29.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 93 / Zusatzpunkt 1

Derya Türk-NachbaurSPD - Aktuelle Stunde: Ein Jahr nach Bucha - für Gedenken und strafrechtliche Aufarbeitung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren und andere! Ein auf dem Boden ausgestreckter Unterarm, der Ärmel eines blauen Anoraks, die bleiche, im Schmutz liegende Hand mit den rotlackierten Fingernägeln: Sie werden sich vermutlich an das Bild erinnern, das nach dem Abzug der russischen Truppen aus Butscha um die Welt ging. Wir haben heute von vielen Bildern gesprochen. Das ist das Bild, das sich bei mir eingebrannt hat. Es hat inzwischen Symbolcharakter erlangt.

Heute wissen wir: Es war die Hand der ermordeten Frau Irina Filkina aus Butscha. Als die russischen Truppen nach Butscha kamen, flohen Irinas Töchter. Irina wollte dableiben, wollte mit ihrer Arbeitskraft den in Butscha verbliebenen Menschen tatkräftig zur Seite stehen. Sie half im Supermarkt bei der Ausgabe von Lebensmitteln. Videoaufnahmen zeigen die letzten Momente ihres Lebens, wie sie auf dem Weg nach Hause ihr schwarzes Fahrrad schiebt, um die Ecke biegt und plötzlich aus russischen Panzerwagen heraus niedergeschossen wird.

Irina war nur eine von Hunderten bestialisch ermordeten Menschen; Männern, Frauen und Kindern. Die Namen Butscha, Irpin, Mariupol stehen in einer langen finsteren Reihe mit Srebrenica, Babyn Jar, Oradour-sur-Glane und Guernica. An diesen Orten sind schlimmste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschehen. Wir werden und dürfen die Schicksale dieser Opfer niemals vergessen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

All diese Opfer hatten Namen, sie hatten ihre Geschichten, und sie hatten eine Zukunft. Einige Namen und Geschichten haben wir heute gehört. Hunderte gemeuchelte Zivilistinnen und Zivilisten, vergewaltigte Frauen und Mädchen, zerstörte Häuser, Schulen und Krankenhäuser, Plünderungen und Raub sind wenige Stunden von hier ein bitterer Alltag. In Butscha haben russische Truppen ein Bild hinterlassen, das einem die Luft zum Atmen nimmt. In der zivilisierten Welt, so dachten wir, und selbst im schrecklichen Krieg müsse es Regeln geben. Das war ein Trugschluss. Die Truppen des Kreml beweisen uns das Gegenteil. In Europa passieren heute Dinge, die wir nur aus den dunklen Kapiteln der Geschichtsbücher kennen und von denen wir hofften, dass sie sich nicht wiederholen.

Die Opfer wollen Gerechtigkeit und die strafrechtliche Verfolgung der Täter. Auch wir wollen das. Wir stehen hier mit allem, was uns als Demokratinnen und Demokraten kostbar und heilig ist, an der Seite der Opfer in der Ukraine: Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Der internationale Haftbefehl gegen Präsident Putin war und kann nur der Anfang sein. Putin und seine Schergen müssen den entschlossenen Atem von geltendem internationalem Recht in ihrem Nacken spüren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Nun mag Putin den Internationalen Gerichtshof nicht anerkennen; aber ich glaube, das wird im Anschluss sein eigenes Problem sein. Unsere Botschaft an all die Verantwortlichen im Kreml ist klar: Es gibt genug Beweise für verübte Kriegsverbrechen. Die Reisefreiheit ist ab jetzt eingeschränkt. Kein mutmaßlicher Mörder wird mehr unbeschwert durch die Welt reisen können. Und vor allem: Das Recht, Herr Putin, ist Ihnen vielleicht entkommen; aber Sie werden dem Recht nicht entkommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Der Tag, an dem sich Putin vor einem internationalen Gericht verantworten wird – ich sage es Ihnen –, wird ein sehr, sehr guter Tag.

Als Menschenrechtspolitiker/-innen begrüßen wir selbstverständlich nicht nur alle Aktivitäten, die darauf abzielen, den Internationalen Strafgerichtshof zu stärken, sondern auch die Ansicht, dass es ein eigenes Gericht für die Verfolgung des russischen Verbrechens der Aggression geben muss. Putin hat sein wahres Gesicht gezeigt. Daher muss auch allen hier klar sein: Wer sich für Frieden und Gewaltlosigkeit in der Welt einsetzt, muss begreifen, dass diese Ziele zum jetzigen Zeitpunkt nicht durch Nachgeben und auch nicht durch Verhandlungen mit Putin zu erreichen sind. Wir müssen handeln und das internationale Recht durchsetzen. Die Opfer in der Ukraine verdienen unsere Solidarität und unsere Unterstützung.

Wir alle haben die Verantwortung, sicherzustellen, dass grundlegende menschliche Werte wie Leben, Freiheit und Würde respektiert werden. Genau dafür setzen wir uns als bekennende Europäer/-innen mit unseren internationalen Partnern ein. Wir stehen unmissverständlich an der Seite der Ukraine und möchten sie als freies und selbstbestimmtes Mitglied in der europäischen Familie sehen.

Danke.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der letzte Redner in der Debatte ist für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Helge Limburg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7552128
Wahlperiode 20
Sitzung 93
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde: Ein Jahr nach Bucha - für Gedenken und strafrechtliche Aufarbeitung
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