Sebastian HartmannSPD - Änderung des Bundeswahlgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute entscheiden wir über eine der grundlegendsten, aber sehr überfälligen Reformen des deutschen Wahlrechtes seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Das neue Wahlrecht ist ein deutliches Signal, dass die Politik sich selbst nicht von Veränderungen ausnimmt. Mehr noch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir beweisen die eigene Reformfähigkeit als Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland. Darauf können wir stolz sein.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zukünftig gilt, dass jeder folgende Bundestag immer eine feste Größe von 630 Abgeordneten haben wird. Zugleich stellen wir klar – das ist sozusagen die Grundentscheidung –, dass der Grundcharakter des Bundeswahlrechtes die Verhältniswahl ist.
(Lachen bei der CDU/CSU)
Wir sichern darüber hinaus, dass es bei 299 Wahlkreisen bleibt und damit bei 299 Entscheidungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger. Wir nehmen die Kürzung der Zahl der Wahlkreise zurück. Diese drei Punkte, meine Damen und Herren – eine feste Größe mit 630 Abgeordneten, ein einfaches, nachvollziehbares Wahlrecht mit zwei Stimmen
(Zuruf des Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU])
und der Erhalt der 299 Wahlkreise –, das sind die entscheidenden Punkte unserer Wahlrechtsreform. Darauf können wir stolz sein.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der Auftrag zur Verkleinerung des Bundestages war eindeutig und klar, und so, wie wir es im Koalitionsvertrag dargelegt haben, tun wir es nun auch. Eine zukünftige Verzerrung des Wahlergebnisses – so geschehen in diesem Deutschen Bundestag – zugunsten der CSU und der Privilegierung einzelner Gruppen schließen wir zukünftig sicher aus, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU)
Aber lassen Sie mich auch etwas zur Tonalität in dieser Debatte sagen. Wenn einzelne politische Kräfte insbesondere aus der konservativen Ecke von Schurkenstaaten, Wahlbetrug und organisierter Wahlfälschung sprechen, meine sehr geehrten Damen und Herren,
(Katja Mast [SPD]: Unfassbar! – Weiterer Zuruf von der SPD: Pfui! – Zuruf des Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU])
dann ist das einer parlamentarischen Debatte unwürdig. Das ist etwas, was mit unserer Selbstachtung als Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu tun hat. So diskutieren wir nicht.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU)
Sie legen die Axt an den demokratischen Grundkonsens, und damit gefährden Sie den demokratischen Zusammenhalt in diesem Land. Das weisen wir zurück.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Denn die Geschichte der Wahlrechtsreform ist geprägt von einer Vielzahl von Reden und wenigen Ergebnissen. Das werden wir heute ändern, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir haben über ein Jahr in der Wahlrechtskommission diskutiert – öffentlich, transparent, nachvollziehbar. Wir haben uns für das Gesetzgebungsverfahren – es ging über einen langen Zeitraum – auch Zeit genommen. Wir haben jetzt ein Ergebnis vorliegen, bei dem die Ampelkoalition aus der Mitte des Parlaments ein eigenes Gesetz entworfen hat. Wir begrenzen die Sitzzahl – das ist die Neuerung im Wahlrecht –, indem wir ganz fest eine Zweitstimmendeckung einführen. Die gab es bisher nicht. Das ist der Schlüssel zum Erfolg, den Bundestag fest in der Größe zu begrenzen. Das ist die grundlegende Reform, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir stehen aber fest in einer Verfassungstradition und einer Tradition unseres Wahlrechtes, indem wir den Gedanken des Verhältniswahlrechtes stärken. Es darf auf keinen Fall mehr zu Verzerrungen in diesem Parlament kommen; denn diesbezüglich hat das Verfassungsgericht auch immer eindeutig Grenzen eingezogen. Ich erinnere an die missglückte Reform von Schwarz-Gelb 2011, mit knappster Mehrheit hier durchgesetzt. Ich erinnere auch an die GroKo-Reform, ebenfalls mit knappster Mehrheit durchgesetzt. Meine Damen und Herren, an diesem Punkt haben wir gesagt: Wir wollen eine echte Reform erreichen, und wir sind auch selbstkritisch.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Davon sollte sich keine politische Kraft in diesem Haus ausnehmen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf der Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE])
Das Wahlrecht ist aus Sicht der Wählerinnen und Wähler zu beurteilen: Es muss einfach, es muss transparent, und es muss nachvollziehbar sein. Die Ideen, die wir hatten, haben wir auch einer Evolution unterworfen. Das möchte ich an einem Beispiel veranschaulichen: Wir sind mit einer dritten Stimme gestartet, mit der Eventualstimme. Dann haben wir aber im Verfahren gesagt: Das ist etwas, was wir nicht weiterverfolgen. – Wir nehmen Ideen und Anregungen auf.
Ich bin meinen Mitberichterstattern Till Steffen und Konstantin Kuhle sowie vielen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere auch den Kolleginnen und Kollegen der Union, äußerst dankbar für die zahlreichen Berichterstattergespräche, die wir gemeinsam geführt haben.
(Beifall des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])
Denn wir haben in der Mitte des Parlamentes miteinander geredet und gerungen, und das Ergebnis, das wir heute vorlegen, ist gut.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wie es sich in einem parlamentarischen Verfahren gehört, haben wir auch Anregungen aus der Anhörung aufgenommen. So ist das, wenn man eine erste Lesung durchführt, dann eine Anhörung durchführt und nun in der zweiten und dritten Lesung sagt: Wir ändern Punkte.
(Zuruf der Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE])
Wir haben eine Anzahl von 630 Abgeordneten festgelegt. Dadurch, dass wir etwas mehr Listenplätze festlegen als Wahlkreise, vermeiden wir bzw. verringern wir die Effekte, dass Wahlkreise möglicherweise nicht zugeteilt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Christian Dürr [FDP] – Zurufe von der CDU/CSU)
Wir wissen darüber hinaus, weil wir es in einer öffentlichen Anhörung klar erkannt haben, dass einzelne Kräfte in diesem Haus möglicherweise gegen den Vorschlag vorgehen wollen. Darum haben wir die Kritik in der Anhörung, insbesondere der Sachverständigen der Union, ernst genommen, als es um den Angriffspunkt ging: Ist es eine Systementscheidung, wenn wir das Verhältniswahlrecht nach vorne stellen?
Als sich Kritik an der Grundmandatsklausel entzündete, haben wir genau diesen Punkt aufgenommen.
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Es wurde nämlich gesagt: Sie müssen sich für ein System entscheiden. – Darum haben wir eine feste 5-Prozent-Hürde eingeführt und deutlich gemacht: Diese gilt für alle. Nur Parteien, die über 5 Prozent liegen, nehmen an der Stimmverteilung teil.
(Zurufe von der LINKEN)
Das ist die klare Systementscheidung, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Es wäre im Übrigen auch systemwidrig, an nur 1 Prozent der Wahlkreise, nämlich drei von 299 Wahlkreisen, festzumachen,
(Zurufe von der LINKEN)
dass eine relative Mehrheitswahl mit knappster Entscheidungsmehrheit überhaupt dazu führt, dass Sitze verteilt werden.
(Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])
Diesen Widerspruch lösen wir heute auf, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir haben das Verhetzungspotenzial erkannt, als Alexander Dobrindt reimte: Heimatstimme ist Erststimme, ist Bürgerstimme, Bürgerstimme ist Erststimme. – Meine Damen und Herren, auf dieses Niveau begeben wir uns nicht.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es bleibt bei der bekannten Bezeichnung Erst- und Zweitstimme, damit auch die Union mitgehen kann.
(Lachen bei der CDU/CSU)
Von den fünf Punkten, die Sie eingebracht haben, haben wir drei aufgenommen. Meine Damen und Herren, ich lade Sie ein: Stimmen Sie dem heutigen Gesetzentwurf zu!
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Hochmut kommt vor dem Fall!)
Springen Sie über Ihren Schatten! Sie merken, wir haben Ihre Ideen und Ansätze aufgegriffen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es gibt eine klare Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Wir als Verfassungsorgan müssen heute beweisen, dass wir in der Lage sind, uns selbst zu reformieren; denn heute treten wir den Vertrauensbeweis an.
Liebe Bürgerinnen und Bürger, wir zeigen: Wenn wir dieses Land verändern, wenn wir dieses Land reformieren wollen, dann nehmen wir uns selbst davon nicht aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal welcher Fraktion Sie angehören, egal welcher Partei Sie zuneigen, egal ob Sie über Ihre eigenen Wahlchancen oder die Ihrer Partei nachdenken, es geht heute darum, ein Wahlrecht zu schaffen, das für alle Bürgerinnen und Bürger gilt. Beurteilen Sie es aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger!
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja! Das machen wir!)
Wir haben hier mehr als ein Gesetz zu beschließen. Es geht um den Beweis der eigenen Reformfähigkeit. Es geht um einen Vertrauensbeweis gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier ist der richtige Ort, heute ist die richtige Zeit, und die Wahlrechtsreform zu beschließen, ist die richtige Sache. Stimmen Sie für die überfällige Wahlrechtsreform! Verkleinern Sie endlich den Bundestag! Und tun Sie mehr dafür, dass es wieder mehr Vertrauen in die Demokratie gibt! Wir treten diesen Beweis heute gemeinsam an. Ich bin stolz darauf, daran mitgewirkt zu haben.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Unfassbar! – Weitere Zurufe von der LINKEN)
Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Letzte Rede vielleicht hier, Herr Dobrindt!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551937 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 92 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes |