31.03.2023 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 95 / Zusatzpunkt 5

Michelle MünteferingSPD - 75 Jahre European Recovery Plan (Marshall Plan)

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gehört: Der Marshallplan, der sich zum 75. Mal jährt, legte den Grundstein für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg und auch für die transatlantische Freundschaft. Über die Entwicklung dieser Freundschaft, die mit dem und noch lange nach dem Aufbau der Fabriken wuchs, möchte ich sprechen. Für diese guten Beziehungen sind wir trotz zweier Anträge, die wir hier vorliegen haben, dankbar. Das eint uns, und das ist gut.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU] und Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Guido Goldman, der Gründer des German Marshall Fund, wurde erwähnt. Sein Vater war schon beim Aufbau des zionistischen Weltkongresses dabei. Guido war überzeugt, dass echte gegenseitige Sympathie nur auf gegenseitigem Verständnis beruhen kann. Er überredete erst Alex Möller, den ersten Finanzminister unter Willy Brandt, das Verständnis zwischen Deutschland und den USA zu fördern. So gründete schließlich der deutsche Bundeskanzler die transatlantische Organisation der ersten Stunde, den German Marshall Fund. Wir grüßen in alle Welt, aber selbstverständlich auch auf die Tribüne hier im Saal.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP])

Die transatlantische Partnerschaft ist unerlässlich, wenn die USA ihre Interessen nicht vernachlässigen möchten und Europa nicht wieder in Krisen, Angst und Verwirrung untergehen will, sagte Brandt damals. In der Tat stellte sich heraus, dass Deutschland und die USA zwar nicht immer die gleichen Interessen haben sollten, aber doch fundamentale Überzeugungen teilten und bis heute teilen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele denken an solch einem Tag, in einer solchen Stunde auch an persönliche Erfahrungen. Mein erster Besuch führte mich nicht zu einem Austauschjahr ans College oder zur Forschung an eine Eliteuniversität, sondern für drei Wochen mit dem Zelt nach South Dakota in eine der ärmsten Regionen der Staaten, in das Pine Ridge Reservation, zu den Lakota Sioux, den Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner. Viele Jahre später, schon als Abgeordnete und Außenpolitikerin, traf ich in Detroit streikende Arbeiter von General Motors, in Baltimore Aktivistinnen und Aktivisten der Bewegung Black Lives Matter und in Texas Nachfahren der ersten deutschen Auswanderer und Farmer, die Solartechnik im Kollektiv nutzen und übrigens sehr dankbar für die frühe Förderung dieser Technologien durch Deutschland waren.

Ich erzähle das hier, weil ich überzeugt bin, dass Guido Goldman recht hatte. Es lohnt, voneinander zu lernen, eben weil unsere Länder nicht perfekt sind. Aber es sind unsere Demokratien, die alle Chancen haben, sich weiterzuentwickeln. Der Schlüssel dazu sind starke Zivilgesellschaften, robuste Medien, der Schutz von Minderheiten in der Mehrheitsgesellschaft und eine starke Opposition. Das ist das eigentliche Erbe, das Geschenk des Marshallplans: das Erwachsen der freiheitlichen Demokratie, die in ihrem Kern die Chance besitzt, sich zu verändern, zu erneuern, zu verteidigen. Das zu beweisen ist neben der Bündnistreue die Aufgabe dieser besonderen Freundschaft zwischen Europa und den USA.

(Beifall bei der SPD sowie bei Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir brauchen also diesen Dialog, den wir auch fördern. Das Deutschlandjahr in den USA unter dem Motto „Wunderbar together“, die größte Kommunikationskampagne in der Geschichte des Auswärtigen Amtes, ging ja auch dank des Goethe-Institutes, lieber Kollege Link, in alle amerikanische Bundesstaaten hinein. Davon brauchen wir in der Tat mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Sehr verehrte Damen und Herren, die Welt ist im Schleudergang, und wir werden in den kommenden Jahren mehr tun müssen, nicht nur, um das Verständnis füreinander nicht zu verlieren, sondern auch, um neues Verständnis füreinander zu schaffen.

In Zukunft werden uns die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz Entscheidungen abverlangen, und zwar nicht nur dazu, wie wir bei den Entwicklungen an der Spitze bleiben, sondern auch beizeiten dazu, der Nutzung von KI einen ethischen Rahmen zu setzen. Und das müssen Entwicklungen sein, die die Ungleichheit der Welt verringern und nicht verschärfen. Darüber müssen wir uns verständigen.

Vor einigen Jahren haben wir als Bundesrepublik das Haus von Thomas Mann in Los Angeles gekauft. Von dort aus rief er in über 50 BBC-Interviews zum Widerstand gegen Hitler auf. Heute ist dieses Haus dank des Bundestages ein Raum für kritisches Denken für kluge Frauen und Männer. Das ist gut so; denn Manns Worte könnten heute kaum aktueller sein. Ich zitiere und schließe damit – Mann schrieb –:

Es ist mit der Selbstverständlichkeit der Demokratie in aller Welt eine zweifelhafte Sache geworden. Es ist die Stunde gekommen … für eine Selbstbesinnung der Demokratie, für ihre Wiedererinnerung, Wiedererörterung und Bewusstmachung – mit einem Wort: für ihre Erneuerung im Gedanken und im Gefühl.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Petr Bystron hat jetzt das Wort für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7552438
Wahlperiode 20
Sitzung 95
Tagesordnungspunkt 75 Jahre European Recovery Plan (Marshall Plan)
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