29.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 93 / Zusatzpunkt 1

Peter HeidtFDP - Aktuelle Stunde: Ein Jahr nach Bucha - für Gedenken und strafrechtliche Aufarbeitung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 31. März ist es ein Jahr her, dass die Stadt Butscha im Norden der Ukraine zum Schauplatz für unsägliche Gräueltaten und Menschheitsverbrechen wurde, deren Abscheulichkeit sich nicht in Worte fassen lässt. Die russischen Soldaten richteten in Butscha ein Blutbad an. Wahllos schossen sie auf unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten, die sich ins Freie gewagt hatten oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Die Bilder von Massengräbern und von mit Leichen übersäten Straßen, die Nahaufnahmen ihrer Folterspuren und Verstümmelungen sorgten auf der ganzen Welt für Entsetzen.

Ein Jahr später ist das Trauma noch allgegenwärtig. Meine Gedanken sind heute umso mehr bei den Ukrainern. Mein Mitgefühl gehört all jenen Menschen, deren Familienangehörige bei den Massakern ihr Leben lassen mussten. Meine Solidarität gilt dem ukrainischen Volk, denjenigen, die mit ihrem unermüdlichen Kampf um die Souveränität ihres Staates auch den Frieden und die Freiheit Europas verteidigen.

Seitdem Putin den Befehl für seinen Angriffskrieg gegeben hat, erlebt die Ukraine die dunkelste Zeit ihrer Geschichte. Sie ist zum Schauplatz für unzählige Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geworden. Orte wie Butscha oder Kramatorsk stehen symbolartig für die Grausamkeit dieses Krieges, die von Anfang an Bestandteil, ja ausdrücklich Taktik der russischen Kriegsführung war.

Innerhalb dieser Koalition – da sind wir uns auch mit der Union einig – besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass diese Bundesregierung weiterhin aktiv dazu beitragen muss, dass diejenigen, die die Verbrechen zu verantworten haben, strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Denn schon jetzt liegen zahlreiche Beweise dafür vor, dass die russischen Streitkräfte vielerorts den Tod unschuldiger Zivilisten billigend in Kauf genommen oder, schlimmer noch, die Prinzipien des humanitären Völkerrechts systematisch missachtet haben. Die internationale Gemeinschaft muss alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um uneingeschränkt zu gewährleisten, dass die Täter auf die Anklagebank kommen. Fakt ist: Es darf keinen sicheren Hafen für diese Kriegsverbrecher geben, nirgendwo auf dieser Welt.

Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft unmittelbar nach Beginn des Angriffskrieges mit einer doch beispiellosen Schnelligkeit und Geschlossenheit reagiert haben, indem sie den Internationalen Strafgerichtshof beauftragt haben, Ermittlungen in der Ukraine einzuleiten. Der Internationale Strafgerichtshof hat mit seinem Haftbefehl gegen Putin und seine Kinderrechtsbeauftragte wegen Kriegsverbrechen demonstriert, dass er bereit ist, seiner Rolle als tragende Säule der internationalen Rechtsprechung gerecht zu werden.

Mehrere Staatsanwaltschaften in Europa, darunter auch der Generalbundesanwalt in Deutschland, haben auf Basis des Weltrechtsprinzips Ermittlungsverfahren eröffnet. Deutschland bringt sich bei der Koordinierung der Ermittlungen auf nationaler und internationaler Ebene aktiv ein. Dafür bin ich unserem Bundesjustizminister Marco Buschmann ausdrücklich sehr dankbar.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen in unserem Einsatz für das Recht und gegen die Straflosigkeit jetzt nicht nachlassen; denn mit Blick auf das Verbrechen der Aggression droht aufgrund der bestehenden Lücken im Völkerstrafrecht aktuell Straflosigkeit. Anders ausgedrückt: Es besteht die Gefahr, dass sich ausgerechnet Putin und seine engsten Gefolgsleute für die Durchführung des Angriffskrieges nicht verantworten müssen. Im Einklang mit unseren Partnern befürworten wir daher ausdrücklich ein Sondertribunal als alternativen Weg der Strafverfolgung. Ich möchte hier auch dem Kollegen Dr. Krings ausdrücklich sagen – Boris Mijatović hat es schon angesprochen –: Wir suchen nach dem richtigen Weg. Wir sind uns beim Ziel einig: Putin und seine Leute müssen wegen des Verbrechens der Aggression vor Gericht, und ich bin mir sicher, dass wir das am Ende auch hinbekommen werden. Wir führen viele Gespräche, erst gestern wieder mit Vertretern internationaler Juristen. Ich glaube, dass wir da auf einem guten Weg sind.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hier ist schon das IOC angesprochen worden, das für mich und uns Freie Demokraten eine unsägliche Entscheidung gefällt hat. Die Vorstellung, dass jetzt wieder Sportwettkämpfe zwischen Ukrainern, Russen und Belarussen stattfinden sollen, Menschen also, die eventuell für diese Verbrechen verantwortlich waren, ist unerträglich.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere das IOC auf, diese Entscheidung wieder zurückzunehmen. Und ich fordere die Bundesregierung und alle Länder dieser Welt auf: Lassen Sie keine russischen Sportler in Ihr Land reisen! Wenn es keine Qualifikationswettbewerbe mit Russen gibt, können sie bei Olympia nicht starten. Wir brauchen keinen Boykott der Olympischen Spiele; das will ich nicht für unsere Sportler. Aber wir Politiker, wir Regierungen auf der Welt können verhindern, dass es überhaupt Wettkämpfe gibt. Wenn keine russischen Sportlerinnen und Sportler nach Deutschland, Frankreich, in die USA und sonst wohin fahren können, dann können sie eben auch nicht an den Wettbewerben teilnehmen, und damit schützen wir die Ukrainerinnen und Ukrainer. Das muss unser Ziel sein. Dazu fordere ich die Weltgemeinschaft auf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU/CSU-Fraktion hat Thomas Erndl jetzt das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7552126
Wahlperiode 20
Sitzung 93
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Ein Jahr nach Bucha - für Gedenken und strafrechtliche Aufarbeitung
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