Albrecht GlaserAfD - Änderung des Bundeswahlgesetzes
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger! Wir behandeln ein zentrales Thema unserer Demokratie: das Wahlrecht, die Legitimation des Bundestages als gesetzgebende Gewalt durch Mandat des Staatsvolkes, von dem nach Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz alle Staatsgewalt ausgeht.
Die Ampel schreibt in ihrer Koalitionsvereinbarung – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:
Wir werden innerhalb des ersten Jahres das Wahlrecht überarbeiten, um nachhaltig das Anwachsen des Bundestages zu verhindern.
Er müsse in Richtung gesetzlicher Regelgröße verkleinert werden. Und weiter: Eine
Kommission wird sich mit dem Ziel einer paritätischen Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament befassen … Wir wollen das Grundgesetz ändern, um das aktive Wahlalter … auf 16 Jahre zu senken.
Dies alles wurde mehr oder weniger intensiv, weil die Ampel auch Themen abgeblockt hat, in einer Reformkommission erörtert, die bis heute ihre Arbeit noch gar nicht abgeschlossen hat.
Die Infantilisierung des aktiven Wahlrechtes, meine Damen und Herren, also die Öffnung für unter 18-Jährige, bedarf zum Glück einer Verfassungsänderung. Sie kann daher von einer qualifizierten Minderheit der Vernunft in diesem Hause verhindert werden.
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Interessant ist, welche anderen Staaten ihr Schicksal in die Hände von Jugendlichen legen. Ich nenne beispielsweise Kuba, Nicaragua, Sudan und Nordkorea – gute Vorbilder also für eine Regelung der Ampel.
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Dr. Götz Frömming [AfD]: Gute Freunde der Grünen!)
Man darf die Vermutung anstellen, dass solche Länder die mangelnde Urteilsfähigkeit Jugendlicher für politische Propaganda ausnutzen wollen.
(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Die Leute sind schlauer als Sie!)
Leicht manipulierbare Bürger sind gute Bürger.
Die Herstellung der paritätischen Repräsentanz – lassen Sie mich dazu auch noch ein paar Worte verlieren – von Frauen und Männern im Bundestag durch den einfachen Gesetzgeber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Anmaßung des Pouvoir constitué über das Pouvoir constituant, also die Herrschaft des Parlaments über den Souverän.
Das Staatsvolk ist, wie es ist: Es umfasst Frauen, Männer, Alte, Junge, Gläubige, Ungläubige, Intelligente, weniger Intelligente, Verantwortungsbewusste, Verantwortungslose, Krumme und Gerade, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Niemand hat das Recht, diese Heterogenität des Staatsvolkes zu quoteln und daraus Proportionen abzuleiten, denen Gruppenrechte an Staatsorganen zugeteilt werden.
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Das Staatsvolk ist unteilbar und besteht aus Individuen, nicht aus Clustern von Personengruppen. Dieses Vorhaben der Ampel ist verfassungswidrig, wie die Verfassungsgerichtshöfe in Potsdam und Weimar für ihre Länder bereits festgestellt haben.
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos])
Damit komme ich zum Bundestag. Das Ziel, die Übergröße des Bundestages einzugrenzen, formuliert die Ampel sehr defensiv, das Anwachsen solle verhindert werden. In dieser Frage waren wir in der letzten Legislaturperiode schon weiter.
100 Staatsrechtslehrer hatten sich im Herbst 2019 in einem offenen Brief an den Deutschen Bundestag zu Wort gemeldet und festgestellt, dass eine Verzögerung der Reform „das Vertrauen der Menschen in unsere Demokratie schwer erschüttern“ würde. Sie sahen die Partikularinteressen der Parteien als Hindernis an, nach jahrelanger Diskussion auch zu Ergebnissen zu kommen. Ich zitiere:
Auf keinen Fall darf der Eindruck entstehen, viele Abgeordnete würden die dringend nötigen Änderungen verzögern, weil das eigene Hemd ihnen wichtiger ist als der Gemeinwohlrock.
Die AfD-Fraktion war neu im Bundestag und hatte einen klaren Auftrag aus ihrem Grundsatzprogramm: Es sollte ein Bundestag mit 450 Abgeordneten angestrebt werden. Daran haben wir gearbeitet und im September 2020 einen ausformulierten Gesetzentwurf vorgelegt, welcher die fixe Mandatszahl von 598 enthielt – 598! –, um die Neuzuschnitte von Wahlkreisen zu vermeiden und damit eine schnelle Umsetzung der Reform noch in der vergangenen Legislaturperiode zu erreichen – nebenbei mit Milliardeneinsparungen für den Staat für diese Legislaturperiode. Dieser Vorschlag wurde unter dem üblichen inklusiven Getöse gegen die AfD von allen anderen Fraktionen abgelehnt.
(Stephan Brandner [AfD]: Schäbig! Aber sie lernen dazu!)
Im Mai letzten Jahres, einen Tag bevor die Reformkommission sich mit der Bundestagsgröße beschäftigte, meine sehr verehrten Damen und Herren, geschah ein Wunder: Die Ampel stellte der Öffentlichkeit ein Konzept zur Verkleinerung des Bundestages auf 598 Mandate vor, das nahezu identisch war mit dem AfD-Konzept von 2020,
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Stephan Brandner [AfD]: AfD wirkt! Sogar die Ampel merkt das!)
das ebenfalls heute zur Abstimmung steht. Die Ampel erweckte dabei bewusst den Eindruck, ihr Wahlrechtsvorschlag sei das Produkt eigener kognitiver Leistung.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD – Stephan Brandner [AfD]: Das können die doch gar nicht! – Weiterer Zuruf von der AfD: Unglaublich!)
Die Medien glauben das bis heute, und sie schreiben es auch so. Geliehene Weisheit ist auch Weisheit.
Nicht übernommen wurde unser Anliegen einer offenen Listenwahl, die einen direkten Einfluss des Wählers auf die Bewerberreihenfolge der Landesliste gewährleisten soll. Das wäre ein echter demokratischer Fortschritt; den aber will die Ampel nicht.
(Beifall bei der AfD)
Mit einem Änderungsantrag von vor drei Tagen will die Ampel die bisher von niemandem je bestrittene Zahl zukünftiger Mandate
(Konstantin Kuhle [FDP]: Außer von der Realität! Wir haben nämlich 736! – Gegenruf des Abg. Christian Dürr [FDP]: Aber das mit der Realität hat die AfD nicht so!)
von 598 – nie bestritten, von niemandem! – auf 630 erhöhen und die Grundmandatsklausel, wie schon immer im Vorschlag der AfD, abschaffen.
Herr Dobrindt, jetzt sage ich Ihnen ein Geheimnis:
(Stephan Brandner [AfD]: Ui!)
Diese Vermutung der Wirkung dieser Klausel auf Ihr politisches Schicksal in Bayern, die Sie haben, ist falsch. Sie ist falsch; die Anwendung ist nicht so, wie Sie glauben, dass sie sei. Das kann ich leider nicht ausführen, es sei denn, die Präsidentin gibt mir noch ein paar Minuten Zeit.
(Stephan Brandner [AfD]: Die Präsidentin schüttelt den Kopf! – Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU])
Argumente für diese neueste Volte der Regierung gibt es nicht. Es gibt keine Argumente; aber es gibt Gründe, meine Damen und Herren. Die Ampel hat gerechnet, was sie sonst nie tut. Dabei hat sie festgestellt, dass durch die Originalreform à la AfD allein die SPD nach dem Wahlergebnis von 2021 38 Mandate verlieren würde. Dieser Preis war den Genossen zu hoch. Erst die Partei, dann das öffentliche Wohl. Durch die Erhöhung der Mandatszahl und die Streichung der Grundmandatsklausel kann sie ihren Mandatsverlust halbieren. Das ist des Pudels Kern bei der Volte, die wir vor drei Tagen erlebt haben. Was hätten – Frau Präsidentin, wenn Sie mir noch diesen Abschlusssatz gestatten – die 100 Staatsrechtslehrer wohl zu dieser Volte gesagt?
Wegen der eigennützigen Erhöhung der Mandatszahl in letzter Sekunde und dem fehlenden direktdemokratischen Fortschritt werden wir, die AfD, dem Ampelentwurf nicht zustimmen. Wir enthalten uns insoweit. Unterstützen werden wir den eigenen Entwurf wegen seiner konsequenten reformerischen Qualität.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der AfD – Stephan Brandner [AfD]: Bravo!)
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Konstantin Kuhle.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551941 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 92 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes |