Saskia EskenSPD - Vereinbarte Debatte zum Internationalen Frauentag
Wir sind auch sehr froh, dass eine Präsidentin heute zu dieser Debatte vor Ihnen, hinter mir sitzt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Egon Bahr sagte einmal sinngemäß, große politische Erfolge schrumpften mit der Zeit in unserer Wahrnehmung, weil sie dann als selbstverständlich angesehen werden, auch wenn sie das Ergebnis schwerer Kämpfe gewesen sind. Egon Bahr sprach von der Ostpolitik Willy Brandts, die zunächst vehement bekämpft worden war. Doch sie hat ja die europäische Friedensordnung erst möglich gemacht. Wir haben den Frieden in Europa lange, viel zu lange als selbstverständlich angesehen. Durch Putins neoimperialistischen Krieg wurden wir eines Besseren belehrt.
Doch was Egon Bahr über die vermeintliche Selbstverständlichkeit politischer Errungenschaften sagte, gilt auch für die Erfolge feministischer Politik, sei es das Frauenwahlrecht oder Artikel 3 Absatz 2 unserer Verfassung, sei es der § 218a oder die Ehe für alle; nichts davon kam von selbst. Den mutigen Feministinnen und Feministen, die all das erstritten haben, gilt heute unser Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Der Frauen-März ist mit Equal Care Day, Equal Pay Day und Internationalem Frauentag ein Ausrufezeichen, damit wir weiterkämpfen, unsere Historie ist ein Ausrufezeichen, damit wir weiterkämpfen für gleiche Löhne, gleiche Rechte, gleiche Chancen für alle Frauen, überall.
„Frauenrechte sind Menschenrechte“, dieser Satz, der eine Selbstverständlichkeit einfordert und beschützt, wurde 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking geprägt, und auch er wurde hart erkämpft.
In diesem Zusammenhang blicken wir – da bin ich Dorothee Bär dankbar für diesen internationalen Blick – mit großer Sorge nach Afghanistan. Seit der erneuten Machtübernahme der Taliban hat sich die Situation für Frauen und Mädchen massiv verschlechtert: Sie dürfen nicht – du hast es gesagt – eine weiterführende Schule besuchen oder studieren. Sie dürfen nicht öffentlich sichtbar arbeiten. Sie dürfen sich kaum auf öffentlichen Plätzen aufhalten, müssen sich mindestens mit einem Hidschab verhüllen. Mädchen und Frauen erfahren in Afghanistan und anderswo Diskriminierung und Unterdrückung – einzig allein, weil sie Mädchen und Frauen sind.
Oder schauen wir in den Iran: Ein halbes Jahr ist es jetzt schon her, dass Mahsa Amini im Iran von der sogenannten Sittenpolizei verhaftet wurde,
(Beatrix von Storch [AfD]: Islamische Sittenpolizei!)
weil sie ihren Hidschab angeblich nicht korrekt getragen hat. Mahsa Amini ist an den Folgen der Gewalt in der Haft gestorben, an den Folgen von Männergewalt, Frau Storch.
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Seither sind Tausende Menschen verhaftet worden, auch Männer sind verhaftet worden, werden zum Tode verurteilt, sterben in Haft oder auf den Straßen.
(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
Die Lage der Frauen im Iran macht uns noch mal deutlich, wozu autoritäre Regime fähig sind – wie Sie eines anstreben. – Hören Sie auf, dazwischenzukrähen!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: So ein Blödsinn! – Martin Reichardt [AfD]: Ich krähe gar nicht! Ich bin keine Krähe!)
Der Mut, mit dem zunächst Frauen und Mädchen, später mehr und mehr auch ihre Brüder, ihre Väter und Männer mit den Worten „Frauen, Leben, Freiheit“ auf die Straße gehen, verdient unseren größten Respekt.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Frauen in aller Welt brauchen unsere internationale Solidarität; das ist vollkommen richtig. Ihre Schicksale müssen sichtbar werden, sichtbar bleiben. Ihr Kampf für Freiheit und Gleichstellung muss in die Öffentlichkeit.
Doch davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf uns der Blick auf die Ungleichheit in unserem Land nicht verstellt werden. Krisen und Umbrüche, sie gehen viel zu oft zulasten der Frauen; das ist auch in Deutschland der Fall. Das hat die Coronapandemie gezeigt. Und das zeigt sich in vielen Kriegen in aller Welt, nicht zuletzt in der Ukraine.
Die Umbrüche, inmitten derer unsere Welt steht, wollen wir mit einer klar feministischen Perspektive gestalten, eben damit sie gelingen, damit auch alle Frauen gleichermaßen teilhaben. Denn der sozial-ökologische Umbau, die Digitalisierung und der demografische Wandel, diese Umbrüche verändern massiv, wie wir leben und wie wir arbeiten.
So legt der Gleichstellungsbericht der Bundesministerin zu Recht einen Fokus auf die geschlechtergerechte Transformation, die Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation. Auch – es wurde bereits angemerkt – die UN-Frauenrechtskommission blickt auf die gleichstellungspolitische Dimension, in dem Fall der Digitalisierung. Da geht es um sexistischen Hass im Netz, dem wir gemeinsam entgegentreten müssen – auch hier in Deutschland –, damit Frauen eben nicht verstummen. Ihre Stimmen würden fehlen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])
Es geht auch darum, die Benachteiligung von Frauen, von Kindern, von marginalisierten Gruppen systematisch zu bekämpfen und zu verhindern, dass künstliche Intelligenz diese Benachteiligung aus den Daten lernt; die Bundesministerin hat es gesagt. Sonst orientiert sich zum Beispiel die Gesundheitsforschung auch weiterhin an männlichen Erwachsenen und ignoriert die besonderen Bedürfnisse von Frauen, Kindern und Jugendlichen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut!)
Sonst bleiben die Karrierechancen von Frauen eingeschränkt, weil die Datenlage kaum Erfolgsgeschichten erzählt. Das bleibt dann auch künftig so, wird sogar noch verstärkt.
Wir halten ganz klar dagegen. Denn es sind ja die Informatikerinnen, die Altenpflegerinnen, die Mechatronikerinnen, die Busfahrerinnen, Ärztinnen, Erzieherinnen und viele, viele andere Frauen, die auch hier bei uns den Laden am Laufen halten. Wir brauchen ihre Expertise, ihre Power, ihre Ideen. Deshalb müssen sich Arbeitsmarkt, Personalentwicklung, Team- und Führungskultur endlich mehr an den Bedürfnissen von Frauen orientieren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote müssen auf Frauen zugeschnitten werden. Arbeitszeiten müssen, wie der DGB sagt, zum Leben passen, zum Leben von Frauen.
Reden wir über Familienpolitik; denn sie ist immer noch Frauenpolitik. Stellen Sie sich nur kurz einmal vor, die Berufstätigkeit der Männer hinge davon ab, dass Kita, Schule und Tagespflege verlässlich funktionieren – wir würden in einer anderen Welt leben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU] – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Wer die Frauenerwerbsquote erhöhen will, wer die Einkommen, die Renten von Frauen stärken will – denn darum geht es –,
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
der muss die Ganztagsbetreuung im Kitaalter und im Grundschulalter verlässlich gestalten, der muss dafür sorgen, dass der Bildungserfolg der Kinder nicht davon abhängt, ob jemand am Nachmittag auf die Hausaufgaben schaut. Denn wer macht das? Die Frauen.
Übrigens: In Ostdeutschland arbeiten die Mütter von Dreijährigen im Schnitt 22 Stunden pro Woche. Das schaffen wir im Westen erst zum 18. Geburtstag unserer Kinder und dann nur selten im erlernten Beruf, weil der dann weg ist.
Ich bin Staatsminister Carsten Schneider sehr dankbar, dass er ostdeutschen Frauen und ihrer Transformationskompetenz im Frauen-März ein Forum gegeben hat. Denn Frauen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Fachkräfte für Transformation. Schauen Sie sich die Biografien von Frauen an! Viele von ihnen sind bestens ausgebildet, ja. Aber ihre Resilienz und ihren Veränderungsmut beziehen sie aus den Anforderungen, die das Leben immer wieder an sie stellt.
Liebe Frauen in Deutschland, die Bundesregierung setzt bei der Gestaltung der Transformation auf Ihre Perspektive, Ihre Erfahrungen. Und niemals verliert sie den Blick auf die Situation der Frauen in aller Welt. Doch das ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist das Werk und der Erfolg der Feministinnen und Feministen in dieser Regierung und in den Fraktionen, in den Parteien, die sie tragen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Nächste Rednerin ist Mariana Iris Harder-Kühnel für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7551991 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 92 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Internationalen Frauentag |