30.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 94 / Tagesordnungspunkt 17

Franziska KerstenSPD - Verwendung und Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Pflanzen sind die Basis tierischer und menschlicher Ernährung. Vor dem Hintergrund des Bevölkerungswachstums und der Klimakrise werden Pflanzen als Nahrung immer wichtiger. Wir brauchen gesunde Pflanzenbestände in ausreichender Menge; denn nur so können wir die Ernährungssicherheit auch zukünftig gewährleisten.

Im Koalitionsvertrag haben wir eine deutliche Stärkung des integrierten Pflanzenschutzes vereinbart. Die unterschiedlichen Maßnahmen sollen zusammengeführt und die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das absolut notwendige Maß begrenzt werden. Denn eines ist klar: Die Ernährungssicherheit werden wir auf Dauer nur mit resilienten Agrarsystemen erhalten können.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gero Clemens Hocker [FDP])

Schädliche Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die Umwelt, die Gesundheit und die Biodiversität müssen vermieden werden. Um dies zu erreichen, existiert bereits ein umfangreiches und abgestuftes Zulassungsverfahren. Die Wirkstoffe mit allgemeiner oder spezifischer Wirkung gegen Schadorganismen werden nach umfassenden wissenschaftlichen Prüfungen und Versuchen durch die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, zugelassen. Dieses Verfahren ist im Europarecht bis ins Detail geregelt.

Die EU-weite Genehmigung eines Wirkstoffes ist dann Grundlage für die Zulassung in Deutschland, die in der Verantwortung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit liegt. Bei der Entscheidung des BVL werden die Prüfungsergebnisse von drei Bewertungsbehörden berücksichtigt: Das Umweltbundesamt bewertet mögliche Auswirkungen auf den Naturhaushalt. Das Julius-Kühn-Institut prüft die Wirksamkeit, die Pflanzenverträglichkeit sowie praktische Anwendung und Nutzen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung analysiert mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier. Das benötigt Zeit, ist aber auch ausgesprochen gründlich. Das Zulassungsverfahren in unserem Land hat ein sehr hohes internationales Ansehen und wird daher auch als Verkaufsargument für die jeweiligen Unternehmer verwendet. Leichtfertige Zulassungen, wie hier von manchen suggeriert wird, gibt es also nicht.

Ein entscheidendes Kriterium, um den umweltverträglichen Pflanzenschutz voranzubringen, ist die Nutzung der Innovationskraft des Technologiestandortes Deutschland.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: So ist es!)

Wir brauchen eine breite Einführung von Methoden und Techniken der Präzisionslandwirtschaft, die Digitalisierung und die Nutzung der jeweiligen Datenbanken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Voraussetzung dafür ist eine bessere Datenverfügbarkeit durch mehr Schnittstellen bei den Datenbanken von Bund und Ländern. Dazu gehören auch Verbesserungen in der Pflanzenzüchtung.

Hier befinden wir uns mit dem Koalitionsvertrag im Übrigen auf einer Linie mit den Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft, auf deren bahnbrechende Arbeit über alle Verbandsgrenzen hinweg ich noch mal hinweisen möchte.

Die europäische Ebene hat nun zur weiteren Reduktion des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln einen Verordnungsvorschlag erarbeitet, die Sustainable Use Regulation. Die ehrgeizigen Ziele sind die Halbierung des Einsatzes bis 2030 und der Komplettverzicht in sensiblen Gebieten. Wie von meinen Vorrednern schon gesagt wurde, ist es schwierig, da einfach mitzugehen, da wir durchaus differenzierter vorgehen müssen. Wir haben uns im Deutschen Bundestag mit dieser Sache beschäftigt. Im Rahmen einer öffentlichen Anhörung wurde eine differenzierte Betrachtung des komplexen Themas empfohlen. Bei einer vollständigen Umsetzung der geplanten Verordnung wäre in Deutschland mit einem Ertragsrückgang von bis zu 25 Prozent zu rechnen.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: So ist es!)

Neben der Ernährungssicherheit muss auch die Lebensmittelsicherheit im Fokus stehen. Gefahren für die menschliche Ernährung durch Mykotoxine, also Pilzbefall, auf Getreide müssen wir unbedingt vermeiden, und das geht ohne Pflanzenschutz dann leider doch nicht immer.

Eine spezielle Situation gibt es bei den Sonderkulturen. Wir wollen uns möglichst regional ernähren. Das funktioniert aber nur, wenn regionale Erzeuger auch erhalten bleiben, so wie unsere Obstbauern und Winzer.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings ist bei Sonderkulturen der Bedarf an Pflanzenschutzmitteln ungleich höher. Um jetzt nicht einen ganzen Wirtschaftszweig zu gefährden, brauchen wir Sonderregelungen für Sonderkulturen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen haben Studien nachgewiesen, dass in Gebieten mit sehr viel Obstbau und entsprechendem Pflanzenschutzmitteleinsatz dennoch eine unerwartet hohe Biodiversität vorhanden ist. Grund dafür ist das große Angebot an Refugialflächen. Hier liegt der Schlüssel zur Biodiversität. Insofern kann ich die Anstrengung der Bundesländer, 10 Prozent Refugialflächen zu schaffen, wie auf der letzten AMK beschlossen, nur unterstützen. Das sollte auch in die EU-Verordnung einfließen.

Bei deren Umsetzung muss außerdem besonderes Augenmerk auf die Bürokratievermeidung gelegt werden. Andernfalls werden besonders viele kleine Höfe und Nebenerwerbsbetriebe aufgegeben. In der Folge kann dann das Idealbild einer vielseitig strukturierten Landwirtschaft leider nicht verfolgt werden. Das müssten wir bei diesem Entwurf auch mitbedenken.

In den bisherigen Diskussionen mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium haben wir zu diesen Aspekten leider keine klaren Aussagen gehört. Ich habe auch noch mehr Fragen. Wie werden die bisherigen Reduktionsleistungen unseres Landes bei der weiteren Planung berücksichtigt?

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Richtig!)

Im Zeitraum von 2012 bis 2020 wurden rund 35 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Das ist im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten eine bessere Leistung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Außerdem ist, wie schon Karl Bär gesagt hat, nicht geklärt, welche Gebiete als sensibel eingestuft werden. Wir haben weitaus mehr Schutzgebietskategorien als andere Mitgliedstaaten. Deshalb sollten Landschaftsschutzgebiete auch nicht pauschal unter diese sensiblen Gebiete fallen. Auch beim Trinkwasserschutz sind wir schon weiter als nach der geplanten EU-Verordnung.

Der richtige Weg zu mehr Umweltschutz bei gleichzeitigem Erhalt der Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit kann daher nur ein maßvolles Vorgehen auf Basis der Empfehlungen der Wissenschaft sein. Kooperative Ansätze, die einen Interessensausgleich zwischen Naturschutz und Landwirtschaft in den Mittelpunkt stellen, haben die größte Aussicht auf Erfolg. Dies beweist seit Jahren der vom damaligen SPD-Umweltminister Olaf Lies initiierte Niedersächsische Weg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Guter Mann!)

Ich erwarte jetzt vom Bundeslandwirtschaftsministerium zügige, konstruktive Verhandlungen auf der europäischen Ebene und eine transparente Information der Parlamentarier; denn wir alle wissen: Ohne Planungssicherheit wird nichts gelingen, kein Naturschutz, kein Klimaschutz, kein Erhalt unserer Landwirtschaft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Karl Bär [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Als Nächstes erhält das Wort für die AfD-Fraktion Stephan Protschka.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7552361
Wahlperiode 20
Sitzung 94
Tagesordnungspunkt Verwendung und Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln
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