Stephan ThomaeFDP - Änderung des Bundeswahlgesetzes
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist nicht frei von Emotionen; aber sie ist gleichwohl sachlich und verlangt das auch. Denn was wir heute tun, ist etwas sehr Wichtiges. Wir senden das Signal aus und treten den Beweis an, dass dieses Parlament reformfähig ist, dass wir vor Reformen, die uns selbst betreffen, nicht haltmachen. Das ist ein Glaubwürdigkeitstest, den wir bestehen müssen, indem wir eine jahrelange Diskussion heute einer Lösung zuführen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir hätten das sehr gerne auch zusammen mit der Union gemacht und haben in einem über einjährigen Prozess in einer Reformkommission viele sachliche, konstruktive Debatten und Diskussionen geführt. Ich finde es schade, dass die Union auf den letzten Metern, nachdem doch noch eine Annährung stattfand und die Hoffnung bestand, dass wir uns würden einigen können, ausgeschert ist,
(Sören Pellmann [DIE LINKE]: Sie sind ausgeschert! – Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch ausgeschert!)
was, glaube ich, weniger an der CDU lag, sondern nach meiner Wahrnehmung mehr an der CSU. Das ist bedauerlich, aber eben auch bezeichnend, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Mein Gott!)
Wir verfolgen mit unserer Reform drei Kernanliegen; drei Kernbotschaften sind uns wichtig. Erstens. Wir sind reformfähig und setzen da auch bei uns selbst an. Zweitens. Wir werden den Bundestag verkleinern, und zwar dauerhaft, und ihn auf eine bestimmte Zielgröße zurückführen. Wir schaffen mit der Reform Sicherheiten, nicht nur Wahrscheinlichkeiten.
(Christian Dürr [FDP]: So ist es! – Stephan Brandner [AfD]: Und das alles ohne FDP demnächst!)
Und drittens. Niemand wird ausgenommen. Alle müssen etwas zur Verkleinerung des Bundestages beitragen. Es wird keine Vorzugsbehandlungen mehr geben. Deswegen ist diese Reform auch fair, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Lassen Sie mich mit ein paar Behauptungen aufräumen. Die erste ist, dass der Wegfall der Grundmandatsklausel undemokratisch sei. Meine Damen und Herren, es gibt in Bayern seit 1973 die 5-Prozent-Hürde ohne Grundmandatsklausel.
(Christian Dürr [FDP]: Aha!)
Wie kann denn etwas hier bei uns undemokratisch sein, was in Bayern seit einem Vierteljahrhundert Verfassungspraxis ist?
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schurkenstaat!)
Herr Thomae, gestatten Sie aus der CDU/CSU-Fraktion eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung?
Sehr gerne, Kollege Hoffmann.
Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Kollege Thomae, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Ich muss Sie zunächst einmal korrigieren. Sie sagten, Sie würden eine Reform vornehmen, die Sie selbst betrifft. Ich würde vielmehr behaupten, dass die Ampel eine Reform vornimmt, die die Opposition und nicht sie selbst betrifft.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN)
Aber zu meiner Frage. Vorhin wurde auch schon von Frau Haßelmann nur in Teilen geschildert, wie das mit der Grundmandatsklausel in Bayern funktioniert. Sie kommen ja aus Bayern, und deswegen können Sie sicher erklären, warum es in Bayern anders ist. Es gibt nämlich zwei Gründe – und ich möchte Sie fragen, ob Sie mir da recht geben –, warum es in Bayern keine Grundmandatsklausel gibt. Grund Nummer eins: In der Verfassung ist es grundsätzlich mal anders angelegt.
(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Christian Dürr [FDP]: Das ist ja was! Weil es in der Verfassung dort anders angelegt ist! – Sebastian Hartmann [SPD]: Ja dann! Wollt ihr jetzt die Verfassung ändern?)
– Sie sollten alle mal die bayerische Verfassung lesen. – Aber der Grund Nummer zwei ist der entscheidende. Den scheinen Sie vielleicht nicht hören zu wollen. Aber in Bayern werden Erst- und Zweitstimme bei der Auszählung zusammengezählt,
(Konstantin Kuhle [FDP]: Was ändert das denn? Was ändert das? – Christian Dürr [FDP]: Fordern Sie das auch für den Bund?)
und deshalb gibt es keine Verzerrung. Ein Auseinanderklaffen von Erst- und Zweitstimme wird dadurch vermieden, sodass es zu keiner Verzerrung des Ergebnisses kommt. Und an Ihrem Lachen – das muss ich ehrlicherweise sagen – erkenne ich, dass Sie das offensichtlich nicht wissen und es trotzdem als wohlfeiles Argument benutzen.
Danke.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])
Werter Kollege Hoffmann, dass in Bayern Erst- und Zweitstimme addiert werden, ändert nichts daran, dass man auch in Bayern die Erststimmen aus dem Gesamtergebnis eines Kandidaten herausrechnen kann.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Erst- und Zweitstimme zusammen ergeben die Verteilung im Landtag! Erst- und Zweitstimme sind gleich viel wert!)
Ich kann sehr wohl ermitteln, wie viele Anteile der Gesamtstimmen eines Kandidaten auf die Erststimme und auf die Zweitstimme entfallen. Deswegen kann es auch in Bayern sehr wohl der Fall sein, dass Kandidaten einer Partei in fünf, sechs, sieben Stimmkreisen – so heißt es in Bayern; das wären bei Bundestagswahlen die Wahlkreise – das beste Ergebnis erzielt haben, aber gleichwohl ihre Partei in Bayern weniger als 5 Prozent erzielt hat.
(Christian Dürr [FDP]: So ist es! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Lassen Sie uns doch das bayerische Wahlrecht einführen! Haben wir Ihnen doch angeboten! Wollen Sie das bayerische Wahlrecht im Bund einführen?)
Und dann fallen auch diese Stimmen unter den Tisch. Das ändert nichts.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber gut, Herr Kollege Hoffmann. Ich nehme wahr, dass sich die CSU Sorgen macht, dass sie mit ihrem Ergebnis in Bayern bundesweit die 5-Prozent-Hürde nicht mehr erreicht. Ich hatte es bislang nicht so wahrgenommen, dass sich die CSU sorgt, bundesweit die 5‑Prozent-Hürde zu unterschreiten. Ich habe nie gedacht, dass ich mir um die CSU Sorgen machen muss. Aber wenn das Ihre Sorge ist, dann kann ich heute sagen: Wir sind total offen, nachdem wir heute eine Grundentscheidung getroffen haben werden,
(Konstantin Kuhle [FDP]: So ist es!)
noch mal über Spezifika, regionale Besonderheiten zu sprechen. Wir können diskutieren,
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie meinen die Reform der Reform?)
ob für die CSU eine Regelung getroffen werden muss; da sind wir total offen.
(Zuruf des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE])
Der zweite und letzte Punkt, den ich hier in der Kürze der Zeit noch ansprechen will, ist der Mythos, dass dem Wahlkreisersten ein errungenes Mandat weggenommen würde. Meine Damen und Herren, wer ein Mandat errungen hat, das sagt das Wahlrecht.
(Konstantin Kuhle [FDP]: So ist es!)
Es gibt keinen vorgesetzlichen Anspruch auf ein Mandat im Deutschen Bundestag.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen ist es auch völlig in Ordnung, dass erst, wenn die Zweitstimmendeckung erreicht ist, ein Mandat zugeteilt wird.
(Zuruf des Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU])
Eine Zahl ist wichtig, die Zahl 18,6 Prozent; das ist das geringste Ergebnis, mit dem in diesem Bundestag ein Kandidat ein Mandat erzielt hat. Ich gönne das dem Kollegen; er stammt aus Ihrer Fraktion. Aber man kann doch nicht sagen, dass jemand, der 18,6 Prozent der Stimmen errungen hat – den also über 80 Prozent der Wähler nicht gewählt haben –,
(Zuruf von der CDU/CSU)
der strahlende Wahlkreissieger sei und er Anspruch auf einen Sitz im Parlament habe.
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Deswegen, meine Damen und Herren: Stimmen Sie heute dieser Wahlrechtsreform zu.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Nina Warken.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551950 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 92 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Bundeswahlgesetzes |