29.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 93 / Zusatzpunkt 1

Günter KringsCDU/CSU - Aktuelle Stunde: Ein Jahr nach Bucha - für Gedenken und strafrechtliche Aufarbeitung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit über einem Jahr tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine in einer neuen, schrecklichen Dimension. Und gerade denjenigen, die glauben, es könnte eine Lösung sein, Putins Russland die Ukraine einfach zu überlassen, sollte schon ein Blick nach Butscha zeigen, wie zynisch ihre Haltung ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In dieser Aktuellen Stunde wollen wir vor allem der Opfer aus Butscha gedenken, auch stellvertretend für alle anderen Opfer in Irpin, Borodjanka und an vielen anderen Orten in der Ukraine. Es fällt schwer, über diese Gräueltaten zu sprechen, und doch sind wir genau das den Opfern schuldig.

Am 4. März 2022 wurden zwei Männer und eine Frau getötet, als ihr Auto von einem russischen gepanzerten Fahrzeug beschossen wurde. Sie hatten Hundefutter in ein Tierheim gebracht, als auf ihrem Rückweg ein russischer Panzerwagen plötzlich das Feuer auf sie eröffnete. Alle drei waren sofort tot. Am gleichen Tag wurden neun ukrainische Männer von russischen Soldaten abgeführt, hinter ein russisches Quartier geführt und erschossen. Nach Abzug der russischen Truppen berichteten überlebende Bewohner in Butscha von erschossenen Frauen und Kindern, von vergewaltigten und anschließend getöteten Frauen. Ihre Leichname wurden nackt hinter Hecken oder in Gebäuden zurückgelassen.

Meine Damen und Herren, es ist gut, dass der Internationale Strafgerichtshof seine Ermittlungen bereits im März 2022 aufgenommen hat. Seine Ermittler sind vor Ort in der Ukraine und dokumentieren Beweise für künftige Gerichtsverfahren. In Butscha spricht erdrückend viel dafür, dass es sich hier um systematische Übergriffe auf Befehl militärischer Vorgesetzter handelte. Einem Rechercheteam der „New York Times“ ist es gelungen, eine Reihe von bestialischen Taten einer konkreten Einheit des russischen Militärs, nämlich der 234. Luftlandedivision, zuzuordnen. Die Hoffnung besteht daher, dass sich in Zukunft nicht nur die Gewalttäter in Uniform, sondern auch die Offiziere in der Befehlskette vor dem Internationalen Strafgerichtshof oder vor anderen Gerichten verantworten müssen. Anders als bei der Deportation ukrainischer Kinder wird es aber schwer sein, die Verantwortlichkeit bis hinauf in die höchste Generalität oder gar in den Kreml nachzuweisen.

Meine Damen und Herren, die Strafgewalt des Den Haager Gerichtshofs ist ein großer Fortschritt im humanitären Völkerrecht. Er kann Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf ukrainischem Gebiet verurteilen. Allerdings klafft nach wie vor eine empfindliche Lücke in seiner Zuständigkeit. Das Urverbrechen des Krieges, nämlich das Verbrechen der Aggression, kann bei einem Staat wie Russland, der sich der Rechtsprechung aus Den Haag entzieht und zudem auch Vetomacht im Sicherheitsrat ist, nicht zur Anklage gebracht werden. Meine Fraktion unterstützt wie viele hier im Haus daher alle Bemühungen, das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes zu erweitern, auch wenn das mit Sicherheit viele Jahre dauern wird.

Aber was ist bis dahin? Wenn wir bis dahin nicht ernsthaft nach einem anderen Weg zur Anklage der Urheber dieses Krieges an der Spitze Russlands suchen, so wäre das ein fatales Signal – fatal für die Ukraine, fatal für den Geltungsanspruch des Völkerrechts. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Taten an bestimmten Opfern dieses monströsen Völkerrechtsbruchs ungesühnt bleiben. Wir müssen Wege finden, damit auch Putin und seine direkte Umgebung für dieses Verbrechen vor Gericht gestellt werden können.

Ich wiederhole daher den Vorschlag und die Forderung meiner Fraktion nach Einrichtung eines internationalen Sondertribunals auf völkerrechtlicher Grundlage. Auch das ist nicht einfach; das wissen wir. Aber nur ein wirklich internationales Gericht kann die These von der Ohnmacht des Völkerrechts widerlegen und das weltweite Vertrauen in universelle Rechtsprinzipien und in Menschenrechte stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Zumindest den ernsthaften Versuch, eine Mehrheit in der UN-Generalversammlung für ein echtes Völkerrechtstribunal zu erreichen, müssen wir und muss die Bundesregierung daher unternehmen.

Meine Damen und Herren, wir Deutschen wollen hier unsere besondere historische Verantwortung wahrnehmen. Lassen Sie uns gemeinsam alles dafür tun, dass die Verbrechen von Butscha, aber auch alle übrigen Kriegsverbrechen im Ukrainekrieg nicht ungesühnt bleiben!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Boris Mijatović.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7552124
Wahlperiode 20
Sitzung 93
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Ein Jahr nach Bucha - für Gedenken und strafrechtliche Aufarbeitung
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