16.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 91 / Tagesordnungspunkt 9

Martin KröberSPD - Regionalisierungsgesetz, Ticketpreise im ÖPNV

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute meine Rede dafür nutzen, in vier Minuten mit vier Gerüchten aufzuräumen.

Das erste Gerücht: Das Deutschlandticket ist viel zu teuer, und das Ganze lohnt sich nicht. – Vergangenen Sommer haben 27 Millionen Menschen das 9-Euro-Ticket gekauft.

(Michael Donth [CDU/CSU]: Vorhin waren es 50 Millionen!)

Das ist etwa ein Drittel der Bevölkerung dieses Landes. Heute beschließen wir das Deutschlandticket, und ich gehe davon aus, dass ähnlich viele Menschen dieses Ticket nutzen werden. Das heißt, wir geben 3 Milliarden Euro für mehrere Millionen Menschen aus. Lediglich 500 000 Menschen fahren seit letztem Jahr einen Dienstwagen. Für das Dienstwagenprivileg gibt man, Stand heute, dank der CDU/CSU 3 Milliarden Euro für 500 000 Menschen aus. Das entspricht nicht unserer Vorstellung von sozial gerechten Ausgaben von Steuermitteln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das zweite Gerücht: Das Ticket bringt nichts im ländlichen Raum. – Aktuell – und damit gehen wir auch ganz offen um – gibt es in vielen ländlichen Regionen noch Probleme mit Verbindungen.

(Michael Donth [CDU/CSU]: Es gibt gar keine!)

Aber bereits im letzten Jahr haben wir uns auf den Weg gemacht, gemeinsam mit den Ländern den sogenannten Ausbau- und Modernisierungspakt zu verhandeln. Ein erster Schritt war, dass wir 1 Milliarde Euro zusätzlich an Mitteln bereitgestellt haben, um vorrangig den Schienenpersonennahverkehr auszubauen. Ich denke, damit sind wir auf einem guten Weg, und den werden wir auch weitergehen.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Sie denken immer nur an die Schiene! Haben Sie auch den Bus im Blick?)

– Das ist Aufgabe der Länder, Herr Rehbaum. Vielleicht kümmern Sie sich mal darum, dass Ihre Verkehrsminister in den Ländern sich auch dafür einsetzen, dass das vorankommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Anja Liebert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Donth [CDU/CSU], an Minister Oliver Krischer [Nordrhein-Westfalen] gewandt: Da sitzt er!)

Das dritte Gerücht ist: Niemand wird umsteigen. – 20 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer des 9-Euro-Tickets haben bei Umfragen angegeben, dass sie vorher den ÖPNV nie genutzt haben, etwas, was man hier immer abgestritten hat. Aber in der Tat: 20 Prozent. Das heißt, jeder Fünfte hat vorher den ÖPNV nicht genutzt. 40 Prozent der Befragten haben das Ticket gekauft, weil es so schön einfach war. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen eins: Das 49-Euro-Ticket ist genauso einfach. Genau deshalb gehe ich davon aus, dass viele das genauso nutzen werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das vierte Gerücht: Das Ticket ist zu teuer, um eine echte Entlastung zu sein.

Möchten Sie, Herr Kollege, eine Zwischenfrage zulassen?

Ja, selbstverständlich.

Bitte schön.

Lieber Kollege, ich schätze Ihre Arbeit und Ihr Engagement.

Danke schön!

Aber ich habe bei zwei Punkten wirklich überlegt, ob ich mich melde oder nicht.

Der erste Punkt ist, dass Sie 9 Euro und 49 Euro de facto gleichgesetzt haben. Vielleicht ist für uns als Bundestagsabgeordnete die Differenz von 9 Euro und 49 Euro bei unserem Verdienst nicht ganz groß. Aber glauben Sie nicht, dass es draußen in der normalen Welt Menschen gibt, für die es sehr wohl einen Unterschied macht, ob sie 9 Euro für ein Produkt ausgeben oder 49 Euro?

Und der zweite Punkt in diesem Zusammenhang: Sie sprachen davon, dass Menschen aufgrund dieses Tickets ihr Auto stehen lassen – zumindest habe ich es so verstanden –, vielleicht sogar ganz abschaffen und künftig mit dem ÖPNV fahren, bezogen das aber auf das 9-Euro-Ticket. Heute zahlen Menschen möglicherweise 65 Euro oder 75 Euro für ein Monatsticket; natürlich sparen sie etwas, wenn das Ticket nur noch 49 Euro kostet – wer weiß, wie lange noch –: Glauben Sie wirklich ernsthaft, dass es eine relevante Anzahl an Menschen, an Nutzern gibt, die – im Gegensatz zum 9-Euro-Ticket – bei Kosten von 49 Euro ihr Auto stehen lassen, wenn sie vorher vielleicht 65 Euro bezahlt haben?

(Detlef Müller [Chemnitz] [SPD]: Ja!)

Also ich glaube, dass die Preisspanne, um das Auto stehen zu lassen, hier schlichtweg zu klein ist. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir begrüßen grundsätzlich, dass Sie das 49-Euro-Ticket einführen; das geht in die richtige Richtung. Aber wir glauben nicht, dass es zu einem relevanten Anstieg der Anzahl von Menschen führt, die vom Auto auf den ÖPNV umsteigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Erst einmal vielen herzlichen Dank für die Frage, Herr Lutze. Ich schätze Ihre Arbeit auch sehr, und es macht mich sehr froh, dass Sie genau diese Fragen stellen, damit ich Missverständnisse ausräumen kann. Es wäre für mich sehr schade gewesen, wenn im Nachhinein genau ein solches Missverständnis im Raum steht.

Ich war über sechs Jahre lang Gewerkschaftssekretär im Bereich Glas- und Gebäudereinigung – ich habe übrigens in Ostdeutschland die Tarifverträge verhandelt –: Ich habe sehr wohl ein sehr gutes Verständnis davon, dass es für die Menschen einen erheblichen Unterschied macht, ob das Ticket 49 Euro oder 9 Euro kostet. Ich sage hier aber auch ganz offen und ehrlich: Wir haben sehr lange über den Preis des Tickets gefeilscht. Unsere Fraktion hat im September letzten Jahres einen klaren Beschluss gefasst, was wir gerne wollen. Wir haben gesagt: Wir hätten gerne ein 49-Euro-Ticket, und wir wünschen uns für bestimmte Personengruppen ein 29-Euro-Ticket.

Nun muss man aber an dieser Stelle ganz klar sagen: Wir machen hier Politik nicht alleine, und alles ist ein Kompromiss. Das gehört nun einmal dazu. Ich denke, wir haben hier dennoch einen ziemlich guten Kompromiss gefunden. Ich nenne ein sehr persönliches Beispiel: Ich komme ursprünglich aus dem Harz, einer sehr ländlichen Gegend, wo man das Ticket übrigens auch sehr gut nutzen kann. Mein Vater muss jeden Morgen von Halberstadt nach Wernigerode pendeln, da er dort bei den Harzer Schmalspurbahnen arbeitet. Im Moment bezahlt er für ein Monatsticket für den Zug über 200 Euro. Also fährt er im Moment mit dem Auto. Ich weiß aber, dass er für sich schon ganz genau ausgerechnet hat, wie viel Sprit er finanzieren muss, wenn er jeden Tag nach Wernigerode fährt und wieder zurück. Und dabei kommt er zu der klaren Erkenntnis, dass er mit 49 Euro deutlich günstiger unterwegs ist, als wenn er weiterhin die Spritkosten tragen würde.

Natürlich könnte es immer günstiger sein, Herr Lutze; darüber sind wir uns einig. Aber am Ende des Tages muss man um eine politische Mehrheit für etwas ringen. Ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben, eine politische Mehrheit für 49 Euro zu finden.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Wollten Sie es noch günstiger haben? Wollten Sie es wirklich günstiger bei der SPD?)

Das wollten wir als SPD. Wir wollten gerne ein 49-Euro-Ticket. Andere haben vielleicht ein 69-Euro-Ticket gefordert; andere Parteien haben bis heute nicht erkannt, dass man überhaupt etwas machen muss, wie wir heute sehen. Ich denke, das 49-Euro-Ticket ist ein guter Anfang. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich fange noch einmal an.

(Dr. Christoph Ploß [CDU/CSU]: Wir vergessen alles!)

Viertes Gerücht: Das Ticket ist zu teuer. – Das betrifft also Ihren Punkt, Herr Lutze, vielleicht für Sie einige Beispiele: Von Barby nach Magdeburg, eine sehr häufig gependelte Strecke, kostet – Stand heute – ein Monatsticket 200 Euro. Das ist übrigens nicht nur in meiner Region so teuer; das trifft auch auf andere Regionen zu. Ein Netz-Abo in Westfalen kostet derzeit 250 Euro; von Bad Segeberg nach Hamburg bezahlt man derzeit 183 Euro. Ich glaube, für diese Menschen ist das eine Riesenentlastung. Ich möchte aber auch kurz darauf hinweisen: Die Menschen, die ein Jobticket haben, bezahlen übrigens nur 34 Euro.

(Dorothee Martin [SPD]: Ganz genau!)

Das ist auch ein ziemlich großer Wurf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die alleinerziehende Mutter, die von Barby nach Magdeburg pendelt, bedeutet das im Übrigen eine jährliche Ersparnis von 1 800 Euro.

Sie haben mich gefragt, ob ich den Unterschied zwischen 9 Euro und 49 Euro kenne. Ja, den kenne ich. Und ich weiß auch, was es für einen Unterschied macht, wenn man auf einmal 1 800 Euro mehr im Jahr zur Verfügung hat; denn das wird, denke ich, der alleinerziehenden Mutter die Chance geben, mit ihrem Kind in den Urlaub zu fahren.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anja Liebert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Valentin Abel [FDP])

Ich wünsche ihr eine gute Fahrt; denn mit dem Ticket kommt sie in Zukunft nicht mehr nur von Barby nach Magdeburg, sondern auch ganz bequem an die Ostsee oder in den Harz. Und darauf bin ich sehr stolz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Valentin Abel [FDP])

Noch einmal zusammengefasst:

Erstens. Das Ticket ist genau das, was es in der Krisenzeit braucht. Dafür ist jeder Euro Steuergeld genau richtig ausgegeben.

Zweitens. Der ländliche Raum hat schon jetzt von unserer Verkehrspolitik profitiert. Das wird er auch weiter tun; darum werden wir uns auch weiterhin bemühen.

Drittens. Die Menschen werden dank des Tickets vom Auto auf den ÖPNV umsteigen; da bin ich mir sehr sicher, Herr Lutze.

Und viertens. Das Ticket entlastet, und zwar kräftig.

All denjenigen, die uns erklären, was alles noch viel besser sein könnte, möchte ich noch einmal sehr deutlich machen: Wir haben uns im letzten Jahr auf den Weg gemacht, eine soziale, ökologische und ökonomische Verkehrswende auf den Weg zu bringen und alle Menschen mitzunehmen, gute Angebote zu schaffen. Damit können wir nach einem Jahr noch nicht fertig sein. Damit sind wir noch nicht fertig. Damit machen wir weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Mike Moncsek ist der nächste Redner für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7551756
Wahlperiode 20
Sitzung 91
Tagesordnungspunkt Regionalisierungsgesetz, Ticketpreise im ÖPNV
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta