30.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 94 / Tagesordnungspunkt 26c

Jana SchimkeCDU/CSU - Arbeitsbedingungen von Saisonbeschäftigten

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich immer wieder, ob Sie es eigentlich noch merken, dass die Tonalität, mit der Sie dieses Thema auf die Tagesordnung setzen, dazu führt, dass all jene, die uns täglich volle Teller sichern in diesem Land, wieder einmal stigmatisiert und in die Ecke gestellt werden,

(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Gökay Akbulut [DIE LINKE]: Hauptsache, Sie haben volle Teller!)

nicht nur die Beschäftigten, auch ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.

Saisonbeschäftigte gibt es in den unterschiedlichsten Branchen. Ich greife einmal die Landwirtschaft heraus. Worüber reden wir eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wir reden über eine Branche, in der die Lohnkosten – anders als bei VW, Audi, Bosch oder Porsche – bei 70 Prozent liegen. Wenn Sie einen landwirtschaftlichen Betrieb haben, dann haben Sie einen Lohnkostenanteil von 70 Prozent,

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Und deshalb darf man die Leute ausbeuten, oder was?)

Sie haben bei den Produkten, die Sie ernten, die Sie verkaufen, die Sie auf den Markt bringen wollen, eine geringe Marge, eine deutlich geringere Marge,

(Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Es geht in dem Antrag nicht nur um die Landwirtschaft! Lesen!)

als wenn Sie einen Motor bauen oder irgendwelche anderen hochkomplexen Systeme. Wir reden über eine Branche, die seit der Einführung des Mindestlohns in Deutschland Lohnkostensteigerungen von 62 Prozent zu verzeichnen hatte.

(Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt uns das?)

Wir reden über eine Branche, die einem massiven Wettbewerb mit dem Ausland ausgesetzt ist.

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Dürfen die deswegen die Leute ausbeuten?)

Wir leben nicht allein auf dieser Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen täglich im Wettbewerb mit den anderen Ländern dieser Welt. Wir reden über eine Branche, die selbstverständlich auch massivem Druck von den verarbeitenden Betrieben bzw. auch dem Handel – Stichwort „Preiskampf“ – ausgesetzt ist.

(Zuruf des Abg. Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Last, but not least: Wir reden über eine Branche, in der man hart arbeiten muss,

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Deshalb braucht man doch gute Arbeitsbedingungen!)

in der harte körperliche Arbeit an der Tagesordnung ist, Arbeit, die, wohlgemerkt, kaum ein Deutscher mehr leisten möchte. Solche Branchen haben massive Schwierigkeiten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen.

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Ja! Weil es miese Arbeitsbedingungen sind!)

Diese Branchen brauchen Instrumente wie die Beschäftigungsformen, über die wir heute reden, nämlich Saisonarbeit.

(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Bessere Bezahlung!)

Und warum ist das so, liebe Kolleginnen und Kollegen? Bei der Ursache brauchen wir nicht lange zu überlegen: Essen soll in Deutschland günstig sein. Körperliche Arbeit gilt als nicht so toll. Vor allen Dingen leisten wir uns immer noch sehr, sehr hohe Standards bei der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

(Widerspruch bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

– Entschuldigung! Aber Sie wollen doch nicht abstreiten – jetzt lassen Sie mich doch mal ausreden! –,

(Gökay Akbulut [DIE LINKE]: Schauen Sie sich doch mal an, unter welchen Bedingungen die Menschen arbeiten!)

Sie wollen doch nicht abstreiten, dass das inzwischen auch zu einem Wettbewerbsnachteil für unser Land in der Welt wird? Was wir brauchen, ist keine Überregulierung.

(Manuel Gava [SPD]: Schauen Sie sich die Bedingungen vor Ort an! – Fortgesetzte Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Natürlich müssen wir über Versäumnisse reden. – Frau Präsidentin, können Sie die Kollegen mal zur Ruhe rufen?

Na ja. Das ist schon ein Parlament, natürlich, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, man sollte die Rednerin doch noch verstehen können.

So ist es. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir müssen natürlich über Missbrauch reden, wir müssen über Versäumnisse reden, und wir müssen auch gezielt dort ansetzen, wo diese entstehen. Aber wir brauchen keine Regulierung mit der Gießkanne. Im Übrigen gibt es auch Aufklärung durch die Bundesagentur für Arbeit und natürlich auch durch den Deutschen Gewerkschaftsbund. Der profitiert von dem vom Bund finanzierten Projekt und kann das letztendlich auch in die Breite tragen.

Wir könnten natürlich vielleicht auch mal die A1-Bescheinigung verstärkt digitalisieren. Auch das würde dazu führen, dass die Leute besser krankenversichert sind.

(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)

Kein Arbeitgeber möchte in Deutschland mit einem Bein im Gefängnis stehen. Niemand hat ein Interesse daran, Menschen zu beschäftigen, die nicht krankenversichert sind, und dafür, denke ich, sollten wir hier die Voraussetzungen schaffen. Lassen Sie uns bitte die Probleme angehen, die wir tatsächlich haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, es fällt Ihnen schwer, aber denken Sie auch daran: Es sind erwachsene Menschen, die dort arbeiten. Die können lesen und schreiben.

(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das kann nicht wahr sein! Ich wünsche Ihnen, dass Sie einmal so arbeiten müssen! Dann reden Sie nicht mehr so!)

Es gibt Informationen in mehreren Sprachen im Internet. Glauben Sie auch einmal an die Mündigkeit der Menschen, die hierher kommen. In Rumänien liegt der Lohn im Schnitt bei 3,60 Euro, in Deutschland bei 12 Euro. Das ist das Vierfache. Und denken Sie auch mal daran, was Sie diesen Menschen am Ende für einen Bärendienst erweisen, wenn Sie diese Branche zu Tode regulieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manuel Gava [SPD]: Unterhalten Sie sich mal mit den Betroffenen! – Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Einfach nur mal arbeiten! Dann reden Sie nicht mehr so! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Unfassbar!)

Also, wenn man jetzt immer lauter schreit, macht das die Argumente natürlich auch nicht stärker. Auf der anderen Seite muss ich sagen: Vor zehn Minuten haben die Zuschauerinnen und Zuschauer noch gedacht, dass hier keiner zuhört. Sie haben deutlich bewiesen, dass das nicht der Fall ist, sondern – ganz im Gegenteil – dass wir hier auch ein lebhaftes Parlament sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Als Nächste erhält das Wort Beate Müller-Gemmeke für Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7552347
Wahlperiode 20
Sitzung 94
Tagesordnungspunkt Arbeitsbedingungen von Saisonbeschäftigten
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