Gewalt zu bekämpfen. Die Konvention verpflichtet nicht nur zur rechtlichen Gleichstellung, sondern auch zu deren tatsächlicher Verwirklichung. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, werden wir mit dem hier vorgelegten Gesetz nun endlich einen ersten wichtigen Schritt machen. Wir schaffen eine klare rechtliche Grundlage, wir ergänzen § 46 StGB und werden den Hass an Frauen als strafschärfendes Motiv endlich im Gesetz festschreiben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich möchte auch nicht verhehlen, dass wir uns durch diese Ergänzung auch eine Änderung bzw. Sensibilisierung der Rechtsprechungspraxis erhoffen. Denn bis heute werden Femizide häufig nicht als Mord, sondern als Totschlag abgeurteilt, weil die Trennung durch die Frau als emotionale Notlage des Täters begriffen wird und zur Annahme mildernder Umstände führt. Aus unserer Sicht ist das eine unzulässige Täter-Opfer-Umkehr.
(Zuruf von der LINKEN: Genau!)
Da sich die Rechtsprechung auch an § 46 StGB orientiert, wenn es um niedrige Beweggründe geht, hat das mit dieser Rechtsänderung dann hoffentlich ein Ende.
(Axel Müller [CDU/CSU]: Das ist doch ein Mordmerkmal!)
Aber auch eine weitere Gruppe ist zunehmend Opfer von Hasskriminalität und Gewalt- und Tötungsdelikten: queere Menschen; wir haben es gerade vom Kollegen Lehmann gehört. Im Jahr 2020 wurden 578 Fälle von Hasskriminalität wegen der sexuellen Identität polizeilich erfasst; 114 davon waren Gewaltdelikte. Im Jahr 2021 waren es 870 Fälle. Erst vor wenigen Monaten haben wir hier im Plenum über den gewaltsamen Tod von Transmann Malte gesprochen, und es ist traurige Realität, dass die Zahlen seit Jahren immer weiter steigen.
Ich habe jetzt viele Zahlen genannt. Aber eins ist damit hoffentlich klar geworden: Die aktuellen Zustände in der Gesellschaft sind nicht zu tolerieren und müssen vom Gesetzgeber beantwortet werden. Der Aufschlag zu § 46 StGB ist ein sehr guter Aufschlag, der Gesetzentwurf ebenfalls. Wir freuen uns auf die parlamentarischen Beratungen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551676 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 90 |
Tagesordnungspunkt | Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts |