Emily VontzSPD - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher/-innen! Midheta Kaloper, eine Frau mit blonder Hochsteckfrisur, schaut mir in die Augen und spricht davon, dass sie in meinem Alter – mit 22 – im Krieg vergewaltigt wurde. Im Raum wird es ganz still. Mein Herz zieht sich zusammen. Neben ihr sitzt Ajna Jusic, eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren. Sie erzählt, dass sie ihren Vater nicht kennt, dass sie aber weiß, dass er ihre Mutter vergewaltigt hat und dass er wahrscheinlich noch irgendwo lebt – so wie viele andere Männer, Soldaten, die im Bosnien-Krieg Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt haben.
Das war ein kleiner Einblick in die Sitzung der Europa AG der SPD von vorgestern. Dort waren Vertreter/-innen von bosnischen Frauenrechtsorganisationen und haben über ihre Schicksale und Erfahrungen im Krieg gesprochen. Sexualisierte Gewalt ist die günstigste Waffe im Krieg. Vergewaltigungen zerstören Frauen und ganze Gesellschaften, und ihre Folgen dauern jahrzehntelang an. Frauen, die vergewaltigt wurden, werden als beschmutzt angesehen. Kinder, die aus einer Vergewaltigung hervorgehen, werden ausgegrenzt. Frauen leiden nach den Übergriffen an sexuell übertragbaren Krankheiten, an Unfruchtbarkeit und auch an Selbstmordgedanken.
Wie damals die bosnischen Frauen, erleben auch Frauen in der Ukraine sexualisierte Gewalt. Seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffs durch Russland auf die Ukraine gibt es darüber immer wieder Berichte. Diese Schicksale müssen gehört werden! Diese Frauen müssen gesehen werden! Sie verdienen unsere volle Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Thomas Ehrhorn [AfD]: Kümmern Sie sich mal um die vergewaltigten deutschen Frauen! Das wäre auch interessant! – Widerspruch bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Aber was können wir heute, hier und jetzt, tun? Wir stehen als Europäische Union an der Seite der Ukraine. Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Seit ihrer Gründung bekämpft sie die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und setzt sich weltweit für Frauenrechte ein. Bei der nächsten Sitzung des Europäischen Rates wird es auch um Frauen im Krieg gehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Rat die Achtung des humanitären Völkerrechts im Ukrainekrieg fordern, die sexualisierte Gewalt gegen Frauen auf das Schärfste verurteilen und die strafrechtliche Verfolgung der Kriegsverbrechen in vollem Umfang anstreben wird.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Johannes Schraps [SPD]: Sehr richtig! Sehr wichtig!)
Als EU-Bürger/-innen können wir den Krieg in der Ukraine ausblenden. Wir können das damit verbundene Leid ausblenden. Wir können uns ablenken, nicht darüber nachdenken. Ukrainer/-innen können das nicht. Für sie ist der Krieg seit 386 Tagen ein schrecklicher Alltag.
Wir dürfen nicht aufhören, den Opfern und Betroffenen unsere Aufmerksamkeit zu schenken, ihren Schicksalen Raum zu geben, vor allem auch den Frauen. Darauf möchte ich hier und heute noch einmal aufmerksam machen.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551711 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 91 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |