31.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 95 / Tagesordnungspunkt 21

Johann WadephulCDU/CSU - Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen am Ende einer denkwürdigen Woche. Selten zuvor in der Geschichte unseres Landes hat eine Regierungskoalition ein derart desolates Bild geboten wie in den vergangenen Tagen.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Da haben wir schon Schlimmeres erlebt! – Gegenruf des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU]: Na ja!)

Wenn man einen Summenstrich unter das tagelange Debakel, das man offiziell als Koalitionsausschuss firmieren ließ, zieht, kann man folgende Feststellung treffen, Herr Kollege Lambsdorff: Diese Koalition agiert handwerklich miserabel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie ist nicht dazu in der Lage, die brennenden Fragen unseres Landes – ich nenne nur das Stichwort „Haushalt“ – anzugehen. Sie setzt ihre eigenen, mit pompösen Worten getroffenen Vereinbarungen und Pläne nicht um. Sie produziert heiße Luft zu horrenden zukünftigen Kosten, sie kommt nicht zu Potte, und sie streitet wie die Kesselflicker vor dem versammelten Publikum der Öffentlichkeit, das nicht weiß, ob es sich kopfschüttelnd abwenden oder vor lauter Angst um die weiteren zwei Jahre dieser Koalition die Augen verschließen soll. Das ist die Geschichte dieser Woche, aber das ist bei Weitem nicht die Ausnahme.

Denn wenn man einen Blick auf das mit großem Aplomb angekündigte Projekt einer Nationalen Sicherheitsstrategie im Koalitionsvertrag wirft, dann kommt man bedauerlicherweise zu keinem anderen Ergebnis als in der gerade schon geschilderten Situationsbeschreibung: ein völlig verkorkstes Verfahren, in das die Länder sich bisher nicht haben einbringen können, das von Ressortegoismen bestimmt ist und das völlig aus dem Zeitrahmen gefallen ist.

(Beifall der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])

Sie haben es nach bald 15 Monaten nicht geschafft, Ihrer eigenen Ankündigung nachzukommen, binnen eines Jahres eine Sicherheitsstrategie vorzulegen. Das ist nicht nur ärgerlich für Sie, weil Sie an Ihren eigenen Maßstäben scheitern, sondern das ist sicherheits- und außenpolitisch verheerend für dieses Land.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn seit einem Jahr hat sich durch Russlands Angriff die Welt fundamental verändert. Wir werden bedroht; gerade in der Debatte wurde auch noch mal gesagt: wirtschaftlich bedroht, sehr direkt. Die Lage ist gefährlich, und Sie schaffen es nach dem 24. Februar 2022 nicht, dazu binnen eines halben Jahres oder nach neun Monaten eine klare Lageanalyse mit Handlungsoptionen in Form einer gemeinsamen Strategie vorzulegen. Die NATO hat in nur einem halben Jahr genau dies geschafft, als sie im Sommer des vergangenen Jahres ihr neues strategisches Konzept vorgelegt hat. Die Europäische Union hat binnen weniger Wochen reagiert und ihren strategischen Kompass in Teilen neu gefasst. Und Sie bekommen es nicht hin, ein von Ihnen selbst angekündigtes Projekt, das durch den Krieg plötzlich tatsächlich eine Dringlichkeit bekommen hat, konzentriert und ergebnisoffen umzusetzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist insbesondere bemerkenswert, da es ja früheren Bundesregierungen sogar gelungen war, binnen zwölf Monaten ein Weißbuch zu entwickeln und in allen Ressorts abzustimmen.

Jetzt haben wir Ende März 2023, und es liegt noch immer nichts vor: weder eine Sicherheitsstrategie noch die daraus zu entwickelnden Folgedokumente der einzelnen Ressorts bzw. der Gesamtregierung. Denn keine Sicherheitsstrategie heißt: keine Afrika-Strategie, keine China-Strategie, keine neue Konzeption der Bundeswehr, kein neues Fähigkeitsprofil. All das sind wichtige und wegweisende Handlungsanleitungen, die dringend gebraucht werden. Wir erleben eine Ampel, die sicherheitspolitisch offensichtlich völlig strategielos ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn im Sahel herrscht ohne Afrika- oder Sahel-Strategie ein ziemliches Wirrwarr, was die Einsätze der Bundeswehr und deren Zukunft angeht. Ohne China-Strategie wird chinesischer Einflussnahme im Hamburger Hafen und in unsere kritische Infrastruktur munter Tür und Tor geöffnet.

Die Bundesregierung begibt sich in die Endphase eines Planungsprozesses der NATO für die kommenden Jahre, ohne sich selbst vorher vergewissert zu haben, was man denn im Bündnis bereit ist zu leisten, welche Rolle, welche Verantwortung man dort übernehmen will.

Ohne eine echte strategisch abgeleitete Festlegung wird in Form eines politischen Faustkampfes um die Eckwerte des Haushaltes 2024, des letzten übrigens vor dem Wahlkampf, gestritten. Ach so: Ja, die Eckwerte verspäten sich natürlich auch.

Statt also endlich mit Strategie und Verstand vorzugehen, kostet der Streit Monate Zeit. Das Einzige, worauf Sie sich jetzt verständigt haben, ist der Begriff „integrierte Sicherheit“. Ich bin gespannt, wie Sie ihn von dem Begriff „vernetzte Sicherheit“, den wir bisher benutzt haben, abgrenzen, übrigens ohne das Wort „vernetzt“ dabei zu benutzen. Das ist also wirklich kein neuer Ansatz; denn eine integrierte Sicherheit bräuchte eine wirkliche Fortentwicklung. Sie bräuchte einen strukturellen Folgeschritt, nämlich die Etablierung eines Nationalen Sicherheitsrates.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dass dieser nicht kommt, zeigt das Scheitern dieser Koalition. Eine echte sicherheitspolitische Zeitenwende gelingt Ihnen nicht.

Der Kollege Lechte, der außenpolitische Sprecher der Freien Demokraten, hat es dieser Tage noch einmal auf den Punkt gebracht. Zum Nationalen Sicherheitsrat sagt er:

Leider wird dieser … nicht begründet werden … Aus Sicht der FDP

– und da hat sie recht,

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist öfter der Fall!)

sage ich für die Union –

wäre der Nationale Sicherheitsrat der richtige Ort gewesen, die geopolitischen Veränderungen zu beobachten, zu bewerten und der Bundesregierung Handlungsempfehlungen zu geben.

Ja, lieber Kollege Lechte, liebe FDP, „leider“ und „wäre“ sind Ausdrücke des Scheiterns.

(Gerold Otten [AfD]: Augen auf bei der Koalitionswahl!)

Das ist Ihr Scheitern, aber das ist auch ein Scheitern der Bundesregierung. Das ist ein Scheitern an dem Egoismus des Außenministeriums, der Außenministerin, die darauf besteht, dass diese Institution, die natürlich ins Kanzleramt gehörte, beim Außenministerium angesiedelt wird. So, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist Deutschland schlecht vorbereitet für die nächsten Jahre. Das ist ein sicherheitspolitisches Risiko, für das wir hoffentlich alle nicht irgendwann bitter bezahlen müssen. Wir rufen Sie dringend an: Raufen Sie sich zusammen!

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kollege Lechte, weil er auch gerade angesprochen wurde.

(Gerold Otten [AfD]: Schnell distanzieren!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7552402
Wahlperiode 20
Sitzung 95
Tagesordnungspunkt Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland
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