Thomas ErndlCDU/CSU - Aktuelle Stunde: Ein Jahr nach Bucha - für Gedenken und strafrechtliche Aufarbeitung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das ist eine sehr wichtige Debatte, in der wir gedenken, innehalten, aber eben auch das Bewusstsein hochhalten, dass wir noch immer mitten in einem Krieg in Europa sind und dass Untätigkeit den Ukrainern nicht hilft. Wir haben bis zum 24. Februar letzten Jahres keine Waffen geliefert, und es war am Schluss falsch, dass wir die Ukrainer nicht zur wirksamen Abschreckung befähigt haben.
Meine Damen und Herren, ich war am 24. Februar dieses Jahres, zum Jahrestag dieses brutalen Überfalls, mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen europäischen Parlamenten in Kiew. Das war ein bewegender Tag, ein Tag, an dem man fassungslos vor sinnloser Zerstörung steht und eben auch vor Hunderten zerstörten Häusern in Irpin, Butscha und anderen Vororten. Dass dieser Besuch in Kiew überhaupt möglich war, dass ich in eine freie Stadt fahren konnte, in die Hauptstadt eines weitgehend freien Landes, haben wir mutigen Ukrainerinnen und Ukrainern zu verdanken, die sich den russischen Verbrechern in den Weg gestellt haben, die ihre Heimat verteidigt haben, teils auch mit einfachsten Mitteln. Ihnen gebühren unser ganzer Dank und unser allergrößter Respekt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Hunderte Zivilisten wurden grausam Opfer dieses Angriffs, und Tausende Soldatinnen und Soldaten fielen. Und wofür? Wofür diese Männer und Frauen kämpften, das sehen wir, wenn wir uns heute an das Massaker von Butscha erinnern. Das sehen wir, wenn wir in die vielen anderen befreiten Dörfer und Städte blicken, nach Irpin, Isjum, Charkiw, Cherson. Russische Besatzung bedeutet unvorstellbare Gräueltaten, Folter, Vergewaltigungen, gefesselte Männer und Frauen, wehrlos und hinterrücks in den Kopf geschossen und teils in Massengräbern verscharrt.
Die Wahrheit ist: Wäre es der Ukraine im vergangenen Jahr nicht gelungen, den russischen Angriff zurückzuschlagen, dann gäbe es heute Dutzende, wenn nicht gar Hunderte weitere Orte wie Butscha in der ganzen Ukraine; denn das war kein willkürlicher Gewaltausbruch. Putin will die Ukraine auslöschen, er will die Ukraine vernichten. Die Morde waren Teil der perfiden, kalkulierten Völkermordlogik, mit der Putin diesen Angriffskrieg entfesselt hat.
Putin ist ein Kriegsverbrecher. Russland ist ein Terrorstaat geworden. In der Ukraine werden wir Zeuge von staatlich organisierten Menschheitsverbrechen, und darauf brauchen wir auch eine juristische Antwort. Die Täter müssen verfolgt werden und ihre gerechte Strafe bekommen. Deshalb brauchen wir die Einrichtung eines Sondertribunals, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Seit über einem Jahr sind wir nun Zeuge dieses Zivilisationsbruchs – furchtbare Abgründe, von denen wir ausgingen, dass sie in Europa nie wieder geschehen werden. „ Nie wieder“, zwei Worte, die gerade wir Deutsche nach 1945 als Verpflichtung gesehen haben. Aber es ist wieder passiert, und deshalb haben wir mindestens jetzt die Verpflichtung, alles zu tun, damit die Ukrainer schnell ihr Land befreien können.
Was heißt also „Nie wieder“ konkret? „ Nie wieder“ heißt, dass wir die Ukrainer so lange wie nötig und so stark wie möglich unterstützen. „ Nie wieder“ heißt konkret, dass wir vielleicht nicht 10 Haubitzen nachbestellen, sondern 100 – zur konkreten Unterstützung jetzt und auch als Signal in die Zukunft. Denn eines ist klar: Solange im Kreml jemand sitzt, der ein großrussisches Reich zurückhaben will und uns als Feind ansieht, heißt „Nie wieder“ nach einer Befreiung der Ukraine: Wir brauchen Tausende modernste Waffensysteme zur Abschreckung. Und das muss jetzt auf den Weg gebracht werden, meine Damen und Herren.
„Nie wieder“ heißt auch, dass es starke Sicherheitsgarantien brauchen wird. Diese liefert in Europa die Einbettung in ein starkes Verteidigungsbündnis. „ Nie wieder“, meine Damen und Herren, muss auch heißen, dass klar sein muss, dass die Ukraine kein Land „zwischendrin“ mehr sein wird – Stichwort „Neutralität“; das ist längst vorbei –, sondern dass sie ein europäisches Land und ein Mitglied der Europäischen Union sein wird.
„Nie wieder“ bedeutet, dass wir dem klaren Ziel „Ukraine muss gewinnen, sie muss befreit werden, und Russland darf militärisch nicht erfolgreich sein“ entsprechend handeln und dass wir auch groß genug denken. Das sind wir allen Opfern dieser Aggression schuldig.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Frank Schwabe [SPD] und Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das ist der Weg, den ich Sie herzlich bitte zu unterstützen, damit wir in Zukunft Gräueltaten wie in Butscha und anderswo nicht mehr erleben werden.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne, ich grüße Sie recht herzlich an diesem Nachmittag. Wir führen die Debatte fort.
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Derya Türk-Nachbaur.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7552127 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 93 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde: Ein Jahr nach Bucha - für Gedenken und strafrechtliche Aufarbeitung |