Alexander DobrindtCDU/CSU - Änderung des Bundeswahlgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was wir hier heute erleben, das ist keine Reform. Das ist ein Akt der Respektlosigkeit – der Respektlosigkeit gegenüber den Wählerinnen und Wählern, gegenüber der Opposition und gegenüber der Demokratie an sich.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN – Widerspruch bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf von der SPD: Bayrisches Wahlrecht!)
Herr Hartmann, Sie machen hier keine Reform an sich selbst. Sie machen hier eine Reform für sich selbst. Das ist die Wahrheit dieses Wahlrechts.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt in diesem Haus drei Oppositionsfraktionen, und zwei von diesen drei Oppositionsfraktionen werden in Ihrem Gesetz strukturell benachteiligt. Mit der Nichtzuteilung von Wahlkreisen wollen Sie CDU und CSU schaden. Durch die Abschaffung der Grundmandatsklausel wollen Sie Die Linke aus dem Parlament drängen
(Zurufe von der SPD: Och!)
und mit einer offensichtlichen Freude das Existenzrecht der CSU infrage stellen. Dieser Versuch der Wahlrechtsmanipulation verkleinert das Parlament, aber er dient einem anderen Ziel, nämlich den Machtanspruch der Ampel zu zementieren. Und Sie nennen das fair und demokratisch!
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Sie schaffen ein Wahlrecht, bei dem direkt gewählte Abgeordnete nicht mehr in den Deutschen Bundestag einziehen. Man muss sich das auch mal ganz praktisch vorstellen: Es findet eine Bundestagswahl statt. Es gibt Wahlkreiskandidaten. Die Bürger gehen zur Wahl. Es gibt auch einen Gewinner. Aber niemand zieht in den Deutschen Bundestag ein.
(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Genau wie in Bayern!)
Ich sage Ihnen, das fördert nicht das Vertrauen in die Demokratie, sondern das fördert ausschließlich Politikverdrossenheit in Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Zuruf des Abg. Dr. Ralf Stegner [SPD])
Wahlkreise werden zukünftig nicht mehr gewonnen. Nein, sie werden weggenommen, meine Damen und Herren. Und das nennen Sie an dieser Stelle „demokratisch“!
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN – Dr. Ralf Stegner [SPD]: Schauen Sie doch einmal in die bayrische Verfassung!)
Sie schaffen ein Wahlrecht, das mit dem deutschen Föderalismus bricht.
(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Sie schaffen die Grundmandatsklausel ab, die in unserer Bundesstaatlichkeit tief verwurzelt und Ausdruck der regionalen Besonderheiten unseres Landes ist.
(Zuruf des Abg. Dr. Ralf Stegner [SPD])
Man muss sich auch das mal vor Augen führen: In einem Bundesland kann eine Partei alle Wahlkreise gewinnen – in Bayern beispielsweise wären das 46 –,
(Zuruf von der FDP: CSU ist nicht Bayern!)
aber nach Ihrem Wahlrecht besteht die Möglichkeit, dass kein einziger Kandidat in den Deutschen Bundestag einzieht. Und das nennen Sie „fair“ und „demokratisch“. Ich nenne das nicht so.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Zurufe von der SPD)
So, jetzt kommen Sie, Herr Hartmann, zu Ihrem Ergebnis, indem Sie sagen: Wir hätten in der Anhörung gehört, da gebe es irgendjemanden, der behauptet hätte, das sei reformbedürftig. – Ich kann Ihnen an der Stelle nur sagen: Warum haben Sie nach der Anhörung eigentlich nicht auf Ihre eigenen Experten gehört? Ihre eigenen Experten haben Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass die Beibehaltung der Grundmandatsklausel „unabdingbar“ ist! Was ist daran falsch zu verstehen, Herr Hartmann?
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Ich gebe Ihnen ein Zitat aus der ersten Lesung dieser Wahlrechtsänderung mit – wörtlich –: Die Grundmandatsklausel soll „dafür sorgen …, dass regional starke Parteien trotz Unterschreitens der 5-Prozent-Hürde im Parlament sind.“ Das waren nicht meine Worte; das waren die Worte vom Grünen Till Steffen. Sehr geehrter Herr Steffen, was ist denn eigentlich passiert? Sie sind hier angetreten, um den Deutschen Bundestag zu verkleinern. Das, was Sie jetzt tun, ist, die Opposition in diesem Bundestag zu verkleinern.
(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der LINKEN sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Zurufe von der SPD)
Die drei Fraktionsvorsitzenden der Ampelfraktionen wurden bei ihrer Pressekonferenz diese Woche gefragt, ob es sein könne, dass in einem Bundesland eine Partei alle Wahlkreise gewinnt und dann kein einziger von diesen Kandidaten in den Deutschen Bundestag einzieht. Darauf haben Sie, sehr geehrte Frau Haßelmann, gesagt: CDU und CSU werden sich etwas einfallen lassen und möglicherweise Listenvereinbarungen eingehen, damit so etwas nicht passiert.
Erstens muss ich Ihnen sagen: Wie soll ein Wahlrecht, das ja angeblich – nach Ihren Aussagen – alle Parteien und Fraktionen gleichermaßen trifft, funktionieren, wenn Sie jetzt zwei eigenständigen Parteien
(Widerspruch bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
quasi den Auftrag mitgeben, Listenverbindungen einzugehen?
Zweitens, sehr geehrte Frau Haßelmann: Wussten Sie eigentlich zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Listenverbindungen im deutschen Wahlrecht ausgeschlossen sind, oder haben Sie die Öffentlichkeit an dieser Stelle bewusst falsch informiert?
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU könnte doch mal in Bayern antreten!)
Herr Dürr von der FDP, Sie haben gestern ja öffentlich gesagt, man könne diesen Gesetzentwurf noch mal nacharbeiten
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und es vielleicht ermöglichen, dass beispielsweise Listenverbindungen zukünftig ein Weg wären.
(Christian Dürr [FDP]: Weil ich gesprächsoffen bin, machen Sie mir das jetzt zum Vorwurf!)
Zumindest haben Sie erkannt, dass dieser Weg heute nicht existiert, dass es derzeit ausgeschlossen ist, Listenverbindungen zu machen.
(Christian Dürr [FDP]: Sie wollen nur keine Verkleinerung des Hauses! Das ist der Grund! Sie kleben an den Sesseln!)
Aber das heißt doch, dass Sie schon erkannt haben, dass Sie Ihren Gesetzentwurf verbessern müssen, bevor Sie ihn überhaupt beschlossen haben. Er ist falsch, er ist fehlerhaft, er ist verfassungswidrig. Sie wissen das, Herr Dürr!
(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der LINKEN sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Jetzt sage ich Ihnen auch noch eines, weil ich Ihnen das gerne mit auf den Weg gebe: Der geistige Urheber dieses Wahlrechts, der sitzt hier. Die AfD ist der geistige Urheber dieses Wahlrechts.
(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der LINKEN)
In ganz Europa versuchen Rechtsaußenparteien, den Parlamentarismus von innen heraus zu zerstören.
(Christian Dürr [FDP]: Das ist peinlich!)
Wenn der Begriff „nützliche Idioten“ auf etwas zutrifft, dann doch darauf, dass Sie deren Wahlrecht hier in Deutschland umsetzen wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Stephan Brandner [AfD]: Das Argument scheint nicht alle zu überzeugen, Herr Dobrindt! – Sebastian Hartmann [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau!)
Herr Hartmann, Sie haben sich ja vorhin noch mal darüber mokiert, dass vom CSU-Generalsekretär der Begriff „Schurkenstaat“ gefallen sei – akzeptiert. Aber eines gebe ich Ihnen hier schon mit auf den Weg: Das, was Sie hier heute beschließen wollen, ist allemal ein großes Schurkenstück; das müssen Sie sich vorhalten lassen, meine Damen und Herren.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Beifall bei der LINKEN – Christian Dürr [FDP]: Nicht ein Wort zur Verteidigung des Parlaments! Nicht ein einziges Wort! – Zuruf des Abg. Dr. Ralf Stegner [SPD])
Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Britta Haßelmann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551938 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 92 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes |